Die weltgrößte Fotofachmesse befindet sich seit Jahren im Wandel. Besucher dieser Fachmesse, die nicht nur die beiden letzten Male vor Ort in Köln-Deutz waren, sondern vielleicht über 20 Jahre treue Besucher dieses weltweit einzigartigen Events sind, sprechen davon, dass das, was vor rund sechs Jahren begonnen hat, eine Rückbesinnung auf alte Tugenden sei: Der Eventcharakter kommt zurück. Die Photokina ist keine reine Produktschau mehr. Das Bühnenprogramm wird immer abwechslungsreicher und auch rund um die Photokina herum finden immer mehr Rahmenveranstaltungen statt, die nicht nur privaten Charakter haben, sondern teilweise von großen Herstellern initiiert und auch finanziert werden.
Veränderungen notwendig
Doch die Messe wird seit Jahren kleiner. Hersteller, die früher große Hallen gefüllt haben, haben schon in den vergangenen Jahren kleinere Hallen bevorzugt oder sind mit anderen zusammen in eine große Halle gegangen. Neben dem Schrumpfen der Hersteller gibt es aber auch Hersteller, die wachsen: Allen voran DJI. Nicht erst nach dem Erwerb von Hasselblad geht es steil bergauf mit dem Drohnenspezialist. Auch wenn viele andere Drohnenhersteller versuchen an Marktmacht zu gewinnen, dominiert DJI den Drohnenmarkt mit verschiedenen Produkten für diverse Einsatzzwecke. Und sie bieten spannendes Zubehör auch für Mobiltelefone. Das die eigentlich für das Frühjahr angekündigte Einsteigerdrohne DJI Spark bis heute nicht in zweiter Auflage erschienen ist, tut dem Wachstumspfad von DJI keinen Abbruch. Regelmäßig kommen neue DJI-Produkte auf den Markt. Zuletzt der Osmo Mobile 3.
Kameramarkt im Umbruch
Doch generell befinden sich die Kamerahersteller nicht wirklich auf einem aufsteigenden Ast. Frühere Gewinntreiber, wie z.B. hosentaschengroße Kompaktkameras, sind nahezu vom Markt verschwunden. Auch Bridge-Kameras (früher der Einstieg in das etwas hochpreisiger angesiedelte Segment) gibt es quasi nicht mehr.
Systemkameras, vor einigen Jahren der Hoffnungsschimmer der Branche, haben eine tolle Entwicklung hingelegt und vor allem Marken beflügelt, die früher eine geringere Bedeutung gespielt haben. Sie haben jedoch vor allem bei den großen Playern Marktanteile geraubt und nicht unbedingt neue Kundensegmente für die Fotografie begeistert.
Mit Edelkompakten (extrem lichtstarken Kompaktkameras mit vielen manuellen Einstellmöglichkeiten) wollte der eine oder andere Hersteller punkten und als „Immerdabei-Kamera“ unter treuen Nutzern großvolumiger DSLR’s auf Kundenfang gehen. Allen voran Nikon. Gerade die beiden Modelle DL 24-85 und DL 18-50 hatten es doch so einigen Fotografen angetan. Doch im Frühjahr 2016 wurde erst eine Verzögerung kommuniziert, bevor dann ein Jahr später die Einstellung der Serie relativ lautlos bekanntgegeben wurde.
Woran liegt diese Veränderung in so vielen Kamerasegmenten?
Allen voran ist sicherlich der Siegeszug des Smartphones zu nennen. Blicken wir in die letzten Jahre vor dem Durchbruch der Smartphones zurück, hatten schokoriegelförmige Handys die ersten brauchbaren Kameramodule integriert. Für den einen oder anderen Schnappschuss geeignet – aber eigentlich nur bei sehr guten Lichtverhältnissen. Eingriffsmöglichkeiten für den Kunden? Damals keine!
Das Smartphone substituiert und ist ständig dabei
Mit dem ersten iPhone (Veröffentlichung war am 9. November 2007) hat sich die Welt verändert. Wo 2007 eine 2 Megapixel Kamera mit wenigen Funktionen integriert war, ist heute ein Kameramodul verbaut, dass über bis zu drei hoch-lichtstarke Linsen mit unterschiedlichen Brennweiten verfügt. Die Sensoren belichten durchschnittlich 12 Megapixel und softwareseitig sind Algorithmen verbaut, die es erlauben, mit einem Smartphone Portraits mit einer Hintergrundfreistellung zu produzieren, wie sie mit einer Vollformat-DSLR mit lichtstarker Festbrennweite für 3000-EUR-Plus möglich sind.
Rasante Entwicklung bei Smartphones macht ganze Produktgattungen überflüssig
Klar, die Portraitmodi der Handyhersteller haben noch ihre Schwächen und es wird keinem ernsthaften Fotografen genügen, eine professionelle Portraitserie mit einem Handy zu schießen, aber…
- Guido Karp (Künstler der Ausgabe 03) hat bereits auf der Photokina 2006 die Challenge eines Sony-Mitarbeiters angenommen und bewiesen, dass man mit einem Handy durchaus hochwertige Aktfotos machen kann. Herausgekommen aus dem Projekt mit einem Sony Cyber-Shot-Handy ist ein ganzes Buch, bei dem kein einziges Bild aus einer der Profikameras des weltbekannten Konzertfotografen stammt.
- Die Absatzzahlen bei Smartphones sind bei allen Herstellern um ein Vielfaches höher, als die Verkäufe von Kameraherstellern. Betrachtet man nur die betriebswirtschaftliche Pflicht jedes Unternehmens, in Forschung und Entwicklung zu investieren, so besitzen Hersteller wie Apple oder Samsung selbst dann, wenn sie nur zwei Euro pro verkauftem Handy exklusiv in die Forschung und Entwicklung für die Kameramodule investieren, über mehr Kapital, als die großen Kamerahersteller für ihre gesamte Produktpalette. Von den kleinen Kameraanbietern mal ganz zu schweigen.
- Die Kamerahersteller waren durch Markttrends und sich sukzessive verschiebende Marktanteile alle gezwungen, sich mit spiegellosen Systemen auseinanderzusetzen und mussten allein deshalb mehr in Forschung und Entwicklung investieren, als in früheren Jahren (zu analogen Zeiten gab es ja im Prinzip nur ein Filmformat für den Massenmarkt). Folge: Die Kriegskassen sind leer, die Entwicklungskosten über die Verkäufe neuer Produkte längst noch nicht reingeholt. Hier und da fehlt es einfach an Masse, um erneut eine teure Messe zu finanzieren.
- Den Wechsel zu spiegellosen Systemen haben die Hersteller genutzt, um nach vielen vielen Jahren neue Bajonette einzuführen. Mit mitgelieferten Adaptern haben sie es bestehenden Kunden leicht gemacht, existierende Objektive klassischer DSLR’s zu adaptieren. Doch zugleich haben die Hersteller damit den Druck für sich selbst geschaffen, nun für die neuen Bajonette auch recht zeitnah eine nennenswerte Anzahl an neuen Objektiven zu präsentieren, die die neuen Systeme voll einsatzbar machen und die Zwischenlösung mit dem Adapter über die Zeitachse überflüssig macht (unsere Einschätzung: Vermutlich noch dieses Jahr werden Nikon und Canon hochpreisigere spiegellose Kameras anbieten, die keinen Adapter mehr mitliefern, da nun ausreichend native Linsen verfügbar sind).
- Geringere Stückzahlen im Gesamtabsatz bei Kameras und Objektiven führen im Endeffekt dazu, dass der Kunde für annähernd gleiche Leistung deutlich mehr bezahlen muss. Am Beispiel der Objektive wird dies am einfachsten nachvollziehbar: Die Kosten für die Entwicklung neuer Objektive sind hoch. Die Käuferschaft wird kleiner, Auf die neuen Systeme wechseln nicht alle Fotografen sofort. So müssen die Verkaufspreise für neue Objektive allein deswegen steigen, weil die Kosten für deren Entwicklung gedeckt werden müssen.
- Doch mit Objektivpreisen weit jenseits der 1.000 EUR-Grenze erscheint selbst ein Luxus-Smartphone noch preisgünstig. Und das liefert heute drei Festbrennweiten in einem Gehäuse. Allesamt lichtstark. Und für die überwiegende Social-Media-Nutzung für einen Großteil der Weltbevölkerung mehr als ausreichend. Die Objektivpreise führen damit nicht wirklich zu Absatzsteigerungen. Auch locken die Preise keine potentiellen Neukunden an, die noch keine Kamera besitzen. Die Preisgestaltung führt vermutlich eher zu weiteren Abwanderungen Richtung Smartphone.
Erneuerung ist keine Schande
In gewisser Weise ein Teufelskreis. Doch empirisch nicht wirklich etwas Neues: Aus dem Stahlgiganten Mannesmann ist irgendwann ein Mobilfunkanbieter geworden (heute Vodafone). Aus dem Gummistiefelhersteller Nokia entstand der Weltmarktführer für Mobiltelefone – dieser hat den Trend der Smartphones zu lange ignoriert und ist in der Versenkung verschwunden. Nun wird ein Comeback probiert.
So wie der Mensch alle sieben Jahre sämtliche Hautzellen komplett austauscht und dafür sorgt, dass das größte Organ des Menschen selbigen am Leben hält, so sind auch Unternehmen gezwungen, sich ständig zu verändern und an den Markt anzupassen.
Unternehmerischer Wandel am Puls der Zeit
Die Kölnmesse ist ein solches Unternehmen. Mit smarten Veränderungen in den letzten Jahren konnte schon (teilweise) an alte Tugenden angeknüpft werden. Doch dass die Kamerahersteller (also die Kernzielgruppe der Kölnmesse – sie bezahlen die Messe ja schlußendlich) nicht mehr so hohe Umsätze haben, dass sie jedes Jahr ein neues Produktfeuerwerk auf der Messe präsentieren können, haben die Macher vermutlich nicht stark genug in ihren Überlegungen berücksichtigt, als das Konzept derart umgebaut wurde, dass die Photokina nun jedes Jahr stattfinden soll.
Die für Mai 2019 geplante Messe wurde bereits abgesagt, weil sie für viele Hersteller zu nah an der letzten Photokina (September 2018) war. Zugleich gibt es zahlreiche kleinere Events, die die Kamerahersteller seit einigen Jahren im Frühjahr mit deutlich weniger Aufwand besuchen (Zingst, Fürstenfeld, Photo + Adventure, etc.) und für die sie bereits für das Frühjahr 2019 zugesagt hatten.
Absage dreier Schwergewichte
Nun haben in dieser Woche Nikon, Leica und Olympus die Teilnahme an der Photokina 2020 im kommenden Mai abgesagt. Wichtig hierbei: Alle drei haben seit Bestehen der Photokina (1950) bedeutende Produktinnovationen auf der Photokina angekündigt und präsentiert. Sie sind damit für viele Besucher gesetzt!
Dass sich die Photokina mit Stolz „Leitmesse der Imaging Branche“ nennen konnte, liegt genau daran: Die Hersteller haben ihre Produktentwicklung an den Zweijahresrhythmus der Photokina angepasst. Nikon und Canon, seit Jahrzehnten die beiden Flagshipmarken der Branche, haben im September 2018 ihre ersten spiegellosen Vollformatkameras präsentiert und der Öffentlichkeit gezeigt. Doch schon in den letzten Jahren wurde deutlich, dass nicht mehr jeder Hersteller in der Lage ist, zur Photokina eine bahnbrechende Innovation zu präsentieren.
Das Internet verändert auch die Produktkommunikation
Ein weiterer Aspekt ist folgender: Während früher kein Kunde die Möglichkeit hatte, vor der Leitmesse der Fotografie Informationen über neue Kameras und Objektive zu bekommen, so ist es heute anders: Im Internet sind lange vor der Messe die finalen Spezifikationen neuer Produkte bekannt. Die neue Nikon Z6/z7 oder die neue neue Canon EOS R waren so für die meisten Messebesucher im Herbst 2018 nicht mehr wirklich neu – sie hatten sie nur noch nicht in der Hand gehalten.
Für die Hersteller scheint das regelmäßige Veröffentlichen neuer Produkte hilfreich zu sein und die Einnahmen über die Zeitachse zu stabilisieren. Darum halten sie Neuigkeiten nicht mehr bis zur nächsten Photokina zurück.
Veränderung auch bei den Photokina-Besuchern
Produktentscheidungen werden nicht mehr auf der Messe getroffen, sondern online. Die Photokina zu besuchen, dient damit nicht mehr der eigentlichen Kaufentscheidung. An diese Stelle sind Vertriebskonzepte wie Olympus Test & Wow gestiegen und längst etabliert. Sie fördern den Dialog zwischen Herstellern und Fotofachgeschäften. Und zugleich binden sie den Kunden an den Fachhandel. Der Kunde kann bequem zuhause (oder gleich beim angestrebten Einsatzzweck) probieren. Und das ohne einen weiteren Messebesucher im Nacken, der schon drängelt. Gleiches bieten die „Professional Services“ der großen Hersteller ebenfalls an. Im Direktvertrieb.
Neue Wege auch auf Herstellerseite
Bisher gehen die Hersteller noch hin und stellen ihre Produkte Influenzern vorab zur Verfügung oder laden selbige zu exklusiven Events ein, damit diese dann am Tag der offiziellen Produktpräsentation bereits Videos über die neuen Produkte fertig haben können und diese alle taggleich auf Youtube und anderen Social Media Kanälen vorzustellen. Diese Multichannel-Kommunikationsstrategie ist nicht neu.
Exklusivveranstaltungen voll im Trend
Wir kennen sie aus Cupertino seit Jahren und Hersteller anderer Produkte kopieren das Konzept der Exklusivveranstaltung mit Livestream längst in andere Branchen: Als LandRover am 10. September diesen Jahres den neuen LandRover Defender vorstellte, fand dies zwei Tage vor dem offiziellen Beginn der IAA in Frankfurt (12. bis 22. September 2019) statt. Wochen vorher wurde über Social Media und eigene Newsletter auf diesen Tag hingearbeitet. Und als es dann am Morgen des 10. September soweit war, waren nicht nur hunderte Fans und Journalisten live vor Ort. Nein, es saßen tausende Fans weltweit vor den Monitoren und sind dem Livestream gefolgt. So wie damals, als Steve Jobs auf der Keynote sagte „There’s one more thing“ und anschließend das erste iPhone präsentierte.
Multi-Channel-Kommunikation als neuer Standard in Marketingabteilungen
Produktneuheiten werden branchenübergreifend immer mehr multimedial präsentiert. Ein Trend, der nicht aufzuhalten ist, weil er zum einen extrem effizient ist und zum anderen deutliche Kostenersparnisse bei gesteigerter Reichweite mit sich bringt.
Neuerfindung erforderlich?
Die Absage von Leica, Nikon und Olympus wird vermutlich die Diskussionen um die Leitmesse bei den Verantwortlichen der Kölnmesse noch einige Sitzungen beschäftigen. Grundsätzlich gilt aber: Fotografen haben Lust auf Events! Sie wollen neue Produkte testen Und in die Hand nehmen, Gleichgesinnte treffen, besuchen Fotowalks und Vernissagen und sind stolz darauf, zu Exklusivevents eingeladen zu werden. Vielleicht muss sich die Leitmesse der Imaging Branche nur noch radikaler verändern, um wieder den Puls der Zeit zu treffen.
Think different, think new!
Das, was die Macher der Messe vielleicht als Rückschritt ansehen könnten, wird von vielen Fotografen jedenfalls als sinnvoll erachtet: Zurückzugehen auf den zweijährigen Rhythmus im September aller „geraden Jahre“ und den Eventcharakter weiter zu verstärken. Vielleicht kommen dann auch die Platzhirsche wieder zurück nach Köln Deutz. Eine Photokina ohne Leica, Olympus und Nikon wäre für viele potentielle Besucher nämlich ein Grund, im Frühjahr 2020 nicht nach Köln zu reisen. Doch der Kostendruck bei den Herstellern ist groß. Das zeigt auch die Insolvenz von Hensel. Ein anderer Branchenprimus, der vermutlich nicht das Geld besitzt, mit Pauken und Trompeten auf der nächsten Photokina aufzutreten. Und brechen die Besucherzahlen wegen fehlender Herstellerteilnahme dramatisch ein, werden andere Hersteller den Nutzen der Photokina hinterfragen. Das gilt es unseres Erachtens zu verhindern. Aber das ist nicht nur Aufgabe der Photokina-Verantwortlichen, sondern auch eine Herkulesaufgabe für den Photoindustrieverband.
Bilderquelle: https://blog.koelnmesse.de/2014/07/wiederaufbau-1944-1953-2/