Seine ikonischen Fotos kennt die Welt. Sie schmücken Plattencover, werden bei Konzerten auf Videoscreens gezeigt und sind in zahlreichen Magazinen zu sehen. Die meisten seiner Motive sind Schwarzweiss. Farbe kommt eher selten vor. Seine Fotografien sind unter Sammlern heiss begehrt. Meist erzielen die limitierten Prints mittlere fünfstellige Eurobeträge, wenn sie den Besitzer wechseln. Doch an Fashion denken die wenigsten Menschen, wenn sie den Namen Anton Corbijn lesen oder hören. Das will die aktuelle Ausstellung im Cobra Museum voor Moderne Kunst ändern.
Stop. Zurück. Von vorne.
Im November 2023 werden wir auf eine Neuveröffentlichung von Anton Corbijn aufmerksam gemacht, die ein Buch sein soll. Sie soll nur 15 Euro kosten, aber weder der Titel, noch das Cover, noch der Inhalt sind zu diesem Zeitpunkt bekannt. Als das „gute Stück“ wenige Tage später im Buchhandel gelistet ist, sind die Eckdaten weiterhin ein Geheimnis – aber wir bestellen direkt ein Exemplar. Denn bei allen Büchern von Anton Corbijn, die unsere Redaktionsregale bereits schmücken, war bisher noch kein einziger Fehlgriff dabei. Also Mut zur Lücke. Vielleicht handelt es sich um ein limitiertes Druckstück…?
Als dann zahlreiche Wochen später wirklich bekannt wurde, um was es sich handelte, kam ungefähr zeitgleich die Vorankündigung über eine neue Ausstellung von eben diesem Fotograf in die Medien. Direkt als Titel und Termin der Ausstellung feststanden, wurde selbige in unseren Veranstaltungskalender aufgenommen.
Ein Mini-Bildband und eine zündende Idee
Im Februar 2024 trudelte dann die Lieferung des 15 Euro-Bildbandes mit dem Titel „Depeche Mode by Anton Corbijn“ bei uns ein. Natürlich schmückt bereits das grosse „Original“ unser Regal und so stellte sich die Frage: Was machen wir nun mit dieser „Mini-Ausgabe“?
Schnell war eine Idee geboren: Der Mini-Bildband (was übrigens in keinster Weise abwertend verstanden werden sollte) wanderte vom Wohnzimmer aus direkt ins Handschuhfach unseres Autos. Ja, das klingt auf den ersten Blick verrückt. Doch die Idee ist einfach und praktisch: Immer wieder stehen wir im Stau. Und immer wieder gehören Songs von Depeche Mode zu den Songs, die wir am Liebsten dann hören, wenn gerade „mal wieder“ nicht weitergeht… Dann heisst es: Depeche Mode Playlist an und Handschuhfach auf, Buch raus.
Dauerregen macht kreativ
Ende Februar und Anfang März zeigte sich das Wetter nicht gerade von seiner Schokoladenseite. Ständig Regen. Vor allem an Wochenenden. Die geplanten Gartenarbeiten konnten nicht durchgeführt werden und so starteten wir mit der Ideenfindung für Alternativen. Die gestaltete sich schwieriger als gedacht… bis der nächste Stau kam… und damit die Mini-Ausgabe von DM AC erneut in unsere Hände gelangte. Und schwups war die zündende Idee da: Wir fahren einfach kurzerhand zur Ausstellung MOØDe. Wir lassen den Scheibenwischer dauerlaufen und düsen eben in die Region Amsterdam. Samstagabend, 23.30 Uhr ward diese Idee geboren.
Wenige Stunden später war es soweit: Unorthodox früh für einen Sonntag klingelte der Wecker. Einen kalten Kaffee auf den Beifahrersitz und das Navi eingeschaltet, treffen wir nach rund drei Stunden im Cobra Museum in Amstelveen ein. Amstelveen liegt ca. 20 min Fahrzeit südlich vom Hauptbahnhof Amsterdam Centraal entfernt und ist neben dem ÖPNV auch hervorragend über die Autobahn zu erreichen. Wir parken in einer Nebenstrasse, keine 250 Meter vom Haupteingang entfernt.
Cobra Museum voor Moderne Kunst
Das Obergeschoss des Museums ist vollständig für die neueste Ausstellung von Anton Corbijn reserviert. Direkt zieht es uns nach oben. Und wir werden begrüsst vom Logo des gleichnamigen Bildbandes (den es natürlich auch im Museumshop zu kaufen gibt). Bevor wir uns den Bildern widmen, screenen wir ein wenig das anwesende Publikum: Jung und alt, flippig und konservativ. Ein herrlicher Schnitt durch die Gesellschaft. Und neben Niederländisch hören wir in diversen Ecken Menschen englisch, französisch und deutsch reden.
Viele Besucher fotografieren die Fotografien an den Wänden. Einige knipsen mit ihren Handy’s, wenige mit digitalen Kameras. Auffällig sind aber diejenigen Besucher, die mit analogen Kameras festhalten, was das Auge sieht. Das Weiterspulen des Films und das doch recht deutliche Auslösegeräusch löst bei uns ein Grinsen auf den Wangen aus. Ob wirklich alle einen High ASA Film eingelegt haben?
Spielecke für Kinder
Das nächste, was uns auffällt, ist die Spielecke für Kinder. In Deutschland haben wir eine solche Idee schon lange nicht mehr gesehen, aber hier in den Niederlanden scheint dies relativ normal. Denn irgendwie haben nur wir ungläubig geguckt, dies in einem Museum zu entdecken – für die Niederländer wirkte dies ganz normal.
Eintauchen in die Welt der Mode
Während viele bekannte Fotografen ihre Heimat in der Fashion Fotografie haben (z.B. Irving Penn, Helmut Newton, Peter Lindbergh) und ab und an Abstecher in andere Genres wagen, ist es bei Anton Corbijn umgekehrt. Er ist auf Portraits, genauer gesagt auf Portraits von Musikern, spezialisiert und übernimmt ab und an auch Aufträge aus der Modebranche. In der aktuellen Ausstellung unweit von Amsterdam wird genau dies transparent: Viele der dort gezeigten Menschen stammen aus der Modewelt und man ordnet sie auch direkt diesem Genre zu. Die ausgestellten Portraits von Donatella Versace und Giorgio Armani zum Beispiel sind nicht nur weltbekannte Motive aus der Feder von Anton Corbijn, sondern stehen zugleich symbolisch für die Mode.
Mit ikonischen Portraits von Top-Models wie Naomi Campbell oder Kate Moss wird dieser modische Exkurs nur einmal mehr verdeutlicht. Doch bei Anton Corbijn steht nicht die Kleidung selbst im Vordergrund. Immer geht es in seinen Bildern um die Menschen. Auch wenn die Ausstellung kein einziges Motiv dieser Art zeigt, so fühlen wir uns beim Durchstreifen der Ausstellung immer und immer wieder an das legendäre Coverbild der amerikanischen Vogue von 1988 erinnert: Peter Lindbergh zeigte dort die Supermodels Estelle Lefébure, Karen Alexander, Rachel Williams, Linda Evangelista, Tatjana Patitz und Christy Turlington in weissen, ungebügelten Hemden. Jeder nur halbwegs für Fotokunst Interessierte kennt dieses Motiv. Doch so wie es bei Peter Lindbergh nicht die Hemden waren, die das Hauptmotiv darstellten, so sind es auch bei Anton Corbijn eher die Menschen, die er auf seine Art portraitiert und deren Charakter durch die gewählte Kleidung unterstrichen wird.
Bekannte Musiker aus aller Welt
So zeigt die Ausstellung „Anton Corbijn – MOØDe“ zahlreiche bekannte Stars aus der Musikbranche. Michael Stipe (R.E.M.), Bono (U2), Marilyn Manson, Martin Gore (Depeche Mode), Nick Cave, Lenny Kravitz und viele mehr. Als die Band Depeche Mode im Jahr 2020 in die Rock’n’Roll Hall of Fame aufgenommen wurde, sagte der Sänger der Band, Dave Gahan: „Ich möchte mich bei Anton Corbijn bedanken, der Gott sei Dank zur richtigen Zeit zu uns stiess und uns tatsächlich cool aussehen liess. Anton war in der Lage, dem Sound, den wir zu kreieren begannen, eine visuelle Identität zu geben.“
Dave Gahan’s Worte könnten durchaus die Subheadline der Ausstellung sein. Denn was der Sänger und Frontmann von Depeche Mode vor knapp vier Jahren sagte, gilt auch für andere Musiker. Und so schlägt sich der Kreis zwischen Mode und Musik, zwischen Kunst und Fotografie.
Mehr Modefotografie als man denkt
Die Ausstellung „Anton Corbijn – MOØDe“ zeigt, was in der öffentlichen Wahrnehmung gar nicht so viel Bewusstsein erfährt: Anton Corbijn ist eben nicht nur einer der bekanntesten Musiker-Fotografen und zugleich ein begnadeter Filmregisseur. Nein, auch auf dem Parkett der Mode hat der Spuren hinterlassen, die (zumindest uns) gar nicht so präsent waren: So hat Anton Corbijn eine Kampagne für Levi’s Jeans geschossen, er zeigt ikonische Motive der Chanel Haute Couture Show von 2021 und genauso die Leadkampagnenfotos der Skateboardmarke Supreme oder die Anzeigenmotive der Jeansmarke G-Star-Raw.
Wer ohne vorher den gleichnamigen Bildband studiert zu haben, durch die Ausstellung in Amstelveen schlendert, der wird vermutlich überrascht sein, wie viele medial bekannte Motive schlussendlich dem geschulten Auge von Anton Corbijn zu verdanken sind.
Für wen lohnt sich der Besuch der Ausstellung?
Gute Gründe, um Richtung Amsterdam zu fahren, gibt es grundsätzlich immer Viele. Doch die Ausstellung „Anton Corbijn – MOØDe“ bietet zusätzliche, schlagkräftige Argumente. Versuchen wir mal die Zielgruppen zu beschreiben:
- Für Fans von Anton Corbijn, Sammler seiner Fotokunst und Freunde seiner Bildbände ist diese Ausstellung ein Muss.
- Fotobegeisterte, die meinen, Anton Corbijn besässe nur Schwarzweiss-Filme, sollten unbedingt nach Amstelveen fahren, um sich vom Gegenteil zu überzeugen.
- Kunstliebhaber, die die erste Ausstellung zum neuen Bildband (Knokke-Heist, Belgien) wegen COVID nicht besuchen konnten, sei das südliche Amsterdam herzlich empfohlen: Denn dort befinden sich exakt 20 Motive mehr in der Ausstellung als noch in Knokke-Heist).
- Besitzer des gleichnamigen Bildbandes, denen die Motive im Buch zu klein erscheinen, haben ebenfalls einen guten Grund in die Niederlande zu reisen.
- Menschen, die nicht weit von Amsterdam wohnen, sollten sich die Gelegenheit eh nicht entgehen lassen.
- Technikbegeisterte, die glauben, dass die neueste Kameratechnik notwendig wäre, um eine weltweite Bekanntheit zu erlangen, können sich hier vom Gegenteil überzeugen.
Und natürlich gibt es noch viele andere gute Gründe. Gerade dann, wenn es darum geht, selbst Inspiration für eigene Motive zu finden, sind Ausstellungen von Anton Corbijn stets eine Bereicherung. Denn jedes Motiv ist anders. Ein Standard-Setting gibt es nicht. Nur die Rahmungen von Anton Corbijn sind stets in seinen eigenen Standardgrössen. Das fällt spätestens dann auf, wenn man zuvor schon zwei oder drei Ausstellungen des Ausnahmekünstlers gesehen hat.
Der Eintritt kostet für Erwachsene 20 EUR, für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren ist der Eintritt frei, für Studenten kostet der Eintritt 9,50 EUR. Bei vorheriger Anmeldung online können Pressevertreter mit einem gültigen Presseausweis kostenfrei die Ausstellung besuchen. Tickets können hier online vorbestellt werden. Im Museumsshop gibt es unter anderem den Bildband von Anton Corbijn und zwei Ausstellungsposter zu kaufen.