Via Zoom-Konferenz sind wir mit Anita Beckers verbunden. Sie ist nach Madrid gereist, um auf der ARCO einzigartige Kunstwerke zu zeigen. Doch bevor sie zur offiziellen Eröffnung geht, sitzt sie im Hotel am Computer. Mit uns! Warum? Parallel bauen gerade ihre Mitarbeiterinnen in Frankfurt die Ausstellung von Christiane Feser ab, um gleich danach das neueste Highlight aufzuhängen. Denn kaum dürfen Museen und Galerien wieder öffnen, soll jeder einzelne Tag genutzt werden. Notfalls doppelt – in Madrid und Frankfurt.
Ein Interview mit einer Galeristin, die seit Jahrzehnten mit der Kunst verbunden ist und sich in Frankfurt (aber nicht nur dort) für Künstler und vor allem für Nachwuchskünstler einsetzt. Gerade jetzt, in dieser Corona-Zeit.
SWAN Magazine: Grüsse Dich Anita. Geht es Dir gut?
Anita Beckers: Blendend. Ich dachte, ich müsste schon um 13 Uhr auf der Messe sein, habe aber nun eine zusätzliche Stunde Zeit. Das kommt nicht oft vor, in diesen Tagen.
SWAN Magazine: Lass uns über Deine neueste Ausstellung sprechen. Einer der grössten lebenden Fotografen stellt erneut bei Dir in Deiner Galerie seine Kunstwerke aus. Wie oft hast Du Anton Corbijn schon ausgestellt?
Anita Beckers: Och, den Einstieg ins Interview habt ihr ja klasse ausgewählt. Genau die Frage kann ich nicht beantworten! Nun, wir machen seit mehr als 25 Jahren Ausstellungen zusammen. Zehn Ausstellungen von und mit Anton Corbijn werden es bestimmt sein. Das kann ich aber mal nachprüfen.
SWAN Magazine: Seid wie vielen Jahren kennt Ihr Euch schon und wie ist der Kontakt zustande gekommen?
Anita Beckers: Ich kenne Anton nun schon seit mehr als 30 Jahren. Und ganz konkret kann ich mich gar nicht mehr daran erinnern, wie genau das war. Aber ich weiss noch gut, dass mein Mann und ich die Arbeiten von Anton Corbijn zuerst in Amsterdam gesehen hat. Das war in den 80er Jahren in der Galerie Torch. Damals hat mein Mann gleich drei Arbeiten von Anton gekauft: David Bowie, Miles Davis und Don Van Vliet. Die sind alle aus Anton’s Serie “Famous”.
Kurz darauf hatte die Galerien Torch und Onrust in Zusammenarbeit eine Ausstellung mit Anton Corbijn in Köln gemacht. Die hatte ich damals besucht. Denn da war Anton Corbijn persönlich vor Ort. Ein gross gewachsener, aber extrem scheuer Mann. Ich habe bestimmt damals schon ein paar Worte mit ihm gewechselt, aber was mir viel mehr in Erinnerung geblieben ist, sind die vielen Menschen, die alle Kontakt zu ihm suchten.
SWAN Magazine: Das klingt so, als hätte Dich seine Bekanntheit überrascht.
Anita Beckers: Oh ja, das hat sie. Ich bin auf einem Bauernhof im Odenwald gross geworden. Dort hatte man keine Möglichkeiten, in die Disco zu gehen und hatte zudem ganz andere Aufgaben zu erfüllen. Die internationale Musikszene war mir nicht wirklich ein Begriff. Aber die Besucher, die in Köln vor Ort waren, kannten Anton alle über die Musiker. Ich war also recht unbedarft und habe mich regelrecht geschämt, weil ich eigentlich gar nicht mitreden konnte. – Darf ich dazu eine Anekdote erzählen?
SWAN Magazine: Gerne. Schiess los!
Anita Beckers: Als wir die erste Ausstellung mit Anton Corbijn hatten, war die Galerie noch in einer Industriehalle in Darmstadt. Eines Abends vor der Eröffnung kam der Kurier aus Holland mit den Bildern von Anton. Ich war an dem Abend alleine in der Galerie und war so neugierig, dass ich sie alle nacheinander ausgepackt und an die Wand gestellt habe. Wir zeigten die Lithprints mit ganz wenigen grösseren Farbabzügen aus der Star Trak Serie.
Vielleicht kennt ihr das. Als die Bilder alle an den Wänden standen und mich diese Stars ansahen, hatte ich plötzlich ein Gefühl von Erhabenheit. Ein Gefühl, das man ganz selten im Leben erlebt. Das war alles so surreal und doch so nah. Musiker, Schauspieler und besonders Martin Scorsese schauten mich an. Ein Werk war eindringlicher, als das nächste. Das war so ein magischer Moment, dass es bei mir noch am selben Abend klick gemacht hat und ich begann, mich sehr intensiv mit der Popmusik zu beschäftigen. Aus heutiger Sicht unvorstellbar, nachdem wir heute auf alles durch das Internet Zugriff haben.
SWAN Magazine: Wir haben schon frühere Anton Corbijn Ausstellungen von Dir besucht. Die haben aber in anderen Locations stattgefunden. Wo findet denn die diesjährige Ausstellung statt?
Anita Beckers: “ALL DRESSED UP” zweigen wir ab dem 7. Juli 2021 in der neuen Galerie in der Stadtmitte von Frankfurt, in die wir 2015 umgezogen sind. Die neue Galerie ist kleiner, dafür aber am besseren Standort.
SWAN Magazine: Wie macht Ihr die Bildauswahl? Wer entscheidet?
Anita Beckers: Wir zeigen ja in der Regel immer die neueste Werkserie. Da besteht ja ein Kontingent von Arbeiten, aus denen mein Mann, unsere MitarbeiterInnen und ich auswählen. Alles unter einen Hut zu bekommen, ist wirklich eine Herausforderung. Aber das Gute dabei ist: Wir haben stets noch ein paar Kunstwerke mehr, sodass wir zwischendurch einmal wechseln können… Für die aktuelle Ausstellung konnte Anton nicht in Frankfurt sein, da er an einem neuen Dokumentarfilm in London arbeitet und die Coronabedingungen ein spontanes Reisen nicht ermöglichen. Mittels moderner Technik konnte dann die Hängung abgestimmt werden.
SWAN Magazine: Wir leben immer noch in Zeiten von Corona und die Rahmenbedingungen ändern sich gerade jetzt in der Ferienzeit täglich. Was muss man denn tun, um sich bei Dir die Ausstellung live anschauen zu können?
Anita Beckers: Das ist gottseidank aktuell nicht mehr so schwierig, wie noch vor ein paar Wochen. Wir werden in den nächsten Stunden unsere Website aktualisieren und einige Werke auch dort präsentieren. Da Anton selbst nicht zur Ausstellungseröffnung kommen kann, werden wir ihn mit einem Onlinebeitrag zur Eröffnung einbinden. Was im Laufe der Ausstellung noch an Formaten entstehen wird, kann man der Homepage entnehmen. Die Ausstellung „ALL DRESSED UP“ resultiert aus seiner letzten grossen Ausstellung Moøde, zu der auch ein umfangreiches Buch erschienen ist und nochmals einen anderen Ansatz verfolgt.
Zudem haben unsere Newsletterempfänger schon eine E-Mail erhalten, über die auch Termine zur Besichtigung vereinbart werden können. So können wir die Besucheranzahl steuern und hoffentlich muss niemand zu lange vor der Türe warten.
SWAN Magazine: “Schlange stehen” ist ein gutes Stichwort. Ich war vor zwei Jahren bei der letzten Anton Corbijn Ausstellung bei Dir in Frankfurt. Allerdings am Tag vor der Eröffnung, als noch die Fenster zugehangen waren. Da wollte ich einen Blick erhaschen und konnte damals tatsächlich ein Bild von U2 in der Nähe des Eingangs durch einen Spalt sehen. Zur Vernissage selbst konnte ich terminlich bedingt leider nicht mehr in Frankfurt sein. Ich kenne aber Gäste, die berichteten, dass der Andrang so gross war, dass zeitweise die Strassenbahn nicht mehr ungebremst passieren konnte…
Anita Beckers: Das war in der Tat so. Deswegen ist es gerade für Besucher, die von weiter her anreisen sicher wichtig, vorher einen Termin abzustimmen. Das geht aber ganz bequem digital über unsere Website. Und zudem braucht aktuell niemand einen PCR-Test mitzubringen. Nur die Masken sind leider Pflicht. Aktuell können wir zehn Gäste zeitgleich in die Galerie hineinlassen. Doch wichtig wird es sein, sich laufend mit den aktuellen Corona-Bestimmungen bei uns in Hessen zu beschäftigen. Was heute gilt, muss morgen ja nicht mehr gültig sein. Hier sehen wir auch die Besucher ein wenig in der Pflicht, werden aber auch die Informationen auf unserer Homepage immer wieder nachjustieren, wenn dies erforderlich ist.
SWAN Magazine: Wie ist das mit dem Besucherandrang in der Praxis? Kannst auch Du eine typische degressive Entwicklung (zur Vernissage am meisten Besucher, danach sukzessive immer weniger, zur Finissage aber nochmal ein Peak) feststellen?
Anita Beckers: Bei normalen Ausstellungen ist das sicher so. Bei Anton Corbijn gelten schon immer andere Gesetze. Da gibt es stets Sondereffekte, die wir nicht vorhersagen können.
SWAN Magazine: Das klingt nach einer weiteren Anekdote…
Anita Beckers: In der Tat. Als Galeristin wundert man sich ja schon, wenn plötzlich viel mehr schwarz gekleidete Menschen als sonst kommen. Also gerade dann, wenn die nicht nur ein schwarzes Hemd tragen, sondern eher so gruftimässig gekleidet sind. Vor zwei Jahren waren das auf einmal so viele, dass ich dann doch einmal neugierig gefragt habe.
SWAN Magazine: Und, was kam dabei raus?
Anita Beckers: Bei der vorletzten Ausstellung gab es eine Sonderveranstaltung mit Coverbands von Depeche Mode auf einem Schiff am Main. Die Ausstellung, in der auch Fotos von Depeche Mode zu sehen waren, hatte sich scheinbar unter den Fans herumgesprochen und demzufolge kamen die Fans – entsprechend gekleidet – um sich die Fotos von Anton anzusehen.
Da die Galerie über grosse Schaufenster verfügt, erreichen die Ausstellungen zufällig auch Menschen, die normalerweise nicht in die Galerien kommen.
Was ich dabei noch sehr spannend finde, ist die riesige Altersvarianz, die bei Depeche Mode zusammenkommt. Die Fans sind ja nicht alle im Alter von Dave, Martin und Andrew, sondern teilweise richtig jung. Das ist schon faszinierend, welch magnetische Wirkung diese Band bis heute besitzt. Auch hier kann ich immer wieder lernen, denn ich bin allgemein interessiert und nicht fokussiert auf eine Band.
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SWAN Magazine: Das ist eine tolle Überleitung. Denn Anton Corbijn hat für Bands wie Depeche Mode, U2, Metallica oder Coldplay ja nicht nur ikonische Fotos gemacht, sondern auch ihren Style beeinflusst. Er hat die Mode der Stars mit geprägt und die Bedeutung der Mode in der Musik herausgearbeitet. Genau das zeigt ja sein Buch Moøde und jetzt auch die Ausstellung in der Galerie Beckers.
Anita Beckers: Bei mir persönlich geht es sogar noch weiter: Ich habe die Sozialisierung in der Musik habe ich einzig und allein der Zusammenarbeit mit Anton zu verdanken. Freddie Mercury zum Beispiel habe ich erst sehr spät für mich entdeckt. Er gehört zu meinen Lieblingssängern, ist aber leider zu früh verstorben.
SWAN Magazine: Nun hast Du durch den persönlichen Draht zu Anton Corbijn ja auch noch einen anderen Vorteil: Du wirst sicherlich die eine oder andere Anekdote auch von Anton selbst zu hören bekommen?
Anita Beckers: Ja, wer sich mit Kunst beschäftigt, muss sich zweifellos auch mit den Personen auseinandersetzen. Anton unterhält m. E. sehr intensive Beziehungen zu den KünstlerInnen, die er lange begleitet und mit denen er Freundschaften pflegt. Mir ist u. a. in Erinnerung, wie sehr er Kurt Cobain gemocht und respektiert hat. In dem Bereich begegnen wir uns mit grossem Respekt, denn diese persönlichen Beziehungen stellt Antons immensen Reichtum dar. Wir sind sehr glücklich, wenn wir in Form von Ausstellungen daran partizipieren dürfen.
Mir fällt immer wieder auf, weil bestimmte „Stars“ in seinem Oeuvre fehlen, dass die Auswahl auch eine sehr persönliche ist. Man kann nach so vielen Jahren Erfahrung und Praxis sein Werk entsprechend deuten. Ein bisschen hat seine ganze Herangehensweise und sein Stil auch mit seiner calvinistischen Erziehung zu tun.
SWAN Magazine: Bei der heute startenden Ausstellung geht es aber um die Mode, richtig?
Anita Beckers: Ja, die neue Ausstellung beschäftigt sich im weitesten Sinne mit dem Thema Mode. Die erste Ausstellung fand in Knokke (Belgien) statt und dazu erschien ein grosses Buch. “ALL DRESSED UP” ist der Titel unserer Ausstellung. Dieser Titel lässt den nötigen Interpretationsraum, der Mode mit einbezieht. Man kann sich in der Ausstellung zu jedem Bild die Frage stellen, wie “ALL DRESSED UP” bei diesem Bild gemeint ist… Die Verbindungen zum Thema Mode bestehen aber schon von Anbeginn seiner Arbeit als Fotograf.
SWAN Magazine: Gibt es ein Motiv, das Dich ganz besonders beschäftigt?
Anita Beckers: Ja! Mir geht das Portrait von Donatella Versace (im Buch Moøde auf Seite 98) nicht mehr aus dem Kopf. Das Bild hat sich für mich noch nicht erschlossen. Mich wundert, dass eine Frau wie Donatella ein solches Bild überhaupt zur Veröffentlichung freigegeben hat. Auf dem Bild ist sie als Beauty Victim ja nicht gerade positiv dargestellt. Das Bild ist in meinen Augen eines der provokantesten Fotos, die Anton je gemacht hat. Und trotzdem zeigt es eine starke Frau!
SWAN Magazine: Wird es genau dieses Motiv denn auch zu sehen geben?
Anita Beckers: Ja, natürlich. Das will ich unbedingt zeigen. Mich interessieren vor allem die Reaktionen der Besucher auf dieses Bild, wenn es da in riesengross an der Wand hängt.
SWAN Magazine: Wie gross sind die Bilder denn, die Ihr dieses Jahr ausstellt?
Anita Beckers: Nagele mich nicht auf den Zentimeter fest. Aber seit 1-2-3-4 (was wir ja in Frankfurt um die 5 ergänzt hatten) sind die Bilder von Anton Corbijn alle 145 x 145 cm gross. Für alle Fotos bestimmt er auch einen Rahmen, der Bestandteil des Kunstwerkes ist. Dass die Fotos nach dem neuesten Stand der Technik produziert und gerahmt sind, versteht sich von selbst.
SWAN Magazine: Wird es denn alle gezeigten Bilder auch zu kaufen geben?
Anita Beckers: Ja und nach unserer Vorankündigung zur Ausstellung kamen auch schon die ersten Anfragen.
SWAN Magazine: Gerade bei grossen Künstlern, wie Anton Corbijn zweifelsfrei einer ist, haben die Preise in den letzten Jahren mächtig angezogen. Die drei Bilder, die Dein Mann Ende der 80er Jahre gekauft hat, würden heute sicher nicht mehr für den gleichen Preis den Besitzer wechseln. Wie bewertest Du das – vielleicht mal mit einem besonderen Augenmerk auf junge kunstinteressierte Menschen.
Anita Beckers: Ich bedaure es sehr, dass es viele Menschen gibt, die sich Kunst nicht leisten können, obwohl sie es gerne möchten. Als Galeristin weiss ich aber auch, dass Kunst davon lebt, rar und einzigartig zu sein. Die Motive aus der Ausstellung bieten wir für 29.000 EUR an. Der Preis steigt ab Exemplar Nr. 4.
Wir rechnen mit vielen Besuchern. Auch wenn sich nicht jeder Gast ein Original leisten kann, kann man ein Buch erwerben, das alleine auch schon ein kleines Kunstwerk ist. Denn als Galerie verstehen wir unseren Auftrag nicht nur so, Kunst meistbietend zu verkaufen, sondern auch so, Kunst vielen Menschen zugänglich zu machen. Wir müssen zeigen, dass die Teilhabe an Kunst etwas ist, was einen bleibenden Eindruck beim Betrachter hinterlassen kann. Das ist gerade jetzt in bzw. nach der Corona-Krise wichtig.
SWAN Magazine: Meinst Du, dürfen wir Anton mal als Beispiel nutzen, um die Preisentwicklung über die Zeitachse etwas näher zu beleuchten?
Anita Beckers: Ja, ich denke schon. Es geht hier ja nicht darum, den Preis eines einzelnen Motivs vor 30 Jahren und heute miteinander zu vergleichen. In der Zeit gab es ja auch eine Währungsumstellung und eine Inflation. Ganz grob haben sich die Preise bei Anton lange Zeit recht langsam entwickelt, wie ich finde. Erst als er mit seinen Filmen zusätzliche internationale Bekanntheit erlangt hat, ist die Preisdynamik angestiegen. Und jetzt mit seiner Berühmtheit liegt er einfach in einer anderen Preisregion als andere Künstler. Es gibt aber auch nicht mehr viele lebende Fotografen mit diesem Rang und Namen. Auch das verändert ja bekanntlich die Preise.
Die Preisentwicklung hat einfach so viele Faktoren, dass es immer falsch ist, den Preis an einer Sache festzumachen. Bei Anton kommen nochmals zusätzliche Faktoren zusammen, die preisbildend wirken. Anton hat viele Jahre hart gearbeitet, sich das Vertrauen erworben und auch dadurch ist eben eine hohe Nachfrage entstanden. Er kann heute auswählen, mit wem er arbeitet. Aber noch immer bedient er zahlreiche Themen parallel. Die Omnipräsenz -und das über Jahre hinweg- hat den Preis beeinflusst. Jeder Käufer kauft ein Stück seines Lebenswerkes und transportiert das in sein eigenes Zuhause. Das ist dieses Gefühl, das ich eingangs beschrieben habe, als ich damals noch in Darmstadt eine der ersten Ausstellungen mit ihm vorbereitet habe.
SWAN Magazine: Weisst Du, wie viele Besucher die Ausstellung zu Moøde in Knokke gesehen haben?
Anita Beckers: Auf die Nachkommastelle genau kann ich das nicht sagen. Aber laut meinen Informationen waren das zwischen 25.000 und 30.000 Besucher. Die Zahl an sich ist ja schon beachtlich. Wenn man dann aber berücksichtigt, dass ja überall Lockdowns während der Zeit waren und immer nur eine begrenzte Anzahl an Gästen zeitgleich in die Ausstellung konnte, dann zeigt das, welcher Publikumsmagnet Anton Corbijn heute ist. Die Besucher kamen aus ganz Europa!
SWAN Magazine: Wie viele Besucher erwartet Ihr dann in Frankfurt?
Anita Beckers: Das lässt sich ganz schwer sagen. Auch deswegen nicht, weil wir nicht wissen, ob die gesamte Ausstellungsdauer über die gleichen Corona-Vorschriften gelten, oder eben nicht. Jede Lockerung kann die Anzahl steigern, jede Verschärfung das Gegenteil auslösen. Die zahlreichen Rückmeldungen und Terminbuchungen auf die erste Ankündigungsmail hin lassen aber vermuten, dass die Leute kommen werden. Kunst und Kultur sind lange zu kurz gekommen, auch das darf man nicht ausser Acht lassen.
SWAN Magazine: Viele unserer Leser kommen auch aus den Nachbarländern. Österreich, Schweiz, Italien, Liechtenstein, Luxemburg. Weisst Du, ob es weitere Ausstellungen zu Moøde geben wird?
Anita Beckers: Ja, es soll weitere Ausstellungen geben, aber genau bin ich da nicht informiert. Ich weiss aktuell nur, dass es in Deutschland in 2021 wohl keine weitere Ausstellung geben wird.
SWAN Magazine: In unserem Vorgespräch hast Du berichtet, dass in der Ausstellung rund zehn grossformatige Kunstwerke zeitgleich zu sehen sein werden. Du hast aber auch berichtet, dass Ihr zusätzliche Motive besitzt. Das wirft natürlich die Frage auf, ob Ihr einen festen Rhythmus habt, in dem einzelne Bilder getauscht werden. Oder anders herum, ob es lohnt, für jede Woche einen Besichtigungstermin auszumachen…?
Anita Beckers: Es ist richtig, dass wir Motive tauschen können und dies sicherlich über die rund zwei Monate dauernde Ausstellung auch tun werden. Aber einen festen Rhythmus gibt es nicht. So etwas machen wir auch von den Reaktionen der Besucher auf die gezeigten Bilder abhängig. Aus Gesprächen werden wir verschiedene Interessen feststellen. Wir sind ja auch selber neugierig, nochmals eine andere Zusammenstellung in der Ausstellung zu haben. Für uns ist es wichtig, unseren Gästen ein eindrucksvolles Erlebnis zu bieten.
SWAN Magazine: Nun wissen wir, dass wir unter den Lesern einige Depeche Mode und U2 Fans haben. Wird es von beiden Bands auch Motive zu sehen geben?
Anita Beckers: Ja, von Depeche Mode wird gleich zu Beginn das neue Motive mit den künstlichen Bärten zu sehen sein. Von U2 haben wir ein Bild von The Edge im roten Frauenkleid. Ein sehr starkes Motiv, das in der nächsten Zusammenstellung gezeigt wird.
SWAN Magazine: Du hast Anton Corbijn eben mit zwei Worten beschrieben: Gross und schüchtern. In der Presse wird er jedoch als Starfotograf bezeichnet. Ein Begriff, der ein wenig suggeriert, dass er auch Star-Allüren besitzt. Das deckt sich so gar nicht mit unserem Bild von ihm…
Anita Beckers: Nun, ich glaube, ich kenne Anton zwischenzeitlich recht gut. Dennoch muss ich natürlich betonen, dass ich nicht immer dabei bin, wenn er unterwegs ist. Ich habe ja einen anderen Job und bin nicht seine Assistentin. Insofern kann ich nur über das berichten, was ich erlebe. Seine langjährige Zusammenarbeit mit Stars öffnet ihm viele Türen und er spricht natürlich mit langjährigen Weggefährten auf Augenhöhe. Er ist unglaublich professionell, hat ein Gedächtnis wie ein Computer und andere positive Eigenschaften.
SWAN Magazine: Wie nimmst Du ihn persönlich wahr?
Anita Beckers: Man hat oft auch das Gefühl -was auch in der Dokumentation über ihn so rüberkommt- er ist der Lonely-Wulf, ständig mit Zweifeln an der eigenen Person geplagt. Aber er ist in seinen Zielen glasklar und immer fokussiert. Ich glaube besonders bedeutend für ihn war die späte, aber intensive Freundschaft zu Peter Lindbergh.
SWAN Magazine: Also Star-Allüren besitzt er nicht?
Anita Beckers: Lass es mich so beschreiben. Wenn ich ihn auf den Ausstellungen beobachte, ist er den Menschen, mit denen er gerade spricht, total zugewandt. Da gibt es keine Allüren. Es wird immer erzählt, dass er einen trockenen Humor hat und Witze erzählen kann, die ich dann leider aufgrund der Sprache nicht wirklich verstehen kann.
SWAN Magazine: Was ist in Deinen Augen das Geheimnis des Erfolgs von Anton Corbijn?
Anita Beckers: Wenn man einen Menschen seit so vielen Jahren kennt und wertschätzt, dann führt das unweigerlich zu einem sehr subjektiv geprägten Bild. Ich versuche deswegen immer meine Leidenschaft für seine Arbeit von dem zu trennen, wie die Aussenwelt auf seine Bekanntheit reagiert.
In meinen Augen ist es so, dass es einen stetigen Wandel gab. Vor rund 25 Jahren hat Anton mit seinen Fotos die Fans bestimmter Musikgrössen begeistert. Diese Art der Fotografie war vor 25 Jahren noch nicht im Bereich der Kunst etabliert. Da wurden noch Unterschiede zwischen High and Low gelebt. Heute sieht das ganz anders aus, das V&A Museum in London zeigte u. a. eine Ausstellung zu Pink Floyd. Jetzt mit Abstand kann man erst feststellen, wie die Musik und die Fotografie das Lebensgefühl bestimmter Epochen geprägt hat.
Dann aber kam Peter Weiermair. Er war lange Jahre Direktor des Frankfurter Kunstvereins und hatte immer früh ein unheimliches Auge dafür, die Talente in der Fotografie -also diejenigen, die wirklich eine eigene Handschrift besitzen- zu identifizieren und zu fördern. Peter Weiermair hat mit Anton eine grosse Einzelausstellung im Jahr 2003 im Museum von Bologna (Italien) ausgerichtet, dessen Direktor er seinerzeit war.
Das spannende dabei: Peter Weiermair hat das einzigartige Profil von Anton schon damals erkannt und ich muss zugeben, dass ich dies aus der Sicht des Kunsthistoriker besonders fand.
Spannend ist noch etwas anderes: Anton selbst möchte nicht auf den Begriff “Musikfotograf” reduziert werden. Da ist er ganz streng und sagt klar: “Ich bin Fotograf. Ich fotografiere Berühmheiten.” Ich sehe das nicht so hart und sage immer: Ohne die frühen Musikerportraits gäbe es den Anton Corbijn auch nicht so, wie er heute ist. Sein persönliches Interesse an Menschen kann man ja aus seinen Fotos ablesen. Für mich persönlich sind seine Werke vorwiegend eins: „Erlebte Musik“. Denn die Musik hat auch ihn sozialisiert… man denke nur an U2, deren Musik er zu Beginn nicht besonders mochte, aber die Zusammenarbeit mit dieser Band heute wohl zu seinen wichtigsten Erfahrungen zählt. Das sieht man auch in seinem Buch U2 and I.
SWAN Magazine: Du spielst vermutlich auf ein Sprichwort an: “Sage mir, mit wem du umgehst, so sage ich dir, wer du bist”…
Anita Beckers: Nun, auch an diesem Sprichwort ist ein wenig Wahrheit dran… aber ich meine das nicht einseitig. Anton hat Bands wie Metallica, U2, Coldplay, Depeche Mode auch viel gegeben. Er hat ihnen eine “visual identity” geschaffen. Dies hat auch viel mit Mode und Kleidung zu tun. Alles weglassen, was nicht von Bedeutung ist und versuchen, dem Menschen so nah wie möglich zu kommen, ist sein Credo.
SWAN Magazine: Gerade die Musiker haben Anton aber natürlich auch jede Menge Vertrauen geschenkt…
Anita Beckers: Ich würde es nicht als Geschenk darstellen wollen. Das Vertrauen hat er sich erarbeitet. Bis eine Band einem Fotografen Fotos, Filme, Plattencover, Tourplakate, Eintrittskarten, Merchandise, Bühnenbild und noch viel mehr anvertraut, vergeht schon etwas Zeit. Aber genau das ist es doch, was dazu führte, dass Anton Corbijn (und niemand anderes) Dave Gahan kurz vor seiner Nahtod-Erfahrung auf dem Bett liegend fotografieren durfte.
SWAN Magazine: Der Titel seines aktuellen Buchs heisst Moøde. Interessiert sich Anton überhaupt für Mode?
Anita Beckers: Ja, sehr sogar. Es gibt sogar Fotos im aktuellen Buch, wo er im langen Mantel über den Laufsteg läuft. Viele Menschen verwechseln Mode ja mit jährlich wechselnden Trendfarben. Anton ist sehr interessiert an der Mode und hat Vorlieben für bestimmte Designer, deren Kleidung er auch selbst trägt.
SWAN Magazine: Eine Frage noch zum Schluss. Was ist Dein ultimativer Tipp für alle, die sich für Fotokunst interessieren?
Anita Beckers: Ganz einfach: Immer wieder in Ausstellungen gehen und dann vor allem eins: Gucken, gucken und nochmal gucken! In der heutigen Bilderflut -gerade in den digitalen Medien- braucht es Kennerschaft, um Besonderheiten zu erkennen. Magazine, Ausstellungen und Kritiken sind das Traninigsgerät der Augen. Wenn man dies nutzt, wird man für den Rest seines Lebens nicht mehr an Langeweile leiden.
SWAN Magazine: Liebe Anita, wir sagen ganz ganz herzlich Dankeschön. Diese wunderbaren Einblicke und Dein Know How sind etwas ganz Besonderes. Es war uns eine Freude, mit Dir digital in Madrid zu kommunizieren. Wir wünschen Dir viel Erfolg auf der ARCO und eine ganz tolle Ausstellung in Frankfurt. Wir sehen uns… in der Galerie Beckers! Wir freuen uns drauf.
Anton Corbijn – MOØDe - Ausstellung • Cobra Museum Amstelveen
März 30, 2024 @ 6:00 pm
[…] aus der Modewelt und man ordnet sie auch direkt diesem Genre zu. Die ausgestellten Portraits von Donatella Versace und Giorgio Armani zum Beispiel sind nicht nur weltbekannte Motive aus der Feder von Anton Corbijn, […]