Distance. Wer denkt bei diesem Titel nicht spontan an den Corona-Virus und seine Folgen? Aber Distanz ist keine Erfindung von Corona. Distanz gab es schon vor Corona. Und Distanz wird es auch nach Corona weiterhin geben. Aber vielleicht anders! Vielleicht anders?
Viele Menschen betrachten auch die voranschreitende Digitalisierung als einen Treiber von Distanz. Aber gerade Corona lässt uns live erleben, wie es gerade die Technik ist, die es uns ermöglicht, räumliche Distanz zu überwinden… ja, sogar in fremde Wohnzimmer hineinzublicken.
Keine Frage, dieser Virus hat uns zahlreiche lieb gewonnene Rituale genommen. Konzerte, Aufführungen, Weihnachtsmarktbesuche, Ausstellungen und vieles mehr. Gerade in diesen Tagen vor Weihnachten fällt das besonders auf – und auch ins Gewicht.
Das betrifft uns als Konsumenten – aber die Künstler, die Musiker, die Veranstalter noch viel mehr…

Künstlerszene überproportional von Pandemie betroffen
Während die Pandemie im Dienstleistungssektor sogar als Segen wahrgenommen werden kann (Beispiel: Endlich sind mehr Unternehmen bereit, Homeoffice anzubieten und damit auch der Umwelt einen Ehrendienst zu erweisen), stellt die Pandemie insbesondere die Kunst-, Kultur- und Veranstaltungsszene auf eine nie dagewesene Belastungsprobe.
Einer, der von der Pandemie betroffen ist, ist Wolfgang Sohn. Viele unserer Leser und Abonnenten kennen „Wolf“ (wie ihn seine Freunde nennen) nur als Veranstalter der PHOTO POPUP FAIR. Doch diese Fachmesse für zeitgenössische Fotokunst ist „nur“ die Quintessenz seines Schaffens. Denn Wolfgang Sohn ist vor allem Fotograf, Veranstaltungsprofi, Konzeptionist, Kommunikationsfachmann, Lifestyleexperte und Dozent. Und ganz nebenbei ist er Netzwerker.
Ein Netzwerker
Diese breite Aufstellung und seine über Jahrzehnte angehäuften Kenntnisse, Fähigkeiten und Kontakte in allen diesen Wirkungsbereichen machen ihn zur Idealbesetzung des kreatives Kopfs der PHOTO POPUP FAIR. Denn hier kann er auf der gesamten Klaviatur seines Könnens spielen und so aus einer Hand ein einzigartiges Gesamtkonzept offerieren.
Doch die Corona-Krise hat auch Wolfgang Sohn und seine auf Eventdesign und Veranstaltungsmanagement spezialisierte Agentur XAWO vor immense Herausforderungen gestellt. Denn nicht nur die PHOTO POPUP FAIR konnte gute acht Monate lang nicht die Pforten öffnen, sondern auch zahlreiche andere Konzepte, die er mit XAWO im Auftrag namhafter Unternehmen geplant und vorbereitet hatte, mussten erst verschoben, dann konzeptionell angepasst und schlussendlich dann doch abgesagt werden.

Rückzug oder Angriff?
Weder noch! Viele Künstler haben sich in dieser Pandemie zurückgezogen. Sie haben einfach konzeptionell im Hintergrund gearbeitet und sind nicht weiter in Erscheinung getreten. Andere haben reine Corona-Projekte gemacht, um nicht ganz in Vergessenheit zu geraten. Wieder andere haben einfach Pause gemacht, weil eh nichts ging.
Ganz anders Wolfgang Sohn. Er hat Videos gedreht, in TV-Talks die Stimme für die Kunst erhoben und vor allen Dingen unendlich viel telefoniert. Kein Tag verging, an dem Wolf Sohn nicht zum Hörer gegriffen hat. Nicht um etwas zu verkaufen, sondern um mit den Menschen in Kontakt zu treten, die er sonst auf den Events traf, die nun nicht mehr möglich waren.
In diesen Telefonaten hat sich eine simple Frage zu Wolfgang’s Lieblingsfrage entwickelt: „Wie geht es Dir?“ Uns hat er nicht verraten, was konkret ihm seine Gesprächspartner geantwortet haben, aber er hat von einem spannenden Wandel berichtet, der über die Dauer der Corona-Krise stattgefunden hat: Zu Beginn wurde diese Frage nämlich nahezu ausnahmslos darauf bezogen, welchen Impact die Krise auf das tägliche Business hat. Dann kam eine Phase, wo es vor allem um den Frust der Betroffenen rund um die staatlichen Hilfen ging, die oft zu spät oder gar nicht ausgezahlt wurden. Doch über die Zeitachse hat eben diese immer gleiche Frage zu viel viel mehr persönlichen Themen geführt. Themen, die Wolfgang Sohn aufgezeigt haben, was diese pandemisch bedingte Distanz mit den Menschen macht. Und zwar insbesondere mit den Menschen, die besonders von dieser Krise betroffen sind.

Acht Monate Wartezeit aktiv genutzt
Völlig unabhängig von der Corona-Krise hatte Wolfgang Sohn bereits zu Beginn des Jahres 2020 eine besondere Idee entwickelt: Neben dem bekannten Ausstellungsbereich sollte es im November 2020 auf der der PHOTO POPUP FAIR No.7 einen zweiten Raum geben. Den so genannten „Black Room“. Er sollte mit besonderen Kunstwerken bestückt werden und nur zu ganz bestimmten Uhrzeiten geöffnet werden. Nämlich dann, wenn dort u.a. Workshops und Sonderveranstaltungen im Kleinstformat stattfinden sollten.
Für diese Sonderveranstaltungen hatte Wolf Sohn mit freundlicher Unterstützung eines lokalen Fotofachgeschäfts zwischen den schwarzen Wänden des „Black Rooms“ ein Fotostudio aufgebaut. Hier sollten während der Messe unter anderem Shootings mit renommierten Kameraherstellern stattfinden. Doch als die PHOTO POPUP FAIR im Herbst 2020 nicht -wie geplant- eröffnet werden konnte, kam Wolfgang Sohn auf eine andere Idee: Warum sollte er als erfahrener Fotograf, der bereits internationale Ausstellungen mit seinen fotografischen Kunstwerken bestückt hatte, das mobil errichtete Fotostudio nicht selbst zum Fotografieren nutzen?

Man nehme eine Kamera, ein Fotostudio, eine Fechtmaske und illustre Gäste
Was sich in der Headline wie ein Rezept für Fotoneulinge anhört, ist es in Realität nicht. Denn zum einen blickt Wolfgang Sohn auf eine jahrelange Fotografenkarriere zurück. Zum anderen braucht er ganz bestimmt keine Kurzanteilung zum Fotografieren. Hier geht es um etwas anderes: Wolf hat das getan, was viele andere Künstler in dieser Zeit nicht getan haben: Er hat fotografiert. Und da einige seiner konzeptionellen Aufträge für Hotels, Kanzleien und andere XAWO-Kunden vorübergehend auf Eis gelegt waren, hat er vermutlich mehr fotografiert, als in den Monaten davor.
Sein Schritt nach vorne, ein in Form des „Black Rooms“ riesiges Fotostudio und die bereits zuvor beschriebene Tatsache, dass Wolfgang jeden Tag mit Menschen aus der Kunst- und Kulturszene telefoniert hat, eröffneten ihm eine einzigartige Gelegenheit: Denn (wen wundert’s?): Die Betroffenen hatten während der Lockdowns ausgesprochen viel Zeit und sind deswegen gerne ins stilwerk angereist, um sich dort von einem guten Freund und ebenfalls Betroffenen fotografieren zu lassen.
Schon Monate zuvor (als der erste Lockdown bereits hinter uns lag und niemand mit FFP2-Masken durch die Strassen ging) hatte der Dozent für Eventmanagement an der EMBA Düsseldorf (Europäischen Medien- und Businessakademie) bereits Testaufnahmen für eine besondere Fotoserie gestartet: Anfangs noch in seinem eigenen Garten, später auch an anderen Stellen, hat der fotobegeisterte Wolfgang Sohn Menschen portraitiert, die seine Fechtmaske trugen.

Perspektiven- und Rollenwechsel
So wie Menschen an Karneval in eine Rolle schlüpfen, sobald sie ihr Kostüm angelegt haben (und das erste Bier in der Blutbahn angekommen ist), so führte das pure aufsetzen der Fechtmaske auf dem Kopf unzähliger Protagonisten auch zu in den Gesichtszügen sichtbaren Veränderungen. Hinter dem Stahlgitter geschützt und vor dem Auge der Profikamera von Wolf Sohn wurden Menschen zu glücklichen Strahlemännern, andere zum ängstlich dreinschauenden Künstler, wieder andere zum Vamp.
Doch bei diesem Projekt ging es nicht um das Verkleiden. Im Gegenteil: Es ging dabei um die Visualisierung dessen, was diese Distanz mit uns Menschen macht, wenn wir selbst betroffen sind. Psychologisch besonders interessant in dieser Konstellation ist, dass sich nicht Opfer und Täter gegenüberstehen (oder wie beim Psychologen so oft das Opfer auf einen unbeteiligten Dritten stösst), sondern auf beiden Seiten der Kamera (aber auch auf beiden Seiten der Fechtmaske) Betroffene standen.
„Man nehme eine Kamera, ein Fotostudio, eine Fechtmaske und illustre Gäste“ hört sich ja zugegebenermassen ein wenig so an wie „stell dich mit der Maske mal dahin, ich drücke dann kurz ab“. Doch wer eine solche Massenabfertigung vermutet, liegt falsch. Wolfgang hat, bevor ein einziges Bild entstand, mit jedem Protagonisten ein Gespräch geführt. Die oben schon erwähnte Frage „Wie geht es Dir?“ war dabei der Türöffner zu teilweise sehr intimen und auch unterschiedlich langen Gesprächen.
Der Wechsel von der FFP2-Maske hin zur Fechtmaske hatte dabei vermutlich einen weiteren psychologischen Effekt: Eine Mund-Nasen-Maske zu tragen, waren ja alle Teilnehmer zu diesem Zeitpunkt längst gewohnt. Doch eine Fechtmaske hatte vermutlich keiner der Teilnehmer jemals zuvor getragen… es war für viele Neuland. So wie Lockdowns für viele Menschen Neuland waren.
Die Fechtmaske sorgte allein durch ihre Machart für eine vollständig neue Perspektive. Auch wenn die von innen gut gepolsterte Fechtmaske nicht unangenehm zu tragen ist, gibt sie dem Betrachter eine ganz ungewohnte Aussicht: Das Stahlgitter, das von Stirn bis Kinn, aber auch von Ohr zu Ohr reicht, sorgte für eine ganz neue „Sichtweise“. Erstaunlich transparent erscheint dieser „Maschendrahtzaun“, wenn man von innen hindurchschaut. Doch auch wer das menschliche Auge auf das Gitter selbst scharfstellt, erlebt einen fotografisch bekannten Effekt: Der Hintergrund verschwimmt und verliert an Bedeutung… Eine kongeniale Metapher für die tatsächliche Distanz dieser Tage!

Alle hatten Zeit
Manager, Türsteher, Tänzer, Barkeeper, Fotografen, Caterer, Künstler, Someliers, Restaurantbesitzer, Journalisten und noch viele mehr. Sie alle hatten Zeit während des zweiten Lockdowns, als Wolfgang Sohn unterschiedlichste Charaktere in „sein Studio“ einlud und mit Hilfe unterschiedlicher Beleuchtungen für sehr unterschiedliche Motive sorgte – und das trotz einer immer gleichen Fechtmaske. Sie alle berichteten von den Herausforderungen dieser Tage – und genau darüber berichtet Wolfgang Sohn nichts. Auch nicht auf Rückfrage. Die Themen dieser Gespräche mutieren so zu einer Denksportaufgabe für den Betrachter von „Distance“.
Klingt langweilig? Ist es aber nicht!
Zugegeben: Normalerweise führen einheitliche Uniformen ja dazu, dass die Individualität verloren geht. Böse Zungen behaupten gar, dass der Mensch in Uniform zur Marionette wird; zum Kleiderständer. Doch schon wer vermutet, das sei bei einer Festmaske identisch, der täuscht sich.
Der schon zuvor beschriebene Blickwinkel- und Rollentausch führt zu ganz unterschiedlichen Bildergebnissen, weil die Menschen erstaunlich unterschiedlich reagieren, wenn sie -nach einem intensiven Gespräch mit Wolf Sohn- dann diese eine stets frisch desinfizierte Fechtmaske aufsetzten (bevor sie kurz darauf wieder zurück unter die FFP2-Maske schlüpfen mussten).

Zum Bildband selbst
Wer nur flüchtig durch den 200seitigen Bildband im Format 30,3 x 21,9 cm blättert, wird den Reiz des 1.363 Gramm schweren Erstlingswerks wohl kaum entdecken. Es braucht schon etwas Musse und Zeit, dieses Werk näher zu betrachten. Denn was beim flüchtigen Betrachten im Verborgenen bleibt, wird erst bei genauerer Beobachtung transparent: So gibt es Protagonisten zu entdecken, die hinter dem Gitter andächtig die Augen schlossen. Andere, die mit aufgerissenen Augen hinter dem Gitter um Aufmerksamkeit buhlen. Aber auch Menschen, die hinter der Maske ihr freundlichstes Lächeln aufsetzten, obwohl ihnen -pandemiebedingt- gar nicht danach zumute gewesen sein kann. Letzteres gab es jedoch auch umgekehrt. Manch optimistischer Frohnatur wurde erst hinter der Maske bewusst, wie eingesperrt wir gerade leben und wie wenig Möglichkeiten zum Ausbrechen tatsächlich bestehen. Und auch das sieht man, wenn man sich als Betrachter die Mühe macht, einzelne Motive miteinander zu vergleichen und sich selbst die Frage zu stellen, was die abgebildete Person wohl gerade denkt – oder noch besser: Wie diese Person wohl die Pandemie erlebt und überlebt hat…?
Die Aufforderung: Hinter die Kulissen blicken
Auch wenn eine immer gleiche Fechtmaske auf den ersten Blick fotografisch nicht sonderlich reizvoll klingen mag, liegt hier erneut das würzende Salzkorn im Verborgenen: Als Fotografen wissen wir, dass wir den Fokuspunkt in der Portraitfotografie verschieben können. Üblicherweise legen wir ihn in der Peoplefotografie auf die Augen. Und das funktioniert bei einer Fechtmaske übrigens erstaunlich gut: Aufgrund ihres grobmaschigen Schutzgitters stellt es gar kein Problem dar, die Augen knackscharf abzubilden. Doch auch die Möglichkeit, den Fokuspunkt auf das Gitter selbst zu legen und so den Protagonisten in einer gewissen Unschärfe zu belassen, hat Wolfgang Sohn während seiner Shootings bewusst als Stilmittel eingesetzt.
Vermutlich geht es vielen Betrachtern, wie uns: Beim ersten Anschauen dauert es eine Weile, bis man sich selbst mit der Frage beschäftigt, warum nicht alle Motive exakt gleich geschnitten oder gar exakt identisch ausgeleuchtet sind. Aber genau diese Konstanten hätten das Konzept vermutlich nur halb so spannend gemacht.
Trotz der ewig gleichen Fechtmaske weckt der Künstler nicht nur durch die unterschiedlichen Gesichtszüge der Protagonisten, sondern auch durch die Farbigkeit des einzelnen Motivs, aber auch durch die farblich unterschiedliche Belichtung, für Abwechslung. Und überhaupt: Auch wenn wir hier bisher streng fokussiert auf Motive mit Fechtmaske blicken, so gibt es auch zahlreiche „normale“ Portraits zu entdecken. Portraits, die ebenfalls Betroffene zeigen, aber eben nicht unter einer Maske versteckt sind. Mit diesem Stilmittel arbeitet Wolfgang Sohn bewusst gegen die Repetition – und das gelingt ihn, weil er diese Menschen so zeigt, wie sie zu ihm gekommen sind. Völlig unmaskiert und ungeschminkt.

Distance …and going closer
Aus persönlichen Gesprächen, einer intensiven Fotografie und einem immer wiederkehrenden Accessoire ist ein einzigartiger Bildband entstanden, der dazu aufruft, diese Pandemie nicht nur als medizinisches und politisches Ereignis zu betrachten, sondern die Menschen und Berufsgruppen ins Bewusstsein zu holen, die in dramatischem Masse stärker von den Restriktionen betroffen sind, als viele andere. Doch eins nach dem anderen:
Kapitel 1 – Die Gegenüberstellung
Nach einem treffenden Vorwort von Frau Dr. Dorothee Achenbach (Autorin, Art Consultant und Kunsthistorikerin) in deutscher und englischer Sprache beginnt das Kapitel 1 des Bildbandes. Dieses Kapitel zeigt auf gut einem Drittel aller Seiten des Bildbandes „Distance“ Gegenüberstellungen. Links Menschen mit Maske und rechts Menschen ohne Maske. Wer den Bildband das erste Mal betrachtet, braucht vermutlich ein paar Doppelseiten, um festzustellen, dass links stets die gleiche Person gezeigt wird, wie auf der rechten Seite.
Auffallend dabei: Alle Motive mit Fechtmaske werden in Farbe gezeigt. Aber die Farbintensität variiert. Auf den echten Seiten hingegen, dominiert eine schwarzweisse Bildsprache.

Die Unterschiedlichkeit der einzelnen Seiten hinsichtlich Farbintensität, verwendeter Farblooks aber auch unterschiedlicher Beleuchtung schaffen Abwechslung und bauen Spannung auf. Details, wie der hinter der Maske hier und da aufblinkende Lippenstift lenken die Aufmerksamkeit des Betrachters und schreien den Betrachter zudem „Es ist Pandemie, aber hier ist dennoch Leben drin“ förmlich an. Gepaart mit den gleichen Menschen auf der rechten Seite, dort aber teilweise in typischen Posen, teilweise auch bewusst provokativ, bauen einen Spannungsbogen auf, als wolle Wolf sagen „Seht her, wie gleich die Pandemie die unterschiedlichen Berufsgruppen (links) gemacht hat und wie unterschiedlich sie doch in Realität sind (rechts).“
Wer diesen Zwiespalt Doppelseite für Doppelseite entdeckt, der wird sich selbst dabei entdecken, wie die Neugierde mit der Zeit wächst, den Namen und den Beruf der gezeigten Person zu lesen. Gerade der Beruf macht uns nochmals transparent, wie vielen unterschiedlichen Berufsgruppen während dieser Pandemie doch die Existenzgrundlage unter den Füssen weggezogen wurde.

Kapitel 2 – Portraits
Kapitel 2 beginnt nach einem wundervollen Textbeitrag von Rüdiger Schrader. Rüdiger Schrader, selbst Fotograf, Jurist und Skilehrer, hat seine persönlichen Gedanken zur Fotografie von Wolfgang Sohn aufgeschrieben. Ein „Vorwort“, das Wolf Sohn sehr viel bedeutet. Denn Rüdiger Schrader formuliert das, was der Bildband zeigt: „Wolfgang Sohn tut, was er liebt. Und er liebt, was er tut: Er ist ein Menschenfreund und schaut Menschen mit der Kamera in die Seele“. Doch das, was Rüdiger Schrader schreibt, gilt für das gesamte Buch – nicht exklusiv für Kapitel 2.

Kapitel 2 zeigt Portraits. Ohne Maske! Aber ebenso Menschen, die von den Distanzvorschriften besonders betroffen sind. Ein klares Konzept für die Reihenfolge der Protagonisten wird nicht erkennbar, aber die Gemeinsamkeit bleibt: Sie alle sind (mehr oder weniger) von Corona betroffen. Das lässt sich auch mit wenig Phantasie aus den Berufen der Protagonisten einwandfrei ablesen.

Zwischen überwiegend monochromen Portraits verstecken sich hier und da auch farbige Motive. Eisbrecher, die dafür sorgen, dass jedes einzelne Motiv intensiver betrachtet wird. Diese Aufmerksamkeit gewinnt Wolf Sohn auch durch verschiedene Schnitte: Mal sind es enge Portraits, mal eher Ganzkörperaufnahmen. Mal in Verbindung mit einer Geste oder Pose, mal einfach nur so, also schnurstracks geradeaus.

Erst in Kapitel 2 fällt auf, wie viele der Protagonisten doch eine schwarze Oberbekleidung tragen. Hervorgehoben wird dies aber nicht vom tiefen Schwarz der Kleidung, sondern dadurch, dass es einzelne Portraitierte gibt, die in knallig bunten oder grossmotiviger Kleidung im Fotostudio aufgelaufen sind – und auch das zeigt Wolfgang Sohn. Denn während er Pandemie (und ganz besonders während der Lockdowns) ist unsere Welt weniger bunt geworden. Warum? Weil es an Kunst und Inspiration fehlte – und bis heute fehlt.

Kapitel 3 – Mehr Portraits
Kapitel 3 beginnt nach einem ebenfalls bilingualen Vorwort von Peter Jamin (Fotograf, Model), der die Kamera des Fotografen als Lupe bezeichnet, die Charaktere herausarbeitet und dazu Stärken und Schwächen betont.

Gleich auf der ersten Doppelseite wird klar: Hier dominiert nach der Abstinenz in Kapitel 2 wieder die Fechtmaske. Insgesamt acht Protagonisten unterschiedlichster Profession sind hier in Farbe pro Doppelseite dargestellt. Da jedem Motiv nur ein Viertel der Seite zur Verfügung steht, werden schnell Assoziationen zu der klassischen Kleinbildgrösse 9×13 cm geweckt.

Kapitel 3 wirkt dadurch insgesamt mehr wie ein Album, das dazu einläd, die Gesichter hinter der Maske zu vergleichen – oder vielleicht auch zu entdecken. Während wir zu Beginn darüber stolperten, dass die Ausleuchtung der Menschen unterschiedlich ausfällt, wird genau das über die Betrachtungszeit zu einem zentralen Aspekt, der die Motive spannender wirken lässt, obwohl sie ja alle „nur eine Maske“ zeigen. Weil es -anders als in Kapitel 1- keine Gegenüberstellung mit dem gleichen, unmaskierten Menschen gibt, wird hier transparent gemacht, wie sehr es doch auf die Menschen hinter der Maske ankommt. Und es muss nirgends geschrieben sein, dass mit dieser Maske nicht nur die Fechtmaske gemeint ist, sondern auch die FFP2-Maske, die immer mehr zum Symbol für menschliche Distanz in unserer Bevölkerung wird.

Mit nur vier Menschen in Fechtmasken kommt dann ein Break in Kapitel 3 hinein: Direkt auf der Folgeseite geht es weiter mit acht Motiven pro Doppelseite, doch die Fechtmaske ist weg. An ihre Stelle sind typische Accessoires der Protagonisten gerückt. So gibt es Menschen in ihrer Berufsuniform, andere mit Mikrofon, wieder andere mit Schallplatte, Instrument, Kamera oder einfach nur typischer Pose zu sehen. Es menschelt in Kapitel 3 und zeigt auf, wie divers unsere Welt heute ist. Niemand sieht aus, wie sein Bildnachbar. „Jeder Mensch ist einzigartig“, könnte dieses Kapitel auch heissen. Oder auch „Jeder Künstler ist wichtig für den Erhalt unserer einzigartigen und bunt gemischten Kultur.“

Kapitel 4 – Zurück zur Maske
Grossformatig, kleinformatig, eng geschnitten, weit geschnitten. Kapitel 4 zeigt ausschliesslich Menschen hinter dieser magischen Fechtmaske, die schon auf dem Titelbild ein klares Statement hinterlässt. Wieder stehen unterschiedliche Berufsgruppen im Fokus des Fotografen Wolfgang W. Sohn. Wenn auch unterschiedlich stark ausgeprägt, dominiert hier die Farbe.

Wieder leuchten einige Gesichter hinter der Maske hervor und wieder sind einige Gesichter so dunkel dargestellt, dass es schwerfällt, die genauen Gesichtszüge zu erkennen. – Eine Metapher für die Unsichtbarkeit der Kunst, wenn Kultur per se verboten ist?
Wen zeigt der Bildband „Distance“?
Distance ist der Beweis dafür, dass sich hinter jeder noch so uniformen Maske ein Individuum versteckt. Menschen, wie Du und ich. Menschen, die in der Stadt Düsseldorf und ihrer erweiterten Peripherie etwas für Kunst und Kultur bewegt haben – und dies auch weiterhin gerne tun wollen.

Dabei sind Köche und Fotografen, Street Art Künstler und Manager, Regisseure und Pantomine, Moderatoren und Musiker, Barbesitzer und Stadionsprecher. In „Distance“ kommen diese Säulen unserer kulturell geprägten Gesellschaft optisch zu Wort. „Distance“ ist ein wenig so wie das „Who is Who“ der Kunst- und Kulturszene der Landeshauptstadt von NRW. Wolfgang Sohn verbindet ihre Kreativität, ihren Mut und ihr unbändiges Macher-Gen, das diese Menschen durch ein unsichtbares rotes Band miteinander verbindet.
Zurück zum Titelmotiv
Das wahrhaft einzige Motiv dieses Bildbandes ohne erkennbares Gesicht ist auf dem Titel zu sehen. Die Maske wirkt leer, Schultern wirken wie angedeutet, sind aber nicht klar zu erkennen. Ein Phantom?

Diese Frage lässt der Bildband offen. Man könnte vermuten, dass Wolfgang Sohn selbst unter der Maske steckt, aber genau darauf kommt es nicht an. Denn die Botschaft (neben der Kernbotschaft „denkt an die Menschen, die Kunst und Kultur so einzigartig machen“) hinter diesem Titelbild ist klar: Unsere Masken sind austauschbar. Aber die Menschen dahinter nicht..
Für wen ist der Bildband geeignet?
Trotz internationaler Ausstellungen, die Wolfgang Sohn auch ausserhalb seines Kernmarktes Deutschland bekannt gemacht haben, handelt es sich bei „Distance“ vor allem um einen Bildband mit lokalem Bezug zu Düsseldorf und Umgebung. Wer glaubt, „Distance“ sei damit nur für Düsseldorfer oder gar die darin abgebildeten Personen interessant, der irrt. Denn schliesslich geht es hier um ein politisch kontrovers diskutiertes Thema, in dem vor allem die Kunstschaffenden zu unverschuldeten Opfern wurden.
„Distance“ ist -und das gilt nicht nur für Düsseldorf- vor allem ein Bildband, der uns bewusst macht, worauf wir seit vielen Monaten verzichten müssen: Nämlich eben diese kleinen Besonderheiten, diese Aufmerksamkeiten, diese Events und Begegnungen, die uns so unheimlich bereichern und so lange in positiven Erinnerungen schwelgen lassen.

Wolf Sohn macht mit „Distance“ sichtbar, was fehlt: Kunst und Kultur im Alltag. Und so ist „Distance“ über die Grenzen der Landeshauptstadt hinaus heute ein Mahnmal dafür, alles Menschenmögliche dafür zu tun, dass wir schon bald wieder „normal“ leben können.
Spätestens zum Ende dieser Pandemie wird „Distance“ richtig an Wert gewinnen. Denn jetzt, zum Veröffentlichungstermin dieses Dokuments mit klarem Zeitbezug, können wir auf Holz klopfen, dass sich alle hier gezeigten Menschen bester Gesundheit erfreuen. Doch spätestens in 10 oder 15 Jahren wird das anders sein. Spätestens dann wird dieses Buch auch historisch wertvoll, weil es sehr fokussiert auf eine Zeit hinweist, die bis heute in der Geschichte der Erde einzigartig ist.
Lange hat man geglaubt, dass Bomben oder Terrorismus unsere etablierten Systeme ins Wanken bringen können. Doch die Gefahr ist kleiner. Kleiner, als ein Computervirus. Und so steht die Fechtmaske als Symbol für das Unsichtbare. Das, was sich hinter jeder noch so dichten Schutzmaske verstecken kann: Sars-Cov 2 und seine Mutanten.

Unser Tipp
Als Dokument für diese besondere Zeit wird dieser Bildband schon bald in manch einer privaten Sammlung auftauchen. Unser Tipp: Bildband kaufen und auf die nächste PHOTO POPUP FAIR im Frühjahr 2022 mitbringen – um ihn dann dort persönlich von Wolf Sohn signieren zu lassen. Denn erst mit einer persönlichen Widmung ist „Distance“ wirklich unique!
