Vor drei Wochen sprachen wir mit Tom Klein, Künstler der Ausgabe 07, über französischen Charme, die Belle Époque und seine Vorliebe für Klassiker des Film Noir.
Dieser zweite Teil des Interviews erscheint erst jetzt, weil er in der Zwischenzeit fotografisch sehr aktiv war. Doch genug der Vorrede. Weiter geht’s:
SWAN Magazine: Aus der Vogelperspektive betrachtet, bekommt man den Eindruck, dass es Dir aktuell mehr und mehr wichtig wird, Dich aktiver in der Fotoszene zu zeigen. Was ist Deine Motivation dahinter?
Tom Klein: Wenn Du damit die Fotoszene ausserhalb der sozialen Medien, also in Printform, Ausstellungen und Galerien meinst: Ja, das war in der Tat etwas, was sich über ein paar Jahre ganz langsam und sukzessive aufgebaut hatte und in dem ausführlichen Interview des SWAN Magazines seinen vorläufigen Höhepunkt fand, bevor dann kurz darauf der erste Lockdown kam. Ostern 2020 war dann erstmal alles mit einem Schlag wieder auf Null gesetzt.
Bei mir ist es ja so, dass ich in der komfortablen Situation war, mich voll auf meinen Hauptberuf konzentrieren zu können und ich – zumindest finanziell – nicht von der Fotografie abhängig bin. Es ist halt „nur“ eine Leidenschaft. Doch auch, wenn ich nicht viel aktiv fotografierte, habe ich die vergangenen eineinhalb Jahre genutzt, um Projektideen zu skizzieren, zu verwerfen oder weiterzuentwickeln. Ich habe viel gelesen, Bildbände angeschaut – oder bin einfach nur mit offenen Augen durch die Welt gegangen. Nun braucht es nur noch Zeit und Gelegenheit, um diese Ideen auch irgendwie umzusetzen. Und, um sie dann im Idealfall auch an die Wand zu bringen.
SWAN Magazine: Doch dann endete die Schaffenspause abrupt…
Tom Klein: Oh ja. Als im Oktober 2021 dann wieder vermehrt Ausstellungen unter (halbwegs) normalen Bedingungen möglich wurden, musste ich mich tatsächlich etwas sputen. Denn es ergab sich, dass meine Fotografien nun – ein kurzes Zeitfenster lang sogar zeitgleich – auf vier Ausstellungen in Trier zu sehen sind.
Eine Ausstellung war in der Tat schon länger geplant, bei den anderen konnte ich einfach nicht Nein sagen. Da hat die Leidenschaft eindeutig über den Verstand gesiegt. Denn eigentlich hatte ich dazu gar keine Zeit…
SWAN Magazine: Siehst Du diese Omnipräsenz nicht auch kritisch?
Tom Klein: Ja, das Risiko dabei ist hoch, dass man in einer relativ kleinen Stadt schnell langweilt. Auch die Organisatoren wollen natürlich weder ausschliesslich bekannte Bilder aus dem Archiv, noch an jedem Ort die gleichen Motive zeigen. Das hat dazu geführt, dass die letzten Wochen nach meinem fotografischen Stillstand umso intensiver waren. Denn einige Motive mussten erst noch produziert werden, auch wenn die Ideen dazu schon lange im Kopf waren.
SWAN Magazine: Am 12. November hat schon die nächste Vernissage stattgefunden: Im Rahmen einer Ausstellung zeigst Du zusammen mit zwei anderen Künstlern im Kunstraum KM9 Deine neue Bilderserie „ABGEHÄNGT“. Gleich die erste Frage vorweg: Hätte es nicht „Abgehangen“ heissen müssen?
Tom Klein: (Lacht) Hm, wie erkläre ich das? Also bei diesem Projekt handelt es sich um eine Serie, deren Motive noch untypischer für mich sind, als das schon die Bilder der Serie „Trier Noir“ waren. Denn in diesem Projekt handelt es sich um Litfasssäulen…
SWAN Magazine: Litfasssäulen? Sprachen wir nicht über Peoplefotografie?
Tom Klein: Genau (lacht)… wie schon gesagt: Ich war während der Pandemiezeit oft mit meiner Frau zu Spaziergängen in der Stadt unterwegs. Und da fielen uns irgendwann zum Ende des Frühjahrslockdowns (welch ein Wort…) die Litfasssäulen auf, die sich in einem erbärmlichem Zustand befanden: Plakate nie stattgefundener Vorstellungen hingen in Fetzen herab. Warum? Weil sie abgerissen worden waren, als Folge von Witterungseinflüssen, aber auch, weil die Veranstaltungsbranche ja lange Zeit keinen Grund hatte, überhaupt neue Plakate zu drucken und aufzukleben…
SWAN Magazine: Ihr habt also gemeinsam Veranstaltungen entdeckt, die Monate zuvor angekündigt worden waren, bei denen eine dritte Verschiebung dann aber keinen Sinn mehr ergab?
Tom Klein: So ist es. Normalerweise bleiben diese Plakatsäulen ja allein dadurch stets in Schuss, weil laufend neue Plakate aufgeklebt werden. Jetzt war es anders: Teilweise mehrere Jahre alte Veranstaltungshinweise wurden zurück ans Tageslicht gebracht. Und das Spannende dabei war: Durch die teilweise abgerissenen Plakatfetzen ergaben sich nun recht interessante, tatsächlich aber zufällig entstandene Collagen…
SWAN Magazine: Und just in dem Moment war die Idee für ein neues Fotoprojekt geboren…
Tom Klein: Ich fand es einfach spannend, diesen Zustand zu dokumentieren. Denn es war schon absehbar, dass das Zeitfenster recht eng wurde, weil sich die Inzidenzen und die Impfquoten verbesserten. Schon bald sollten ja wieder neue Veranstaltungen und damit Plakatierungen möglich sein – und tatsächlich waren ein paar der Säulen auch schon instandgesetzt, bevor ich sie fotografieren konnte. Im April und Mai war ich also abends viel zu Fuss mit der Kamera unterwegs und habe Litfasssäulen gesammelt. Es gibt übrigens erstaunlich viele davon in Trier. Mehr als mir jemals bewusst war. Ungefähr ein Dutzend davon habe ich für dieses Projekt dokumentiert.
SWAN Magazine: Welche Kamera hast Du denn mitgenommen?
Tom Klein: Ich hatte die Hasselblad 500c/m von 1979 dabei. Immer mit dem 80mm-Planar, also dem Standardobjektiv für diese Kamera. Insgesamt sind so elf Mittelformatfilme entstanden, aus denen ich 35 Fotos ausgewählt und im Format 30 x 30 cm habe drucken lassen.
SWAN Magazine: Soweit so gut, aber den Ausstellungstitel „ABGEHÄNGT“ erklärt das doch nicht wirklich, oder?
Tom Klein: Stimmt (lacht). Der Titel umfasst letztlich mehrere Dimension: Die Kultur wurde abgehängt, die Plakate wurden abgehängt, die Künstlerinnen und Künstler (und alles, was mit Veranstaltungen zu tun hat, wie Technikerinnen und Techniker etc.) wurden abgehängt und in die nicht systemrelevante Ecke gestellt. Man denke nur an diese unsägliche Britische Werbekampagne, in der einer Ballerina nahegelegt wurde, ihre Zukunft sei vielleicht besser in der IT-Branche…
Eine zusätzliche Dimension des Ausstellungstitels hängt allerdings direkt mit der Präsentationsart in der Ausstellung zusammen. Anders, als sonst bei mir üblich, sind diese Bilder nicht sauber gerahmt und mit Passepartout versehen. Das erschien mir bei dieser Thematik „zu clean“. Stattdessen habe ich sie einfach auf Kleiderbügeln an die Wand und auf eine mobile Kleiderstange gehängt. Einige Nägel in der Wand haben wir bewusst nicht mit Bildern an Kleiderbügeln belegt. Anstelle dessen haben wir die Besucherinnen und Besucher dazu eingeladen, die Bilder auf-, um- oder eben abzuhängen. Abgehängt, wie es nicht nur die Plakate waren, sondern auch die Kulturszene als solche.
SWAN Magazine: Und wie haben die Leute darauf reagiert? Sieht die Wand tatsächlich jeden Tag anders aus?
Tom Klein: Ja, nach einigem Zögern wurde von der Möglichkeit des Umhängens fleissig Gebrauch gemacht… Die Leute scheinen ihren Spass daran zu haben, ein veränderliches Werk quasi mitzugestalten und auch mal ein paar Bilder in die Hand zu nehmen, statt sie nur statisch an der Wand oder gar briefmarkengross auf dem Handy zu sehen.
Man kann die Bilder übrigens auch als offene Edition für einen kleinen Preis kaufen. Der Erlös kommt in voller Höhe dem Kunstraum KM9 zugute, der nach der langen Durststrecke jeden Cent brauchen kann. Und es hilft ja nichts, nur über die abgehängte Kulturszene zu jammern und dann nichts dafür zu tun.
SWAN Magazine: Die Kunstgalerie KM9 ist nur einen Steinwurf von Deinem eigenen Atelier in der Karl-Marx-Strasse entfernt. Was verbindet Euch neben der räumlichen Nähe?
Tom Klein: Das KM9, benannt nach seiner Adresse in der Karl-Marx-Strasse 9, ist ja keine klassische Kunstgalerie. Konzeptionell startete es als Experiment. Das KM9 ist mehr so etwas wie ein „Spielplatz der Kunst“. Er hat sich aber nun seit einigen Jahren fest in der lokalen Kulturszene etabliert.
Der Betreiber, Laas Koehler, ist ein Konzeptkünstler aus Berlin, der in seinem Kunstraum die unterschiedlichsten Genres zusammenbringt. Seii es Malerei, Fotografie, Modedesign, Lesungen und so weiter. Oftmals entstehen Ausstellungen oder Happenings sehr spontan. So ist zum Beispiel auch das Präsentationskonzept für die „ABGEHÄNGT“-Serie buchstäblich zwischen Tür und Angel entstanden…
SWAN Magazine: Was begeistert Dich an Laas Koehler?
Tom Klein: Was ich an Laas so schätze, ist, dass er das KM9 nicht nur dazu nutzt, seine eigene Konzeptkunst zu zeigen, sondern immer wieder auch anderen Künstlerinnen und Künstlern ein Forum bietet. So hatte er z.B. auch während der Corona-Krise Kunstauktionen durchgeführt, um anderen Künstlern mit dem Erlös daraus zu helfen.
SWAN Magazine: Nochmal zurück zur „ABGEHÄNGT“-Serie: Das ist ja doch eine recht direkte politische Botschaft, die Du da aussendest. Findest Du, dass Kunst politisch sein muss – oder anders gefragt, willst Du Dich mit Deinen Bildern nun stärker politisch positionieren?
Tom Klein: Das ist eine interessante Frage, die ich mir selbst so bewusst gar nicht gestellt hatte, bis mich ein Künstler darauf ansprach. Er fand es (in positivem Sinn) bemerkenswert, dass ich solch ein Statement zur Kulturpolitik, beziehungsweise zur Systemrelevanz der Kultur mache, obwohl mich das Thema selbst ja nicht direkt betrifft.
Wie gesagt: Ob ich selbst ein Bild mehr oder weniger verkaufe, macht höchstens einen Unterschied für mein Künstler-Ego, jedoch nicht für das, was abends als Essen auf dem Tisch steht.
Für mich war diese Serie einfach Ausdruck eines inneren Gefühls, das raus wollte. Und ja, die Botschaft ist letzten Endes politisch. Und ja, ich glaube, dass Kunst im Allgemeinen oder die Fotografie im Besonderen ruhig politischer sein kann. Schöne Bilder von schönen jungen Frauen sind irgendwann doch etwas wenig. Das sage ich selbst auf die Gefahr hin, dass ich mich da erst einmal selbst schuldig bekennen muss.
SWAN Magazine: Gibt es andere politische Bildstrecken von Dir?
Tom Klein: Eine andere, leicht (lacht) politische Serie dreht sich um den „Wutburger“. Dieser „Wutburger“ entstand 2018 erstmals als Kollodiumbild und ist ja weiterhin in der Ausgabe 07 zu sehen. In diesem Jahr hat der „Wutburger“ dann aus gegebenem Anlass seine Fortsetzung gefunden…
SWAN Magazine: … die ja nun schon seit dem 19. November 2021 in der Ausstellung der Kulturwerkstatt in der Tuchfabrik Trier (TUFA) zu sehen ist….
Tom Klein: Genau. Ja zwei Wutburger (ohne Umlaut) waren schon im SWAN Magazine zu sehen. Gerade das erste Bild zeigt einen Wutbürger (mit Umlaut), der einen Cheeseburger mit Deutschlandfähnchen in der Hand hält. Doch das harte Schlaglicht des Kollodiumprozess entlarvt die Fratze hinter vorgeschobenem Patriotismus.
2021 kehrt der Wutburger also zurück – und das, wenig überraschend, in einer Corona-Edition. Ich muss dazu sagen, dass der Darsteller eigentlich ein sehr freundlicher Mensch ist, der sich aber mit viel Freude in diese Rolle hineinversetzen kann (lacht). Aus gegebenem Anlass habe ich die beiden aktuellen Werke statt hochkant quer gedreht.
Alle vier Wutburger sind aktuell ausgestellt, zusammen mit weiteren vier Bildern meiner Serie „Trier Noir“. Letztere stellen wieder eine Verbindung zu den anderen Ausstellungen her: Für eine Woche waren alle acht bisher existierenden Bilder der Trier Noir-Serie in Ausstellungen in der TUFA, beziehungsweise der Galerie Netzwerk, zu sehen.
SWAN Magazine: Du achtest also darauf, dass Deine Projekte von einem roten Faden verbunden werden?
Tom Klein: Mitunter schon. Eines meiner Trier Noir-Bilder hat zum Beispiel eine Litfasssäule als Hintergrund, was nicht nur eine Reminiszenz an das Poster des Films „M“ ist, sondern gleichzeitig den Bogen zur ABGEHÄNGT-Serie schlägt.
So bin ich nun mit sehr unterschiedlichen Arbeiten in der Stadt vertreten, die jedoch alle irgendwie zusammenhängen. Ob irgendjemand das verborgene Konzept erkennt, weiss ich nicht… ich bin jedenfalls sehr zufrieden damit (lacht).
SWAN Magazine: Und kürzlich bist Du einen ziemlich berühmten Fotografen begegnet…
Tom Klein: Ja! Ende November war Vincent Peters in der Leica Galerie Frankfurt zu Gast, um seinen neu erschienenen Bildband „Selected Works, Collector’s Edition“ vorzustellen und zu signieren. Da ich ein Riesenfan seiner Bildsprache bin, bin ich mit einem Freund nach Frankfurt gefahren. Erfreulicherweise hatte Vincent sogar ein paar Minuten Zeit für ein Gespräch und wir redeten über seine Bilder, Peter Lindbergh und andere Themen. Dabei fiel mir ein, dass ich noch postkartengroße Drucke meiner „Trier Noir“-Reihe in der Tasche hatte…die drückte ich Vincent dann ganz spontan in die Hand, mit dem Angebot, sich eines davon auszusuchen. Das war vielleicht ein wenig dreist (lacht), aber er machte mit und wählte ausgerechnet auch noch mein persönliches Lieblingsmotiv aus, das mit der grossen Hand (siehe oben). Wir sprachen noch etwas über die Ästhetik des Film Noir, den dritten Mann und die neue Fassung von „M“, ehe wir uns verabschiedeten. Die Fahrt hatte sich gelohnt – und sein aktueller Bildband ist fantastisch!
SWAN Magazine: Wie geht es 2022 weiter? Werden wir wieder Kunstwerke aus der der 1842 erfundenen Cyanotopie und der Nassplatten-Kollodium-Fotografie von Dir sehen oder ist diese Ära vorbei?
Tom Klein: Zunächst einmal werde ich Ende des Jahres meine Bilder wieder von den diversen Ausstellungsorten einsammeln, es sei denn, die sind alle verkauft (lacht).
Die Ausstellung im KM9 läuft noch bis zum 18.12., die in der TUFA bis zum 19.12.2021. Und ja, selbstverständlich werde ich weiterhin mit Kollodium-Nassplatten arbeiten, denn da ist allein schon der Prozess zusammen mit dem Menschen vor der Kamera pure Meditation – und die Idee des „Kurzfilms in einem Bild komprimiert“ finde ich unverändert (aber darüber berichtete ich ja in Ausgabe 07 schon) einzigartig schön.
Ich denke allerdings darüber nach, auch in dieser Art der Fotografie zeitloser zu werden. Immer weiter weg von der Abbildung, hin zur Interpretation. Ich habe mich in den letzten eineinhalb Jahren generell deutlich breiter aufgestellt und geniesse das auch. Vermutlich werde ich mich eher auf eine relativ einheitliche Bildsprache fokusieren, als auf bestimmte Motive. Doch wer weiss das schon?
Ein paar Bilderserien, auf Kollodiumplatte, Film oder digital, sind jedenfalls in unterschiedlichen Stadien der Planung. Eine davon ist übrigens die Serie „Danse Monochrome“, die ich im Oktober mit Carina begonnen habe. Für die Fortsetzung suche ich für das kommende Jahr auch noch nach Tänzerinnen und Tänzern aus dem Bereich des klassischen Balletts. Falls Ihr also jemanden kennt…?
Ansonsten schaue ich, ob ich an meine Pläne vom vergangenen Frühjahr anknüpfen und meine Bilder auch mal in Ausstellungen ausserhalb der Region Trier zeigen kann. Eines ist also sicher: Es wird mir wohl nicht langweilig werden!
SWAN Magazine: Lieber Tom, herzlichen Dank für Deine Zeit und diese inspirierenden Einblicke. Es ist immer wieder spannend, mit Dir zu sprechen und Deine Motivation zu entdecken. Wir freuen uns schon auf ein baldiges Wiedersehen. Bleib gesund und munter.