Tom ist Künstler unserer Ausgabe 07 und ist dort mit einem besonderen Interview irgendwie „aus der Reihe getanzt“. Auch er bevorzugt Schwarzweiss in seinen Bildern und fokussiert sich ganz auf die Peoplefotografie. Doch statt mit digitaler Technik oder analogem Kleinbildfilm setzt er vor allem auf ein rar gewordenes Medium: Kollodium-Nassplatten.
Durch die pandemiebedingten Einschränkungen hat er lange keine neuen Kollodiumportraits gezeigt. Doch jetzt hört man wieder mehr von ihm. Grund genug, ein Interview mit ihm zu führen und spannende Neuigkeiten zu entdecken.
SWAN Magazine: Grüsse Dich, Tom. Wie hast Du die Corona-Zeit erlebt, die exakt zwei Wochen nach unserem Interview für Ausgabe 07 mit einem Lockdown begann?
Tom Klein: Es war eine sehr geschäftige Zeit. Leider nicht fotografisch, dafür aber im Hauptberuf. Ich hatte lange den Eindruck, dass es nur Menschen gibt, die gar nichts zu tun haben oder diejenigen, die bis zum Hals in Arbeit steckten. Je nach Perspektive war bei mir leider bzw. gottseidank Zweiteres der Fall.
SWAN Magazine: Und wie war diese Phase fotografisch?
Tom Klein: Die Zeit dazu war lange nicht da. Bei meiner Kollodium-Fotografie kommt ja noch ein anderer Aspekt hinzu: Für diese Portraits halte ich mich stundenlang mit meinen Modellen auf kleinstem Raum auf, was nicht mit pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen zusammenpasst. Meine Kollodium-Fotografie hat daher eineinhalb Jahre brach gelegen.
SWAN Magazine: Nun braucht es zur Kollodium-Fotografie, wie wir spätestens seit Ausgabe 07 wissen, ja die eine oder andere Chemikalie. Sind die alle noch haltbar?
Tom Klein: Teilweise ja, das Silber-Nitrat zum Beispiel. Aber andere musste ich zwischenzeitlich ersetzen bzw. neu mischen, als ich vor einigen Wochen wieder angefangen habe, Kollodium-Portraits zu machen. Das heisst: Ich starte wieder. Aber etwas langsamer als vor der Pandemie. Demnächst steht z.B. die Fortsetzung meiner Wutburger-Serie auf dem Programm.
SWAN Magazine: Wie war das beim Neustart mit der Routine?
Tom Klein: Die Zusammenarbeit mit dem Menschen vor der Kamera ist mir leichtgefallen, aber hinsichtlich der chemischen Abläufe musste ich doch noch einmal nachdenken, weil die Routine einfach weg war. Aber man erinnert sich erstaunlich schnell wieder.
SWAN Magazine: Dein Facebook-Profil schmückte zuletzt bunte Streetfotografie. Eine kleine Brasserie mit einer 2CV davor versprüht französischen Charme. Was verbindet Dich mit Trouville-sur-Mer, der Normandie und dem Ärmelkanal?
Tom Klein: Das Bild ist bei einem jährlichen Treffen entstanden, wo überwiegend Französinnen und Franzosen zusammenkommen, um gemeinsam ein Belle-Époque-Wochenende am Strand zu verbringen. Ich habe dort analog und digital fotografiert. Aber das ist eine ganz andere Art der Fotografie, als ich sie sonst mache. Bei 80 bis 100 Teilnehmern hat man natürlich viele Motive, aber die Fotografie wird bei der Menge an Menschen halt schnell zur Reportage. Also einer Sache, die ich eigentlich nie mache.
SWAN Magazine: Was reizt Dich an diesem Event?
Tom Klein: Wie schon in unserem Interview in Ausgabe 07 gesagt, liebe ich die Ästhetik der vergangenen Jahrhundertwende – und diesbezüglich ist ein solches Wochenende natürlich wie ein Traum. Mit einigen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer stehe ich inzwischen in regelmässigem Kontakt und es entstehen auch Freundschaften. Man freut sich, wenn man sich nach spätestens einem Jahr wieder sieht. Andererseits hadere ich manchmal mit meinen eigenen Bildern, denn ich habe in der Dynamik einer solchen Veranstaltung viel weniger Gelegenheit, zu inszenieren und mich auf einzelne Bilder zu konzentrieren. So kommt es auch, dass viele Bilder rein von der Schönheit des Motivs bestimmt sind und nicht von einer besonders künstlerischen Umsetzung. Es geht mehr um die reine Abbildung als um eine Interpretation. Wahrscheinlich bekäme ich in den sozialen Medien keine sehr anderen Reaktionen, wenn ich dieselben Bilder mit dem Handy gemacht hätte (lacht). Aber egal, ich mag die Atmosphäre und die Menschen dort – und deshalb fahre ich jedes Mal gerne wieder hin.
SWAN Magazine: Ausgerechnet Menschen zeigt Dein Headerbild auf Facebook aber nicht…
Tom Klein: Ja, das stimmt. Ich verbinde mit Trouville ja auch das gute Essen, den hervorragenden Fisch, den man dort bekommt. Und dann fuhr auch noch just zum Zeitpunkt des Fotos eine Ente (Citroen 2CV) ins Bild – zum perfekten Frankreich-Klischee hätte jetzt noch ein Mann mit Zigarette im Mundwinkel, Baguette unter dem Arm und Baskenmütze gefehlt… nächstes Jahr vielleicht… (lacht).
SWAN Magazine: Aufmerksame Mitleser wissen, dass Du neben hölzernen Kameras aus italienischen Manufakturen auch technisches Spielzeug aus Wetzlar besitzt. Welche Kamera nimmst Du mit, wenn Du auf Reisen gehst?
Tom Klein: Das kommt auf die Reise an. Manchmal nehme ich in der Tat nur das Handy mit. Mit Hilfe von Produkten aus Wetzlar habe ich aber nach mehreren Jahren ausschliesslicher Analogfotografie wieder – zumindest zeitweise – zurück in die Digitalfotografie gefunden. Ich nutze heute meist die Leica M10 Monochrom, die mir genauso viel Spass bereitet, wie meine analogen Kameras. Ich mag den Look, den ich mit nur minimaler Bildbearbeitung – nicht mehr als drei Minuten – erziele. Denn eins ist seit dem letzten Interview gleichgeblieben: Da ich hauptberuflich stundenlang vor dem Rechner sitze, habe ich keine Lust, dies für die Fotografie auch noch abends zu tun.
Das für mich Wichtigste ist aber eh etwas Anderes: Die Fotografie mit der digitalen M fühlt sich für mich genauso an wie mit meiner alten M2 von 1960. Ich musste mir nur das Filmspannen abgewöhnen (lacht).
SWAN Magazine: Hast Du dann ein Lieblingsobjektiv für die analoge und digitale Leica?
Tom Klein: Ja, tatsächlich ist das ein 50er Summilux aus den 90er Jahren, das ich gebraucht erstanden habe. Ich mag einfach, wie das Objektiv offenblendig abbildet. Neuere Objektive sind mir üblicherweise zu scharf, zu steril, zu klinisch.
SWAN Magazine: Deine Fotografien gehen jetzt auch auf Reisen. Welchen Reiz hat es als Fotokünstler für Dich, Bilder von Dir an fremde Wände zu hängen?
Tom Klein: Zum einen ist es mir wichtig, mit Menschen in Kontakt zu kommen, die sich für meine Fotografie interessieren. Ich bin einfach neugierig, zu erleben, was die Menschen denken und fühlen, wenn sie meine Bilder sehen. Die unterschiedlichen Interpretationen, die die Fotografie ja zulässt, finde ich spannend. Letztlich kann man ja nicht eine Botschaft mit dem Holzhammer in die Köpfe der Betrachter klopfen. Auch der Austausch mit anderen Fotografinnen und Fotografen, zum Beispiel bei einer Gruppenausstellung, ist oft sehr interessant, gerade wenn diese ganz andere Schwerpunkte und Herangehensweisen haben als ich.
Der andere Punkt, warum ich gerne Bilder auf Ausstellungen zeige, ist schlichtweg der, dass Bilder gedruckt, in einem hochwertigen Rahmen, professionell produziert, einfach ganz anders wirken als diese Bilderflut, die wir heute auf den sozialen Medien erleben. Das ist schlicht nicht miteinander vergleichbar. Und deswegen bin ich auch froh, dass jetzt wieder Ausstellungen möglich sind.
SWAN Magazine: In der Galerie Netzwerk wird derzeit eine Fotoausstellung im Rahmen des „Trierer Unterwelten Festival“ gezeigt. Allein von der Überschrift her scheint das nicht zu Deinen üblichen Bildern zu passen, die wir z.B. im SWAN Magazine gesehen haben. Eine neue Leidenschaft?
Tom Klein: Das ist eines der Projekte, die ich in diesem Jahr gestartet habe. Die Galerie Netzwerk zeigt eine Kernausstellung von 14 Fotografinnen und Fotografen zum Thema „Unterwelten“, die tagaktuell mit Bildern der einzelnen Veranstaltungen des Festivals erweitert wird. Es gibt also täglich Neues zu sehen.
Das Lustige ist eigentlich Folgendes: Als die Betreiber der Galerie mich fragten, ob ich mich beteiligen wolle, hatte ich gar keine passenden Fotos. Weder Römerbauten noch Weinkeller gibt es in meinem Portfolio. Doch es schwebte mir eine Idee vor, die auf spätabendlichen Spaziergängen mit meiner Frau in der Altstadt entstanden war: Der Anblick meines eigenen Schattens, mit Hut und Mantel, hatte uns an Szenen aus Klassikern des Film Noir erinnert. Zum Beispiel an den Film „Der dritte Mann“ – und ich bin ein grosser Fan von Robert Krasker, dem Kameramann, der für die Bildsprache des Films verantwortlich war. Warum also nicht die Unterwelt an die Oberfläche holen und die nächtliche Stadt zur Bühne machen? Und anstelle vom Wien der Nachkriegszeit eine neue Sicht auf die vermeintlich so vertraute Trierer Altstadt zu geben. Zu meiner Freude waren die Galeristen einverstanden.
SWAN Magazine: Und da viele Menschen wissen, dass Du regelmässig Hut und gerne auch einen Trenchcoat trägst, passte die Idee direkt zum Model…
Tom Klein: Ja, so ungefähr. Ich habe dann nach geeigneten Örtlichkeiten in der Stadt Ausschau gehalten und einfach angefangen. Durch die nahende Ausstellung entstand dann recht schnell etwas Handlungsdruck hinter dem Projekt. Termine machen fleissig, wie man sagt…Und so beschäftige ich mich jetzt erstmals mit einer Art Selfies. Selfies, auf denen ich nicht einmal direkt zu sehen bin (lacht).
SWAN Magazine: Was zeigst Du dann auf dieser Ausstellung in der Galerie Netzwerk?
Tom Klein: Dort sind die ersten vier Motive dieses Projekts mit dem Namen „Trier Noir“ zu sehen, das mich von nun an aber vermutlich über mehrere Jahre hinweg begleiten wird. Ich habe die Bilder als grossformatige Fotoabzüge auf Barytpapier fertigen lassen und hochwertig gerahmt. Irgendwie hatte ich auf Kompromisse keine Lust. Ob das letztlich jemand kauft, war mir erstmal nicht so wichtig.
SWAN Magazine: Das heisst ja im Prinzip, dass die Projektidee schon da war, die Ausstellungsanfrage aber den Anstoss gegeben hat, das Projekt nun auch mit Leben zu füllen.
Tom Klein: Ganz genau. Manchmal braucht man ja einen leichten Schubser, um Ideen nach vorne zu bringen. Und da ich eine Nachteule bin, ist es für mich keine Herausforderung, erst dann zu fotografieren, wenn die Strassen längst leer sind und mir niemand durch das Bild rennt. Bis zur Fertigstellung der ersten Motive habe ich dann tatsächlich nur rund drei Wochen gebraucht – theoretisch stand das Konzept ja schon zuvor.
SWAN Magazine: Ohne es selbst ausprobiert zu haben, klingt das durchaus nach der einen oder anderen Herausforderung. Mir fällt da spontan der Schatten des Stativs ein, die unterschiedliche optische Wirkung verschiedener Lichtquellen (Du willst ja vermutlich harte Schatten mit klar definierten Rändern), aber auch einen grossen Schatten wirst Du vermutlich bevorzugen, der es erforderlich macht, tiefstehende Lichtquellen zu finden und Dich selbst möglichst gross darzustellen…
Tom Klein: Tatsächlich war das gar nicht so einfach, wie zunächst gedacht. Unterschiedliche Wandstrukturen wirken sich beispielsweise viel stärker auf das Ergebnis aus, als ich zu Beginn geglaubt hatte. Da ich nur das vorhandene Licht der Strassenbeleuchtung nutze, ist es manchmal auch recht schwierig, den Schatten genau dort hinzubekommen, wo ich ihn haben möchte, denn ich kann ja schlecht Strassenlaternen oder Wände versetzen. Oh, und es gibt noch lustige Begegnungen: hinter dem Trierer Dom bog gerade eine Führung mit dem historischen Nachtwächter um die Ecke, als ich wild gestikulierend neben dem Stativ stand – ich weiss nicht, wer sich mehr gewundert hat…
SWAN Magazine: Vor einigen Tagen hat die Vernissage stattgefunden, zu der Du natürlich selbst zugegen warst. Hast Du selbst aktiv den Kontakt zu den Besuchern gesucht oder hast Du -eher passiv- die Besucher von selbst auf Dich zukommen lassen?
Tom Klein: Es ist beides. Ich habe selbst bisher ja nur im Raum Trier ausgestellt. Das Stammpublikum auf diversen Ausstellungen, auch denen, bei denen ich nur Besucher bin, ist relativ überschaubar, so dass man sich oft schon kennt. Es hat mich aber gefreut, dass obwohl die Bilder bei der Vernissage noch nicht beschriftet waren, etliche Besucherinnen und Besucher die Bilder gleich mir zugeordnet hatten – und das, obwohl ich vorher nichts davon veröffentlicht hatte. Entweder spricht das für meine eigene Bildsprache, oder ich war mit Tweed-Dreiteiler und Hut nur allzu einfach als Schattenwerfer identifizierbar (lacht).
Die Galerie Netzwerk ist, dem Namen entsprechend, keine klassische – ich sage mal kommerzielle – Galerie, sondern vielmehr ein Kommunikationsort für Kunstthemen aber auch für Gesellschaftspolitik. Von daher ist man dort schnell im Gespräch mit anderen Menschen.
SWAN Magazine: Uns ist eine besondere Auffälligkeit direkt ins Gesicht gestochen: Bei den Motiven, die wir von Deiner Kollodium-Fotografie oder sogar aus Trouville-sur-Mer kennen, gibt es ja einen ganz klaren Zeitbezug. Bei dieser Serie stellst Du über das Thema Film Noir ebenfalls einen Zeitbezug her. Aber wenn man berücksichtigt, dass diese Fotos 2021 geschossen wurden und der Hauptdarsteller sich jugendlicher Frische erfreut, so werden diese traditionell wirkenden Fotografien dann doch zeitlos.
Tom Klein: Die Zeitlosigkeit ist in der Tat etwas, was ich aktuell stärker in meine Fotografie einbringen möchte. Schlussendlich habt ihr recht: Nichts an den Bildern ist alt. Nicht einmal die Kamera. OK, wenigstens die Stadt Trier! Aber wenn du dir meine Kollodiumbilder anschaust, dann siehst du, dass ich auch dort gerne täusche. Es kann durchaus sein, dass ein Bild nur auf den ersten Blick historisch wirkt und doch, bei näherem Hinsehen, auch mal kleinere oder grössere Irritationen bietet.
Was man an den Bildern auch erkennen kann, ist, dass ich bevorzugt inszeniere. Ich erschaffe meine eigene kleine Welt, statt irgendwo auf den „entscheidenden Moment“ a la Cartier-Bresson zu warten und dann schnell zu reagieren. Vermutlich wäre ich ein richtig lausiger Streetfotograf!
SWAN Magazine: Ein richtiges Selfie von Dir, also eins, welches Dein Gesicht zeigt, gibt es in der Serie aber nicht, oder?
Tom Klein: Nein.
SWAN Magazine: Aber genau das könnte doch eine Idee sein, um diese Serie dann irgendwann einmal zu beenden, wenn es soweit ist… mal das Gesicht hinter der Serie zu zeigen. Das liegt doch quasi auf der Hand.
Tom Klein: Ich habe tatsächlich einige Ideen im Kopf, wie man diese „Trier Noir“-Serie erweitern könnte, immer mit der Ästhetik des Film Noir im Hinterkopf. Es gibt schon verschiedene Gedankenskizzen, welche den Faden aufgreifen und Abzweigungen in die eine oder andere Richtung erlauben.
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