Es ist noch nicht lange her, da haben wir den 75. Geburtstag von Udo Lindenberg mit einigen Insider-Informationen von damals verziert. Marcellino M. Hudalla, der Mann, dem wir am 7. März 2019 bei der Ausstellung „Untold Stories“ von Peter Lindbergh überraschend in die Arme liefen, hatte uns aus seinem spannenden Musik-Archiv ein Bild von Jimi Hendrix zur Verfügung gestellt; das Key-Visual der Jimi Hendrix Photo Competition. Jetzt trafen wir ihn wieder – Zufall oder nicht – genau an dem Tag, als der Kartenvorverkauf der Udo Lindenberg-Tournee 2022 begann. Mit im Gepäck hatte der Erfinder des weltbekannten Restaurantführers „Marcellino’s“ einige Fotos, die bald 50 Jahre alt werden: Zeitdokumente aus den 70er Jahren. Von und mit Leonard Cohen.
SWAN Magazine: Heute haben wir den 3. November 2021. Unser letztes Interview über Udo Lindenberg traf auf riesiges Interesse. Ausgerechnet heute beginnt der Vorverkauf für seine neue Tour 2022. Als Botschafter der Landeshauptstadt Düsseldorf wohnst Du mittlerweile in Köln. Wirst Du im Sommer 2022 live dabei sein, wenn er in der Kölnarena auftritt?
Marcellino: Echt? Das hatte ich so gar nicht auf dem Schirm. Aber ja, klar. Zuletzt hatte ich Kontakt mit seiner liebsten Haus- und Hof-Fotografin Tine Acke. Da ging es primär um ihre spektakuläre Foto-Ausstellung auf der Photopia im Hamburg. Übrigens ein Riesenerfolg.
SWAN Magazine: Du hast beim letzten Interview berichtet, dass Du als Musiker im damaligen Berlin mit Deiner poppigen Stimme nicht gefragt warst und dass Du Dich dann ersatzweise der Musikfotografie gewidmet hast. Und Du hast so ziemlich alles vor der Linse gehabt, was damals Weltrang hatte oder hätte haben können: Mick Jagger & Keith Richards von den Stones, Led Zeppelin, Frank Zappa und viele andere mehr. Die meisten von ihnen haben Schlagzeug und E-Gitarre eher dominant eingesetzt. Ganz anders dagegen Leonard Cohen.
Marcellino: Ja, das war die legendäre Zeit in Berlin-Kreuzberg, bei der ich gefühlt der einzige Mensch auf der gesamten Sorauer Strasse war, der einer geregelten Arbeit nachging. Meinen Arbeitskollegen hatte ich zu verdanken, dass meine erste Kamera eine Mamiya 6×6 war, die sogar schon ein 150er Tele als Wechselobjektiv hatte. Bei der Konzertfotografie damals ein deutlicher Vorteil.
SWAN Magazine: Wie kamst Du im Frühjahr 1972 dazu, Leonard Cohen zu fotografieren? Er hatte sich doch eher einen Namen als Dichter gemacht.
Marcellino: Richtig, aus dem Genre kam Leonard Cohen. Jahrgang 1934 und Kanadier. 1967 hat er sein Debütalbum „Songs of Leonard Cohen“ veröffentlicht und war damit auf Tournee gewesen. In Europa wurde er sehnsüchtig erwartet und die Euphorie war besonders in West-Berlin damals extrem gross.

SWAN Magazine: Weisst Du noch, wo das Konzert stattfand?
Marcellino: Klar, das war im legendären Sportpalast in der Potsdamer Strasse 172 in Schöneberg. Jenes legendäre Oval, konzipiert für Eishockey und 6-Tage-Rennen. Übrigens auch der berüchtigte Ort, an dem Joseph Göbbels 1943 zum „totalen Krieg“ aufrief.
SWAN Magazine: Wann war das Leonard Cohen Konzert genau?
Marcellino: Im April 1972. Der Sportpalast war für Rock- und Popkonzerte nicht optimal. Die Stromversorgung dort war nicht ausreichend dimensioniert. Die provisorische Bühne wurde für das Konzert an der Längsseite des Ovals gebaut. Beste Sicht also für die gefühlten 90% Frauen unter den Besuchern. Die Jungs waren selten Fans, eher eifersüchtige Kontrolettis oder Heimweg-Security. Aber nochmal zum Strom und Bühnenlicht: Das war im Sportpalast gegen Null. Vier Spots von vorn. That’s it. Dass zwischendurch mal der Strom ausfiel, war eigentlich schon garantiert. Und es wusste auch jeder in Berlin. Niemand kam damals ohne Feuerzeug zum Konzert.
SWAN Magazine: Wie war das Konzert dann selbst?
Marcellino: Ziemlich genial! Leonhard Cohen war total überrascht, dass alle Gäste seine Lieder und Texte kannten und mitgesungen haben – vom ersten Stück an. Er hatte eine Band dabei und Backgroundsänger. Und mitten in einem Song war der Strom auf einmal weg. Kein Licht, kein Ton. Und weisst Du was? Das Publikum hat den Song weiter gesungen. Und Leonard Cohen hat glücklich mitgesungen. Ich glaube es war „So long, Marianne“.
SWAN Magazine: Gerade bei seiner ersten Platte dominierten ja doch die gaaanz ruhigen Töne. Im Vergleich zu dem, was Berlin damals sonst so auf Konzerten erlebte, war das ja eher eine „Meditations-Soireé“…
Marcellino: Das war eine besondere Zeit. Als Dichter kam er aus einem anderen Genre … Seine Auftritte waren eher eine Andacht als ein Konzert. Und auch wenn jemand aus dem Publikum reingerufen hat, dann hat er eine Pause gemacht und in seiner ruhigen Art geantwortet. Nicht ganz so leicht für die Band. Und wenn es ihm zu laut wurde, hat er einfach leiser gesprochen, bis alle leiser wurden, um ihn wieder zu verstehen.
SWAN Magazine: Gab es 1972 in Berlin denn eine Zugabe?
Marcellino: Ja. Leonard Cohen hat damals die Besucher überrascht mit einer eigenen Interpretation von „As times goes by“ von Frank Sinatra. Riesige Begeisterung beim Publikum war das Ergebnis.
SWAN Magazine: Wie war Leonard Cohen denn so vom Move auf der Bühne?
Marcellino: Mit Hingabe aber fast unbeweglich. Der Kopf mal links oder mal rechts, hin und wieder ein Lächeln – das war’s.
SWAN Magazine: Unglaublich, aber es ist auch fast fünfzig Jahre her …
Marcellino: As time goes by … am 7. November 2017 hat er sich gen Himmel verabschiedet. Also ist heute sein fünfter Todestag. Deswegen habe ich mich ja von Euch verführen lassen, ein paar Bilder aus dem Archiv zu holen. Ich bin ganz erstaunt, dass das Interesse an meinen alten Bildern so enorm ist – gefällt mir sehr!
SWAN Magazine: Hast Du Leonhard Cohen später noch einmal getroffen?
Marcellino: Ja, zwei Jahre später war sein zweites Gastspiel in Berlin. Viel intimer, in der Philharmonie, damals fast ein Neubau. Etwa „nur“ 2.500 Sitzplätze. Aber auch mit viel besserer Beleuchtung : Kreuzlicht – vorteilhaft für den Künstler und auch für den Fotografen. Und Leonhard kam so sensationell an, dass es am Ende gefühlte 15 Minuten Standing Ovation gab – Gänsehaut pur.
SWAN Magazine: Und Du hast auf beiden Konzerten fotografiert?
Marcellino: Ja, auf beiden. Aber viele brauchbare Bilder kamen oft wegen des wenigen Bühnenlichtes nicht zu Stande – trotz hohem Materialeinsatz. Selbst bei offener Blende musste ich oft eine Achtel- oder Viertelsekunde halten – unmöglich eigentlich bei 150mm Brennweite. Deswegen habe ich zusätzlich auch eine Kleinbildkamera eingesetzt. Allein 36 Bilder ohne Filmwechsel war ein enormer Vorteil.
SWAN Magazine: Aber von der Philharmonie gibt es keine Fotos mehr?
Marcellino: Ein grosser Teil meiner fotografischen Schätze ist ja vor Jahren einem Archivbrand zum Opfer gefallen. Retten konnte ich vielleicht 20%, wenn überhaupt. Mit dabei einige von Leonard Cohen. Es ist Glück, dass die Bilder vom Garderoben-Shooting in der Philharmonie noch existieren.
SWAN Magazine: Das, was aussieht, wie ein Shooting für ein Plattencover, stammt von einem kurzen Garderoben-Date?
Marcellino: Genau. Ich hatte 15 Minuten vor dem Soundcheck. Fünf Minuten haben wir über das Konzert 1972 gesprochen und dann blieben noch zehn Minuten Zeit für Fotos. Er ruhte in sich, hat kleine Spässe gemacht, hin und wieder geschmunzelt. Dann hat er irgendwas draussen durch das Fenster gesehen. Der Kopf drehte zum Tageslicht – perfekt. Ein gelungenes Portrait mit einem Künstler ohne irgendwelche Star-Allüren.

SWAN Magazine: Ein Kontrastprogramm zu Hendrix und Led Zeppelin, oder?
Marcellino: Ja klar. Wilde Jungs auf der Bühne sind nochmal eine andere Herausforderung. Doch die Folk-Szene war viel cooler unterwegs. Interessant ist ja, dass viele Rockstars später die Songs von Leonard Cohen gecovert haben; wie Bruce Springsteen zum Beispiel.
SWAN Magazine: Apropos Dichterszene … Gab es nicht Momente auf der Bühne, wo er ein Gedicht vorgetragen hat? Das wäre doch eine ideale Kombination…
Marcellino: In der Tat, das gab es. Aber nie lange. Auf der Bühne war er eher wie der Sänger in einer meditativen Andacht. Die Gäste sassen im Sportpalast auf dem Boden. Im Schneidersitz. Hatten Duftkerzen dabei und etwas zu Essen. Leonard Cohen hat seine Songs sehr frei interpretiert. Ein vierminütiger Song konnte auch mal zehn Minuten lang werden. Kollektive Joints machten die Runde und man lag sich in den Armen.
SWAN Magazine: Hast Du selbst Dich denn da wohlgefühlt?
Marcellino: Hab ich, obwohl ich nicht als Fan im Chillmodus dort war, sondern als Fotograf mit professioneller Aufgabe. Abhängen war eh nicht so mein Ding. Ich habe immer gern was Produktives gemacht. Aber ja, ich mochte auch die Musik von Leonhard Cohen sehr.

SWAN Magazine: Eigentlich sind die Fotos vom Garderobenshooting perfekt für ein Cover …
Marcellino: Ganz ehrlich? Ich weiss es nicht. In meiner verbrannten Sammlung gab es unzählige Belegexemplare von Platten- und Magazincovern. War da ein Leonard Cohen-Cover dabei …? Keine Ahnung. Ich habe damals auch für die wichtigen ausländischen Magazine und Labels gearbeítet. „Wauh, wie toll“ hörte ich damals oft. Alle lachten, wenn ich meine Fotos als Zufalls- oder Anfängerglück bezeichnete. „Ach, jetzt ist er auch noch so bescheiden“. Aber das war wirklich so. Ich wollte ja eigentlich Sänger bleiben. Dass ich Fotograf wurde, war ja nur dem Umstand zu verdanken, dass mich als Sänger keine Berliner Band haben wollte. Die wollten Underground und kein Pop.
SWAN Magazine: Weisst Du denn noch, wie viele Coverfotos Du insgesamt gemacht hast?
Marcellino: Irgendwas zwischen 70 und 100 Cover waren es bestimmt. Da kam laufend was Neues dazu. In der Zeit hatte ich sehr engen Kontakt zur Musikpresse und zu den Plattenlabels und wurde immer gebeten, hier und dahin zu fahren, um die Stars und Sternchen zu fotografieren.
Dabei habe ich auch die Chanson- und die deutsche Schlagerszene fotografiert. Zum Beispiel Chris Roberts, Howard Carpendale und viele mehr. Wenn du dir einen Namen gemacht hattest, dann warst du überall am Start. War auch gut für die Kasse. Ausrüstung und vor allem das viele Material mussten ja auch bezahlt werden.
SWAN Magazine: Wie war das damals mit der Abrechnung der Nutzungsrechte?
Marcellino: Wie wollte ich das je alles kontrollieren? Die grosse Presse und die grossen Labels haben immer korrekt und von selbst gemeldet und bezahlt. Und natürlich gab es auch Schmutzfinger, die erst dann bezahlt haben, wenn ich (zufällig) was gefunden hatte. Und manche haben auch nie gezahlt.
SWAN Magazine: Welche Veröffentlichungen haben bei Dir den meisten Stolz ausgelöst?
Marcellino: International ganz klar der Melody Maker und der Rolling Stone. National POP-Rocky und Sounds. Eine Zeit lang in fast jeder Ausgabe. Aber Platten-Cover waren immer die Krönung. Und Poster!

SWAN Magazine: Wieso bist Du dann nach rund sieben Jahren aus dem Business ausgestiegen?
Marcellino: Zum einen entwickelte sich eine Routine und der Reiz wurde geringer. Aber auch das dauernde Reisen war irgendwann ermüdend. Zum anderen gab es auf einmal viel mehr Licht auf der Bühne und auch die Scantechnik wurde besser. Da konnte ein Laie mit guten Equipment und Einbeinstativ plötzlich brauchbare Fotos aus der Menge heraus machen, die zuvor nur im Sicherheitsgraben vor der Bühne möglich gewesen wären. Also gab es eine Schwemme an Fotos für alle Medien, die Preise fielen dramatisch. Das hat mir gar nicht gefallen.
SWAN Magazine: Heute bist Du wieder (Hobby)-Musiker und trittst mit Deiner Band auf. Jetzt sprachst Du vorhin von einem neuen Ansatz. Was verstehen wir darunter?
Marcellino: Seit meine erste Frau 2004 vorzeitig in den Himmel abberufen wurde, mache ich wieder Musik. Zuerst Rock mit englischen Texten, dann mit deutschen Texten und sogar Cover- und Party-Klassiker, mit denen man sehr viele Menschen live erreichen kann.
Jetzt gibt es einen neuen Ansatz – und den habe ich eigentlich Dir zu verdanken, lieber Thomas. Nach dem SWAN-Fotowettbewerb habe ich nach Jahren der Nichtbeachtung wieder gemerkt, dass meine alten Fotos das Publikum sehr interessieren. Verstärkt auch durch die Hintergrund-Interviews zu Jimi Hendrix, David Bowie und Udo Lindenberg.
Und dann sagtest Du irgendwann eher im Nebensatz: „Hey, Marcellino, warum kombinierst du das nicht- die Fotos, die Stories und die Musik?“ Genau das Projekt ist jetzt in Arbeit – aber – gut Ding braucht Zeit. Das Team ist jedenfalls voll motiviert. Und wie das genau werden wird, erzähle ich lieber später, wenn es soweit ist, ok?!
SWAN Magazine: Das heisst, aus der spontanen Idee erwächst gerade ein Konzeptpapier?
Marcellino: Weniger Papier, mehr Konzept. Da sind doch noch unzählige Foto-Highlights ans Tagelicht zu bringen, mit einem Song zu verbinden und ein paar Erinnerungen zu notieren. Das muss gut vorbereitet sein. Let’s wait and see!
SWAN Magazine: Mit anderen Worten: Du langweilst Dich gerade zu Tode?
Marcellino: (Lacht schallend) Ja klar! Nein, Langeweile habe ich nie. Frage mal meine Nooria … Ich habe ja auch noch nie richtig gearbeitet. Aber dafür habe ich mich sehr intensiv vergnügt. Aber du hast da etwas losgetreten, das gerade erst so richtig ins Rollen kommt und ich bin dir sehr dankbar dafür. Schaun’ wir mal, ob das Publikum ähnlich zu begeistern sein wird, wie ich selbst es längst bin…
SWAN Magazine: Letzte Frage, Marcellino. Welches ist Dein Lieblingslied von Leonard Cohen?
Marcellino: „Dance me to the end of love”.
SWAN Magazine: Danke Dir, Marcellino. Dann lass uns mit diesem Song doch den heutigen fünften Todestag von Leonard Cohen ehrwürdig begehen.
März 27, 2025 @ 7:51 am
Thanks for finally talking about > Leonard Cohen • Heute ist sein fünfter Todestag • Rückblick auf Berlin < Liked it!
März 30, 2025 @ 5:36 am
Good way of describing, and nice post to take data regarding my
presentation focus, which i am going to deliver in college.