Marcellino M. Hudalla ist vielen Fotografen seit der Jimi Hendrix Photo Competition ein Begriff. Wenige Tage vor Hendrix‘ Tod 1970 hatte er in Berlin das Bild geschossen, was vielen Fans und Abonnenten des SWAN Magazines als Vorlage für ihre künstlerische Arbeit diente. Aus gut unterrichteten Quellen konnten wir erfahren, dass er weitere Fotos von Rock- und Poplegenden in seinem Archiv besitzt.
Heute treffen wir Marcellino wieder (natürlich rein digital), um mit ihm über einen Vollblutkünstler zu sprechen. Dieser Künstler ist Musiker, Maler und Schriftsteller und hat viele Jahre seines Lebens in Hotels gewohnt. Morgen wird er 75 Jahre jung und ist quietschfidel: Ladies and Gentlemen – Udo Lindenberg.
SWAN Magazine: Grüsse Dich, Marcellino. Du hast Udo Lindenberg kennengelernt lange bevor er berühmt wurde. Berichte einmal.
Marcellino: Udo Lindenberg ist in Gronau in Westfalen aufgewachsen. Um Musik zu studieren, ging er nach Münster, wo ich in den 60er Jahren auch gewohnt habe. Kennengelernt habe ich Udo 1966. Schon damals war er übrigens mit Steffi Stephan unterwegs, der ihn noch heute als Bassist begleitet. Damals hat Udo in einer Cover-Band gespielt, die sich „The Mustangs“ nannten.
SWAN Magazine: Das sind Informationen, die z.B. Wikipedia geflissentlich überspringt. Doch wie ist Dein Kontakt zu ihm entstanden?
Marcellino: Ich ging zu der Zeit in Münster ins Schlaun-Gymnasium und hatte meine erste Band: „The Certies“ (ein Phantasiename). Und da Münster nun wirklich keine Weltstadt ist, lief man sich von Band zu Band einfach hier und da über den Weg.
SWAN Magazine: Welche Funktion hatte Udo denn bei „The Mustangs“?
Marcellino: Er war der Trommler. Aber eigentlich war er kein Rock/Pop-Trommler. Er war eher Jazz-Trommler. Das konnte man schon daran erkennen, wie er die Drumsticks hielt. Charlie Watts (Rolling Stones) spielt zum Beispiel auch so.
SWAN Magazine: In den angesagten Clubs der Stadt seid Ihr Euch dann regelmässig in die Arme gelaufen?
Marcellino: Ja, so in etwa. Udo war mit seiner Band unterwegs und wir trafen uns, weil wir manchmal hintereinander auf der gleichen Bühne standen.
SWAN Magazine: Ausserhalb von irgendwelchen Auftritten hattet Ihr aber keinen Kontakt?
Marcellino: Doch. Doch … In Münster neben der Lamberti-Kirche gab es damals so eine Kaffeebude. Tchibo oder Eduscho. Auf jeden Fall standen wir dort oft draussen an den Stehtischen und haben Musiker-Tratsch ausgetauscht … Aber fast nie morgens, da lagen die meisten Musiker noch im Bett, aber so gegen die Mittagszeit oder später dann …
SWAN Magazine: Wie war die Situation damals? Ward Ihr da beide schon Vollblutmusiker?
Marcellino: Nein, nein … Udo hat Musik studiert und hat sich mit dem Trommeln etwas Taschengeld verdient. Ich meine sogar, dass er nebenher noch gekellnert hat. Bei mir war es ähnlich. Ich war zuerst noch Schüler, habe Zeitungen ausgetragen, und beim Dachdecker gearbeitet. Sogar Heiligenfiguren habe ich restauriert. Von der Musik konnte zu der Zeit keiner von uns leben.
SWAN Magazine: Noch in Münster hast Du dann eine Lehre begonnen.
Marcellino: Ja genau. In der 11. Klasse hab ich dann das Gymnasium geschmissen … Habe eine Lehre als Schriftsetzer angefangen – meine beste Entscheidung ever. Als sich dann meine Band „The Certies“ aufgelöst hat, bin bei „The Dandys“ gelandet. Die waren gerade Beatweltmeister geworden, weil sie 240 Stunden am Stück gespielt hatten. Da wurde in ganz Deutschland drüber berichtet.
SWAN Magazine: Als Sänger der Band lagen Dir doch bestimmt die Damen zu Füssen, oder?
Marcellino: Naja, schon … aber ich war damals wohl der schüchternste Junge von ganz Münster, auch wenn das heute unvorstellbar erscheint. Ich bin zu der Zeit nach dem Gig oder in den Set-Pausen von der Bühne und habe mich am liebsten mit einem Freund in die Ecke gesetzt, ein Bier getrunken. Hab nie Mädels gebaggert. – Heute weiss ich, dass meine Bandkollegen es irgendwann satt waren, dass ständig irgendwelche Mädchen sie gefragt haben, ob sie mir mal vorgestellt werden könnten.
SWAN Magazine: Und dann habt Ihr beiden Euch vermutlich irgendwann aus den Augen verloren…
Marcellino: Ja genau. Meine neue Band spielte nach dem Weltrekord vor grösserem Publikum und hatte auch einen weiteren Aktionsradius. Und irgendwann zu dieser Zeit hat Udo Münster verlassen und ist nach München gegangen. Spielte bei dem Jazz-Saxophonisten Klaus Doldinger als Schlagzeuger in seinen beiden Bands „Passport“ und „Motherhood“ und ging mit ihm auf Tournee.
SWAN Magazine: War Udo Lindenberg dann in Münster oder München schon bekannt beim Publikum?
Marcellino: Berühmt noch nicht, aber bekannt als singender Trommler in den Bands. Mehr nicht. Er ging dann später nach Hamburg und hatte das Glück, bei der Plattenfirma „Teldec“ seine erste LP „Lindenberg“ 1971 veröffentlichen zu können. Noch rein englischsprachig; das war auch noch kein goldener Schuss.
SWAN Magazine: Und Du warst weiterhin in Münster?
Marcellino: Ich habe dort meine Lehre erfolgreich und vorzeitig abgeschlossen. Als ich dann zur Bundeswehr sollte, man mich aber in der von mir favorisierten Spionageabwehr nicht haben wollte, habe ich mich nach Berlin abgesetzt und war damit nicht mehr für den Staatsdienst greifbar.
Natürlich wollte ich weiter auf die Bühne und habe mich bei einigen Berliner Bands als Sänger beworben. Aber mit meiner tollen Popmusik-Stimme war ich in Berlin kein Start zu machen. Schlimmer noch: Die Musiker haben mich ausgelacht, stell dir das vor! In Berlin wollte das Publikum groben Underground-Sound hören und nicht das seichte Pop-Zeugs. Das war schwer für mich damals!
Aber ich habe meine Karriere als Bleisetzer fortgeführt und schnell Fuss gefasst in der Weltneutheit des Fotosatzes. Komischerweise hatten dort alle meine Kollegen Spass am Fotografieren. Und so blieb es nicht aus, dass das Fotografieren auch mein neues Hobby wurde – schweren Herzens zunächst. Aber auch mit Neugier …
SWAN Magazine: Von der Jimi Hendrix Photo Competition wissen wir, dass Du selten mit Kleinbild gearbeitet hast. Eher ungewöhnlich für einen Quereinsteiger, oder?
Marcellino: Ungewöhnlich war eigentlich mehr, dass alle meine Kollegen mit Mittelformatkameras arbeiteten. Dass ich dann auch auf Mittelformat gegangen bin, war eher eine logische Schlussfolgerung. Die Umgebung färbt bekanntlich ab.
SWAN Magazine: Welche Kamera hattest Du damals?
Marcellino: Die Hasselblad war damals die teuerste 6×6-Kamera. Die konnte ich mir als Jungspund nicht leisten. Also habe ich eine Mamiya gewählt, weil die eine der wenigen Mittelformatkameras war, die schon Wechselobjektive anbot. Also hatte ich eine Normalbrennweite und eine Portraitbrennweite (150mm, auf Kleinbild umgerechnet ca. 85mm Brennweite). Die Kamera hatte den umständlichen aber günstigen Schachtsucher, bei dem jedes Bild spiegelverkehrt angezeigt wurde. Das brauchte erstmal Übung.
SWAN Magazine: Du bist also mit Deiner Profikamera losgezogen und hast Profis fotografiert…
Marcellino: Das hört sich sehr hochgestochen an. Aber ja, ich interessierte mich für Musik, in Berlin gingen alle grossen Bands ein und aus und so habe ich die Kamera genutzt, um Konzerte besuchen zu können. Lieber wäre ich ja selber auf der Bühne gewesen. Damals hatte nicht jeder eine Kamera (wie heute) und mit so einer grossen Kamera wurde man überall als Profi identifiziert. Das hat mir die eine oder andere Türe geöffnet, obwohl ich das Fotografenhandwerk ja nie richtig gelernt habe. Aber meine Kollegen waren richtig gute Lehrmeister… Jeden Tag eine neue Lektion.
SWAN Magazine: Dein Musikinteresse hat Dich also zum Konzertfotografen gemacht?
Marcellino: (Strahlt über die gesamte Videokonferenz) Jaaa, nach etwa 3 Monaten üben war eines meiner ersten Fotos im Sicherheitsgraben vor der Bühne das vom Superstar Robert Plant. Also dem Sänger der legendären Led Zeppelin. Das Bild war wohl richtig klasse und brachte mir auf den Schlag die Titelseite der Musikzeitschrift POP ein, vom legendären Verleger Jürg Marquard. Kurz darauf kamen weitere Veröffentlichungen in Zeitungen und Musikzeitschriften. Echt unglaubliches Anfängerglück. Mein Selbstbewusstsein kam sofort wieder auf die Spur.
SWAN Magazine: Du hast also zwei Jobs gemacht. Morgens den Fotosatz und abends als Fotograf.
Marcellino: Ich war damals süchtig nach Anerkennung – und die habe ich morgens und abends bekommen. Von ganz unterschiedlichen Menschen. Das war mir viel wert. Aber irgendwann habe ich meinem Arbeitgeber (der Bertold AG) dann den Rücken gekehrt und habe mich selbständig gemacht als Fotograf für die Musikwelt.
Von da an gab es den Interessenskonflikt nicht mehr, wenn mich eine Zeitung bat, für ein paar Bilder in den Flieger zu steigen, um in München, London oder Hamburg ein paar Fotos von den grossen Bands zu machen. Ich habe damals reihenweise Titelfotos und Poster für Musikzeitschriften und Tageszeitungen geshootet. Auch reichlich viele Plattencover für verschiedene Künstler. So war ich in der Presse, aber auch bei den Plattenlabels schnell gefragt und top verdrahtet.
SWAN Magazine: Dabei ist der Kontakt zu Udo Lindenberg dann aber gänzlich auf der Strecke geblieben, oder?
Marcellino: Aus den Augen aus dem Sinn … aber nur für kurze Zeit. Jedenfalls: Irgendwann war ich dann von der Plattenfirma Teldec nach Hamburg eingeladen. Die haben Platten u.a. von David Bowie bis Klassik gemacht und brauchten mich für ein paar spezielle Fotos.
Als ich dann beim Pressesprecher im Büro sass und wir so plauderten, drückte er mir einen Stapel neue LPs in die Hand mit der Bemerkung: „Da ist auch eine von Udo Lindenberg dabei, ein neuer hoffnungsvoller Künstler aus Deutschland. Die aktuelle LP ist in Englisch, aber Udo bereitet ein neues Konzept vor, dass wir gut finden.“
SWAN Magazine: Und dann seid Ihr ins Gespräch gekommen?
Marcellino: Ja, das ging ganz schnell. Als ich erzählte dass wir uns aus Münster kennen, hat er mich gleich für ein Interview mit Udo verdrahtet. Der wohnte damals zusammen mit Otto und ein paar anderen Musikfreaks in einer WG Johnsallee Ecke Rothenbaum Chaussee in einer alten Villa … Schon am Tag danach kam es zum Wiedersehen …
SWAN Magazine: Und wie fandest Du die Idee mit den deutschen Texten bevor Du Dich mit Udo trafst?
Marcellino: Erstmal nur interessant. Die einzige Band mit deutschen Texten damals war „Ihre Kinder“ aus Nürnberg. Die Texte waren zu anspruchvoll um richtig kommerziell zu sein, gute Sachen dabei, aber auch etwas schwermütig. Ich war also neugierig, was Udo da so vorhatte.
SWAN Magazine: Berichte mal. Wie hat er Dich empfangen?
Marcellino: Erfreut, aber ohne Panik … mitten in seinem intimsten Zuhause, seinem eigenen WG-Zimmer. Keine Show, keine Verkleidung, kein Eierlikör. Aber doch vertraut und herzlich …
SWAN Magazine: Lass uns da mal genauer reinschauen.
Marcellino: Wir sassen in seinem WG-Zimmer auf dem Fussboden. Er auf seiner Bodenmatraze, verleidet mit dunkelblauem Samt … sehr stylisch. Ich im Schneidersitz ihm gegenüber, in der Ecke ein kleiner Turm mit Schallplatten und sein geliebter Plattenspieler, leere Weinflasche auf dem Boden. Ganz ungezwungen und locker. War ja auch kein offizieller Pressetermin.
SWAN Magazine: Aber Deine Mamiya hattest Du nicht dabei?
Marcellino: Nein, ich war zwar „on the job” in Hamburg, aber es ging darum Kontakte zu pflegen und zu knüpfen. Deswegen hatte ich „nur“ meine Minolta-Kleinbildkamera dabei. Das war einfach eine „Immerdabei“, wie man heute sagt. Praktischer als das große Gerät, das ich primär für Titelseiten, Poster und LP-Cover eingesetzt habe. Sprich bessere Auflösung. Auch wegen der damals noch unterentwickelten Scantechnik.
Jedenfalls waren nur noch weniger Bilder auf meinem Film frei und … ich hatte auch keinen Ersatz dabei. Hab halt nur einen alten Kumpel besucht … Vom kommenden Superstar war da noch nichts zu ahnen.
SWAN Magazine: Habt Ihr nicht auf alte Zeiten in Münster angestossen?
Marcellino: Nee, wir haben viel gequatscht. Wie das so ist, wenn man sich nach langer Zeit wiedertrifft. Das war Anfang 1972. Also noch bevor Udo seine zweite LP (und zugleich die erste deutsche LP) „Daumen im Wind“ auf den Markt kam. Er war noch beim Komponieren und Texten.
Aber Udo hat mir erste Textfetzen vorgesungen und mir wurde direkt klar, dass er das Thema „deutsche Texte“ völlig anders angeht. Das hat mir gefallen. Strassensprache und mit verstecktem Witz. Das Wortspiel, das er erst letzte Woche bei der Presseveröffentlichung zu seinem neuen Song auch wieder eingesetzt hat. Dort bezeichnet er die Erwachsenen mit „alten abgeklärten Kukidentos“. Yeeesss – das macht doch Spass!
Der Erfolg sollte ihm recht geben. Die Radios spielten seine Songs schon bald rauf und runter und Udo hat ab da jährlich neue Longplayer auf den Markt geschmissen. Texte und Ideen sprudelten nur so aus ihm raus.
SWAN Magazine: Lass uns kurz bei diesem Besuch 1972 in Hamburg bleiben. Udo hatte damals diesen sagenumwobenen Prinz-Eisenherz-Haarschnitt mit Pony und langen glatten Haaren und Du hast dieses eine Foto gemacht.
Marcellino: Ja genau. Udo sass auf seiner mit blauem Samt eingewickelten Bodenmatratze und hatte dieses T-Shirt mit den gelben Ärmeln an. Neben ihm die Gitarre, eine leere Weinflasche am Boden, verschiedene Platten und der Plattenspieler natürlich. Das war sein Kreativlabor, kein Zweifel. Dort hatte er alles griffbereit und zugleich die Tür im Blick und konnte sich auf sein Ding konzentrieren.
SWAN Magazine: Mit Hut, Zigarre, Brille und ganz in schwarz gekleidet kennt man ihn heute ja. Das Bild von Dir zeigt ihn ja schon recht intim. Das ist kein typisches Pressefoto oder gar ein Covermotiv. Das ist einfach „Udo privat“. Was bedeutet Dir dieses Foto?
Marcellino: Das bedeutet mir echt viel. Ich habe ja doch einige grosse Künstler getroffen und fotografiert. Oft hatte ich nur eine halbe Stunde mit ihnen und dann musste da etwas Brauchbares herauskommen. Meine Auftraggeber haben beste Lieferung erwartet, klar.
Doch dieses eine Foto mit Udo ist einfach so zwischendurch entstanden. Es fällt in meiner Fotosammlung auf, weil es einen Künstler ganz und gar privat zeigt. Vertraut halt.
Heute nach 49 Jahren ist es sicherlich für viele Fans etwas Besonderes, einen bisher unbekannten Blick in die Intimität des Anfanges zu erleben. Sinnbild für eine historische Wende. Udo hatte seinen einen ganz neuen Weg eingeschlagen. Dieser Schritt ins Deutsche war der Grundstein für eine grandiose Erfolgsgeschichte von damals bis heute. Man denke nur an die Anzahl an Platten von ihm, die ab 1972 auf den Markt kamen.
SWAN Magazine: Für uns ist Dein Bild einfach ein Blick in seine Werkstatt. Seine kreative Zentrale, in der er seine Entscheidung umgesetzt hat, ab sofort nicht mehr auf englisch zu singen.
Marcellino: Was man aber nicht auf dem Bild sieht, ist sein Pfeil-Pusterohr.
SWAN Magazine: Sein Pfeil-Pusterohr?
Marcellino: Nun, er hatte neben seiner Matratze eine kleine Dose mit Pfeilen und dieses Pusterohr. Das war nicht nur Spielzeug, sondern auch ein Werkzeug. So konnte er im Liegen nachts das Licht auspusten, ohne sich von seiner Kreativliege zu erheben. Udo halt.
SWAN Magazine: Nun hast Du ja, nachdem Du jahrelang eigentlich nichts mit Deinen Fotos gemacht hast, in den letzten Monaten doch ein paar Veröffentlichungen „alter Schätze“ gemacht. Hast Du Lust bekommen auf was Neues?
Marcellino: Ja angefangen hat das ja mit unserem zufälligen Treffen im Kunstpalast. Im Gespräch über Untold Stories habe ich euch ja ein paar alte Schätzchen gezeigt. Daraus ist der wirklich besondere Jimi Hendrix Photo Contest entstanden und zuletzt habe ich zum Todestag von David Bowie ein paar Schätzchen rausgekramt, die grossen Anklang fanden, begleitet von einem interessanten Interview bei kwerfeldenein.de mit Katja.
Lust auf was Neues? Hmmmm… einerseits bin ich überhaupt nicht der Vergangenheitstyp. Dafür habe ich viel zu viele Ideen, die noch nicht umgesetzt sind. Andererseits gefällt mir die Aufmerksamkeit an diesen Schätzen. Um die aber richtig zu heben, heißt das auch richtig viel arbeiten in der Vergangenheit. Da brauche ich jetzt Hilfe von jemandem, der Spass an Historischem hat das übernehmen möchte. Vielleicht findet sich ja jemand … wäre doch schön!
Weil ich hatte ja doch einige Mega-Stars vor der Linse: Die Rolling Stones, Led Zeppelin, The Who, Miles Davis, Cat Stevens, Tina Turner, Peter Alexander, Deep Purple, Peter Maffei und so weiter. Auch private Aufnahmen. Einige von ihnen kommen jetzt ins höhere Alter und feiern runde Geburtstage … Historische Fotos könnten diese Events auch gut betonen.
SWAN Magazine: Und zu Udo’s Geburtstag hast Du Dir dann etwas ganz Besonderes überlegt?
Marcellino: Ich weiss nicht, ob es etwas ganz Besonderes ist, aber ja, ich habe mir gedacht, dass es ganz spannend sein könnte, meine Musik, seine Musik und seine bildliche Sprache miteinander zu kombinieren.
Hintergrund ist: Ein Schlagerproduzent hatte mit mir als Sänger ein paar Cover-Titel aufgenommen, wobei er mich animierte, „weicher“ zu singen als ich es gewöhnlich tue. U.a. auch „Hinterm Horizont“. Daraus ist dann die Idee entstanden, eine Kombi aus meinem eigenen Happy Birthday-Song, der täglich um die 50 Geburtstagskinder aus meinen Social-Media-Verteiler beglückt, und dieser „Hinterm Horizont Version“ zu produzieren und Udo zu widmen.
Wir haben also eine Version mit rauhem Marcellino-Gesang produziert und dazu ein Video zu Udo’s 75. Geburtstag am 17.05.2021 gebastelt. Das Ganze ist nun fertig „im Kasten“ und wird heute Abend an meine Fans und Follower verschickt werden.
SWAN Magazine: Dürfen wir das hier auch zeigen?
Marcellino: Na klar. Das ist ja ab heute Abend öffentlich auf Youtube zu sehen. Es zeigt auch dieses besondere Bild, das ich nach dem Teldec-Besuch in seiner Hamburger WG aufgenommen habe. Das Video wird aber von weiteren Fotos illustriert, die ich speziell für diesen Zweck ausgesucht habe. Ich brauchte ja ein Bild von zwei Detektiven, eine endlose Strasse, dunkle Wolken. Also habe ich alles zusammengetragen und an meinen Freund und Lieblings-Produzenten Peter Schnell geschickt. Er hat für sowas ein irres Händchen und hat aus ganz vielen Bestandteilen dieses Video geformt. Bestimmt kein Blockbuster, aber … eine Freude es zu machen und eine nette Geste der Verbundenheit für einen alten Weggefährten. Und mit gaaaanz viel Herz.
SWAN Magazine: Hast Du denn heute noch direkten Kontakt zu Udo?
Marcellino: Nein, aber zu Steffi Stephan, seinem Bassisten since ever. Der ja nächstes Jahr im Mai dann auch 75 wird. Ich bin sicher, dass das Video auf diesem Weg bei Udo landen wird.
SWAN Magazine: Rechnest Du mit einem Feedback von Udo persönlich?
Marcellino: Sagen wir so: Wir sind Brüder im Geiste und haben viele Gemeinsamkeiten. Mal sehen was das Schicksal so vorhat. Aber zu einer Runde auf dem Golfplatz mit ihm müsste man mich nicht lange überreden. Wobei das dann nachts sein würde, so wie ich den Sportsfreund kenne. Zur Stärkung würde ein Liköröllchen das passende Getränk sein, meine ich.
SWAN Magazine: Habt Ihr Euch nach 1972 denn nicht mehr gesehen?
Marcellino: Doch schon, aber eher zufällig. Ich habe ja rund um meinen „Marcellino’s Restaurantführer“ über Jahre hinweg so eine Art Roadshow gemacht. Da haben wir chicke Autohäusern als Eventlocation genutzt und den Sieger-Restaurants die Chance gegeben, den teilnehmenden Gästen etwas von ihren Köstlichkeiten zum Probieren anzubieten. Das waren jeweils 300 bis 600 Gästen bei jährlich ca. 13 Events. Und hin und wieder waren Udo und ich auf Tournee auch mal zufällig im gleichen Hotel gelandet. Alles locker und ganz ohne Panik. Aber stets auf brennend heisser Spur…
Udo ist ja heute kaum noch in irgendwelchen Hallen on stage, sondern in den ganz grossen Stadien. Das, was der da in seinem Alter macht, ist schon ganz grosses Kino – oder besser gesagt „Oper“. Und immer gespickt mit seinen kleinen Wortspielen , wie z.B. aktuell zur Veröffentlichung seiner neuen Single „Ganz genausso“: Da bezeichnet sich Udo nicht als „Vorsitzender“ des Clubs der Hundertjährigen, sondern als deren „Vorliegender“.
SWAN Magazine: Bist Du denn auch grosser Fan von ihm? Also sammelst Du seine Platten oder Tourneeposter?
Marcellino: Ich sammle gar nichts, beobachte aber alles. „Alles, was du besitzt, besitzt auch dich.“ Da bin ich heute „reduce to he max“. Deswegen habe ich heute auch weder eine Platten- noch eine CD-Sammlung. Ich höre viel Musik, aber „unromantisch“ digital, dafür aber praktisch. Mich fasziniert Udo’s die Kreativität am Meisten. Beeindruckend, wie gekonnt er bestimmte Themen mit Witz und Charme bearbeitet und ihnen eine ganz eigene Tonalität schenkt.
SWAN Magazine: Udo Lindenberg ist ja nicht nur für seine ikonische Erscheinung und sein einzigartiges Styling bekannt, sondern auch für Zigarren und Liköre. Habt Ihr da auch Gemeinsamkeiten?
Marcellino: Nein, das Rauchen habe ich 2004 nach dem Abschied von meiner ersten Frau komplett eingestellt. Und Eierlikör? Wer ausser Udo kommt schon auf Eierlikör? Der hat dieses angestaubte Getränk wieder salonfähig gemacht und damit die Damenwelt komplett bezirzt. So nimmt er dem Leben diese unnötige Ernsthaftigkeit und verleiht ihm ein wenig tröstende Leichtigkeit. Udo gibt vielen den Glauben an sich selbst zurück. Man, das ist doch wohl mit das Allerwichtigste, oder?
SWAN Magazine: Kommen wir zur letzten Frage. Hast Du ein Lieblingslied von Udo?
Marcellino: Ja, ganz klar: Hinter’m Horizont geht’s weiter!
SWAN Magazine: Wirklich? Das ist doch vermutlich der Hit, den uns jeder an jeder Strassenecke nennen würde …
Marcellino: Gut möglich. Aber der Text ist so herrlich philosophisch. So weitreichend. Er deckt damit so viele Themen ab. Aber von allen seinen Textpassagen gefällt mir folgende mit Abstand am besten: „…und der galante Karl Brutal, tanzt den Schieber noch einmal. Und die Damen wurden nass… um die Augen und um die Nase blass.“ Hey, da will man doch gleich auf Tisch mittanzen …
SWAN Magazine: Da wir Dich ja nun einige Zeit kennen, hätten wir eher erwartet, dass „Mein Ding“ Dein Alltime-Favorite gewesen wäre. Der Text ist Dir doch wie ein Massanzug auf den Leib geschneidert.
Marcellino: Ja, „und ich mach mein Ding“ rangiert tatsächlich direkt hinter „Horizont“. Das Lustige ist ja, dass ich zu der Zeit, als Udo diesen Song veröffentlichte, an einem ähnlichen Songtext gearbeitet habe. Aber den habe ich nie veröffentlicht, weil Udo’s Ding nicht zu toppen ist.
SWAN Magazine: „Mach dein Ding“ ist doch quasi die Soundtrack Deines Lebens, oder?
Marcellino: Haha ha, ja könnte man schon so sagen. Aber es ist vor allem der Soundtrack von Udo’s Leben. Die Konsequenz, mit der er seinen Weg geht. Und das mit unglaublichem und immer noch wachsendem Erfolg: Hey Udo, bleib gesund und auf der Spur. Das Land braucht dich… genausoo!