Wir lieben Bildbände! Und wir lieben Musik! Einer, von dem wir zumindest Ersteres schon lange wissen, ist Tom Klein. Viele unserer Abonnenten kennen Tom Klein spätestens seit der Ausgabe 07, in der der Fotokünstler aus Trier vorgestellt wurde. Er betreibt dort ein kleines Kollodium-Atelier in der Altstadt. Doch nun hat er die weite Welt bereist und hat dazu analoge Filme in sein Gepäck genommen…
Der französische Charme und ganz besonders die Belle Époque begeistern den fotografischen Nischenplayer schon lange. Im Interview der Printausgabe sprachen wir darüber und auch in unserem zweiteiligen Interview hier auf unserem Blog hatten wir dies schon herausgearbeitet. Seine frankophile Begeisterung hat bei uns für die erste Überraschung gesorgt: Als wir davon erfuhren, dass Tom zu Schiff in die neue Welt gereist ist und dazu ein Bildband in Entstehung sei, war für uns eins gesetzt: Der Titel! Doch als wir den Bildband dann endlich in den Händen halten konnten, waren wir überrascht: Tom hat die englische Schreibweise gewählt: Transatlantic!
Doch beginnen wir mit der Haptik und dem ersten Eindruck
Das Erstlingswerk von Tom Klein beeindruckt schon beim Auspacken. In edlem Leinenstoff eingebunden, schmeichelt es der Hand und ist griffig zugleich. Ungewöhnlich ist die Farbe: Ein zeitloser Petrol-Ton, ein wenig wie der Atlantik, ist die dominierende Farbe des Einbandes. Doch damit der Eindruck von jeansartigem Stoff gar nicht erst entsteht, kombiniert der Künstler aus der Grenzregion nach Luxemburg den Einband mit edel silbern schimmernder Schrift und einer Schriftart, die selbst aus dem Allerweltsvornamen „Tom“ schon ein kleines Kunstwerk entstehen lässt. Fast sogar ein Key Visual. So gut gewählt, dass wir ihm empfehlen würden, exakt diese Schriftart auch auf seiner Website einzusetzen – und nicht nur eine Kopie, die das Original nicht erreicht. Aber das ist ein anderes Thema.
Auf 192 Seiten zeigt Tom 104 Fotografien von seiner Reise per Schiff. Hochwertig gedruckt im Offsetverfahren und auf feinstem gestrichenen Papier für edle Drucke, das seine fotografischen Kunstwerke ideal hervorhebt. Stolze 1,4 Kilogramm ist der Bildband schwer und mit einer Höhe von 30 cm und einer Breite von 24 cm liegt er gut in der Hand und wirkt schon in den ersten Sekunden imposant. Er hinterlässt schon ohne den Inhalt zu betrachten, einen besonderen Eindruck. Das liegt nicht nur an der geprägten Schrift, sondern auch an dem klein gehaltenen Titelbild, das im leinengebundenen Frontdeckel wie in einem Passepartout präsentiert wird.
Doch was zeigt Transatlantic?
Tom Klein hatte über mehrere Monate hinweg gut 90 Rollen Ilford-Mittelformatfilm (HP5+ und FP4+) gehamstert (diese bekam man nämlich gar nicht in solchen Mengen), um dann über eine Buchung beim amerikanischen Kreuzfahrt-Reisebüro „Ahoy Vintage Cruises“ eine Überfahrt von der Südküste Englands nach New York zu geniessen. Doch eigentlich hätte diese Reise schon 2020 stattfinden sollen… und wäre da nicht dieses grosse C gewesen, wären diese besondere Schiffsreise und dieser Bildband vielleicht schon längst „kalter Kaffee“.
Doch eben diesem Virus ist es zu verdanken, dass die Reise erst kürzlich (April 2022) stattfand und wir somit auf ganz neues und überwiegend unveröffentlichtes Bildmaterial schauen können. Rund 1.500 Gäste waren zusammen mit Tom an Bord der Queen Mary 2. Doch Tom wäre nicht Tom Klein, wenn er sich „einfach so“ unter die Reisenden gemischt hätte. Natürlich war diese Reise etwas ganz Besonderes: Zusammen mit etwa 150 Fans der Musik und Mode der 20er bis 40er Jahre nistete sich eine „besondere Gesellschaft“ für eine Woche auf der RMS Queen Mary 2 ein — dem einzigen noch existierenden Nordatlantikliner, der bis heute für Atlantiküberquerungen eingesetzt wird.
Kommen wir zum Inhalt
Transatlantic beginnt innen mit einer edel anmutenden Titelseite. Für uns gekrönt mit einem Autogramm des Künstlers. Einfach konzeptionell durchdacht! Schon hier wird klar: Da ist nicht nebenher auf der Couch ein Bildband entstanden, sondern hier hat sich der Künstler über jedes Detail Gedanken gemacht. Gleich auf der nächsten Seite widmet Tom diesen Bildband seinem Vater. Verstorben in dem Jahr, in dem die Schiffsreise eigentlich hätte stattfinden sollen. Er wäre stolz gewesen, diesen Bildband selbst in der Hand halten zu dürfen – da sind wir uns sicher.
Das erste fotografische Motiv zeigt Kamera und Schreibmaschine. Und schon dieses eine Bild reicht aus, um den Bildband ohne Worte zu beschreiben: Tom Klein hat seinen ersten Bildband nicht nur mit handverlesenen Fotografien bestückt, sondern auch mit Texten. Texte, die er hier -der in erster Linie internationalen Zielgruppe geschuldet- auf englisch präsentiert. Diese Texte sind mal Zitate, mal eigene Texte, während der Epilog aus der Feder von Jean-Luc Caspers, Kunsthistoriker und Fotograf aus Trier, stammt. Sie alle schaffen es aber, den Betrachter tiefer ins Thema zu ziehen und so herauszuholen aus dem Alltag.
Keiner der Texte erklärt zunächst die Bilder des Künstlers. Vielmehr wird eine Atmosphäre geschaffen, die zusammen mit den Fotografien die Phantasie der Betrachter anregt. Denn Transatlantic erzählt kleine fiktive Geschichten, die irgendwann so stattgefunden hätten haben könnten. Erst besagter Epilog löst die ganze Sache auf.
Denn Transatlantic ist anders
Transatlantic zeigt eine „besondere Crew“: Mit ihrer historischen Kleidung müssen die etwa 150 Gäste doch sehr aufgefallen sein. So wundert es nicht, dass Tom Klein bereitwillig erklärt: „Du wirst sicher nicht auf jeder Atlantiküberfahrt viele Menschen in historischer Kleidung finden. Wir wurden vereinzelt sogar gefragt, ob wir Schauspieler sind, die die Reederei zur Bespassung der „normalen Paxe“ gebucht habe. Doch nein… wir waren ganz normale, zahlende Passagiere. Nur hatten wir jeden Tag ein bis zwei Privatkonzerte „unserer eigenen“ Big Band.“
Und damit sind wir schon beim dritten, konstanten Element: Der Musik. Natürlich beinhaltet der Bildband keine Schellackplatte und auch keine digitale Playlist. Doch dafür jede Menge Musikerportraits. Und so entdecken wir an Tom Klein tatsächlich etwas, was wir noch nicht wussten: Seine Vorliebe für die Musik. Auf unsere Frage an Tom erfahren wir, dass er seine Préférence für Musik und Fotografie von seinem Vater habe. Und so schliesst sich auch gleich der Kreis zu der bereits angesprochenen Widmung zu Beginn des Bildbandes.
Die Magie des Quadrates
Nicht erst Ritter Sport hat die Magie des Quadrates entdeckt. Schon im Jahr 1920 gründeten Paul Franke (Kaufmann) und Reinhold Heidecke (Techniker) in Braunschweig die Firma „Franke & Heidecke“. Die anfänglich produzierten Heidoscope (Stereokameras) waren die Basis für die spätere Entwicklung der Rolleiflex. Bekannt für ihren Rollfilm und die Ausbelichtung auf einer Fläche von 56 x 56 mm sprechen wir hier also von einem quadratischen Mittelformatkamera. Und eben diese quadratischen Motive ziehen sich, wie ein schwarzweisser Faden, durch den gesamten Bildband hindurch. Tatsächlich nur an drei Stellen ist eine ganze Doppelseite formatfüllend (und damit ohne Passepartout) mit Fotografien belegt. Eine Unterbrechung im Lesegenuss… genauso wie die Landkarte, die recht nah zu Beginn des Bildbandes eingebaut ist und zudem das einzige „Motiv“ in Farbe darstellt.
Spannend auch: Tom Klein war mit zwei Rolleiflex 2.8-Kameras an Bord der Queen Mary 2. Lässt man sein Smartphone mal aussen vor, so hat er sich selbst dazu gezwungen, ausschliesslich analog zu arbeiten – trotz dunkler Innenräume und bewegter Motive. Auch wenn man mit der Rolleiflex mangels Spiegelschlag lange Belichtunsgzeiten relativ gut aus der Hand fotografieren kann, fehlt natürlich der Komfort einer modernen Digitalkamera mit 5-stelligem ISO-Bereich. Dadurch zeigen einige Fotos auch Bewegungsunschärfen. Doch genau die unterstreichen den träumerischen Charakter der Bilder noch mehr.
Was uns besonders gut gefallen hat, ist die Konsequenz, mit der nicht nur dieses quadratische Format eingehalten wurde (obwohl die Abmasse des Bildbandes ja eher für ein anderes Format sprechen), sondern auch die Position der fotografischen Motive. Exakt identisch positioniert und kein einziges Mal zu einer Kollage oder anderen verspielten Präsentationsformen verwandelt, vermittelt Transatlantic eine stoische Ruhe. An manchen Stellen jedoch -beispielhaft seien hier die Party-Szenen genannt- beschleunigt sich der Rhythmus durch dichtere Bildsetzung. Der Betrachter wird so eingewickelt in den Bann längt vergangener Zeiten. Erinnerungen an echte Filmklassiker werden wach.
Dies ist zum einen der authentischen Kleidung der Gäste geschuldet, zum anderen aber auch der Queen Mary 2 selbst: Das Design des einzigen noch existierenden Nordatlantikliners, der für Atlantiküberquerungen eingesetzt wird, ist vor allem vom Art-Déco-Stil beeinflusst. In den 1920er und 30er Jahren war Pierre Patout ein prominenter Art-Déco-Architekt, der unter anderem das Interieur des französischen Ozeanliners Normandie gestaltet hatte. Auch die Schiffe der englischen Konkurrenz, wie die Queen Elizabeth oder die Queen Mary, wurden in diesem Stil eingerichtet, wenn auch nicht ganz so avantgardistisch wie diesseits des Ärmelkanals. Das Interieur der aktuellen Queen Mary 2 lehnt sich an diese Ästhetik des Art-Déco an.
Wie in den 1930er Jahren sind auf diesem Ausnahmeschiff mit einer Länge von 345 Metern besondere Kronleuchter und andere Details enthalten, die die fotografischen Kunstwerke von Tom Klein auf den ersten Blick einem längst vergangenen Jahrhundert zuordnen lassen.
Doch der Fotokünstler, der sonst Portraits auf Glasplatten (vgl. unser ausführliches Interview in Ausgabe 07) oder Litfasssäulen auf Mittelformatfilm einfängt, hat hier ganze Arbeit geleistet: Seine Bilder legen zwar den Fokus auf traditionelles Design, aber immer wieder verstecken sich moderne Elemente in seinen Motiven, die erst auf den zweiten Blick erkennen lassen, dass hier keine Scans einer wiedergefundenen Bilderkiste gezeigt werden, sondern eben ganz neue Fotografien lediglich im Stile der 1930er Jahre abgebildet sind. Wie so oft greift er auch hier zum Stilmittel der Täuschung. Eine Täuschung, die sich teilweise absichtlich selbst verrät. So wird erst auf den zweiten Blick klar, was Jean-Luc Caspers als Autor des Textes „Mit der Illusion auf hoher See„, auf Tom’s Website sowie im Epilog im Buch tatsächlich meint.
Jazz, Galas, Cocktails und Tanz
Wer den Bildband in Ruhe studiert, dem fällt schnell auf, dass die ausschliesslich in schwarzweiss gehaltenen Motive auffallend viele fröhliche, lachende und das Leben geniessende Menschen zeigen. Ein Umstand, der in den 1930er Jahren nur wenigen Menschen gegönnt war (denn damals sind die meisten Gäste auf dieser Route in der dritten Klasse gereist – komfortlos und oft ohne Fenster in den Kabinen). Doch gerade fotografisch interessierten Menschen wird ebenfalls auffallen, wie wunderbar doch das quadratische Bildformat dazu geeignet ist, Menschen in ihrer Umgebung zu präsentieren und so den Fair, aber auch die Rahmenbedingungen dieser Reise, auf besondere Weise zu transportieren. Die Reisenden auf dieser Überfahrt sind sich ihres Privilegs der heutigen Zeit bewusst, die Ästhetik der Vergangenheit geniessen zu können, ohne die negativen Umstände von damals ertragen zu müssen. Denn die vermeintlich „gute alte Zeit“ war eben nicht gar so rosig, wie verklärte Nostalgiker sie gerne sehen mögen.
Bedingt durch seinen Vater kam Tom Klein schon als Kind mit echten Grössen des Jazz persönlich in Kontakt. Und so wundert es nicht, dass er für seine transatlantische Schiffsreise eine auswählte, bei der Alex Mendham mit seinem Orchester und auch die amerikanische Sängerin Allison Young mit an Bord war. Letztere ist übrigens nicht nur eine begnadete Sängerin, sondern zudem begeisterte Analogfotografin…
Die Zugabe zum Bildband
Besonders gut hat uns die Idee gefallen, dass Tom für jeden Käufer seines Bildbandes eine kleine Überraschung in der Hinterhand hält: Mit dem Kauf erhält man einen versteckten Link zugesandt, unter dem alle englischen Texte des Buches auf Deutsch zum Download zur Verfügung stehen.
Für wen ist Transatlantic geeignet?
Nun, da keins der Motive jugendgefährdenden Inhalt zeigt, richtet sich der Bildband grundsätzlich an alle diejenigen Menschen, die sich für die Schwarzweiss-Fotografie und die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts interessieren. Doch das wäre zu kurz gegriffen: Auch für Fotografen, die sich sattgesehen haben an den immer gleichen Beauty-Portraits auf Instagram, finden hier Futter für die grauen Zellen, auch selbst etwas Besonderes fotografisch festzuhalten und aus dem Mainstream zu entfliehen. Denn Transatlantic läd vor allem dazu ein, eigene Ideen zu entwickeln, sich selbst einen fotografischen Stil anzueignen und diesen mit einer besonderen Geschichte auch eindrucksvoll zu untermalen. Und das ist Tom Klein definitiv gelungen!
Last but not least
Erst beim Wegpacken des Bildbandes Transatlantic wird uns bewusst: Die gewählte Farbe des Einbandes ist ein richtiger Clou: Unter all den schwarzen Buchrücken, die in unserer Bildbandsammlung dominieren, sticht dieser Farbton heraus. Nicht schrill, nicht provozierend. Aber im Kombination mit dem geprägten Buchtitel in riesigen Lettern und zudem in Licht-reflektierendem Silber auf dem runden Buchrücken sind zwei Dinge sichergestellt: Man findet Tom’s Bildband direkt – und man wird ihn vermutlich häufiger aus dem Regal ziehen, als einen der vielen anderen Bildbände mit schwarzem Buchrücken, die eine normale und klassisch-weisse Schriftart gewählt haben. Chapeau, Tom!
Und damit wären wir auch wieder angekommen bei der Vorliebe des Künstlers für das Frankophile… und genauso auch bei unserem Titel dieser Buchrezension: „Transatlantique“. Denn erst „Transatlantique“ vermittelt, wie viel Stil und Feinsinn in diesem Bildband versteckt sind. Und Hand auf’s Herz: Dieser Bildband passt exzellent in eine Brasserie am Strassenrand eines Pariser Boulevards. Aber doch nicht in einen Burgerladen an der Route 66…
Ein kleines, aber feines Detail zum Schluss
Am Ende des Bildbandes, nicht wirklich versteckt, sondern eher „auffallend textgewaltig“, finden wir die Überschrift „Acknowledgments“ (also „Danksagungen“). Die an diesem Bildband aktiv beteiligten Personen zu benennen und dies nicht geflissentlich unter den Tisch zu kehren, begrüssen wir sehr – denn genau das ist die Wertschätzung, die Menschen dazu bewegt, genau das wieder anzubieten.
Ganz versteckt steckt darin aber noch eine andere Botschaft versteckt und die halten wir für nicht weniger wichtig: Natürlich muss einer die zündende Idee haben und auch einer muss am Ende die Entscheidungen treffen (hier: Tom Klein). Aber selbst bei einem Erstlingswerk ist es legitim und sogar von Vorteil, erfahrene Kollegen mit unterschiedlichen Schwerpunkten ins Team zu holen und die eigenen Ideen zu challengen. Denn was spricht dagegen, wenn die Bildauswahl von einem erfahrenen Herausgeber von Bildbänden kuratiert wird oder ein Profi ins Team geholt wird, der sich mit InDesign und Gestaltung auskennt? – Ein Prinzip, das übrigens bei der Gründung des SWAN Magazines ganz genauso zur Bildung des Redaktionsteams geführt hat. Und sich bis heute bewährt… Welche Freude für uns, wenn wir unter den genannten Namen auch Abonnenten und Künstler des SWAN Magazines entdecken dürfen.
Übrigens…
Alle im Bildband enthaltenen Fotokunstwerke sind als handgefertigte, grossformatige Abzüge auf Barytpapier, jeweils formatübergreifend auf 10 Stück limitiert, zu kaufen.
Die Motive sind in den Grössen 20×20, 46×46, 60×60 und 80×80 erwerbbar.
Wo? Auf diversen Ausstellungen und direkt beim Künstler selbst.
Ausstellungen?
Ja, Tom Klein geht mit Transatlantic auch auf Ausstellungstournee. Die nächsten beiden Ausstellungstermine sind:
- 10. bis 26.02.2023 in Bourglinster/Luxembourg
- 11. bis 28.05.2023 in der Photobastei Zürich
Der Künstler wird auf allen Ausstellungen an ausgewählten Tagen auch persönlich vor Ort sein.