Als Teenager hat er zur Kamera gegriffen und seine ersten „Opfer“ vor seiner Kamera waren seine Cousinen. Er hat die Fotografie mit grossen Löffeln in sich aufgesaugt und ist einer der ganz Grossen. Und doch geht seit Name immer wieder unter – zumindest hinter den Helmut Newton’s, den Peter Lindbergh’s, den Vincent Peters‘ oder den Russel James‘. Die Rede ist von Frank de Mulder.

Belgischer Starfotograf
Frank de Mulder ist Belgier. Er wurde in Gent geboren und wird 2023 schon 60 Jahre jung. Doch das sieht man seinen Fotografien nicht an. Obwohl er überwiegend unbekleidete Damen fotografiert, dreht sich sein erster Gedanke stets um das Licht.
Um das richtige Licht und die richtige Location zu finden, greift er auch auf eher ungewöhnliche Fahrzeuge zurück: Mit dem Helikopter fliegt er bei aufgehender oder untergehender Sonne durch fremde Länder, um den einen wundervollen Ort zu finden, der die Kulisse für seine Fotografien darstellt.

Background Stories
Das klingt erstmal verrückt, ist es aber nicht: Vielen Peoplefotografen ist die Szenerie nicht so wichtig. Sie argumentieren: „Das sieht man eh nicht, weil ich die Blende komplett aufreisse!“ Ganz anders Frank de Mulder: Er sucht sich die passende Kulisse und „drappiert“ dann sein Model in die Kulisse, wenn das natürliche Licht exakt so ist, sich der Belgier das vorstellt.
Dabei setzt er mit seinem Team auf Arbeitsteilung: Während er nur das Gesicht seiner Modelle und die Kamera im Blick behält, ist seine Assistentin, Michèle van Damme, seine Geheimwaffe: Sie achtet auf jedes Detail: Den Wüstensand auf den Füssen, eine Falte im Nacken oder eine durch direktes Sonnenlicht überbelichtete Stelle auf der Haut.
Eine Besonderheit verbindet Frank de Mulder mit Peter Lindbergh: Auch er interagiert mit seinen Modellen, als wären sie seine Freunde. Er benutzt sie nicht als Protagonisten, sondern schätzt sie und pflegt einen einen freundschaftlichen Stil mit ihnen – und entlockt ihnen so manche Pose, die Fotografen vom Typ „Oberbefehlshaber“ vermutlich nie zu sehen bekommen. Der Lohn: Natürlichkeit!
Hitze oder Kälte: Das Adrenalin entscheidet
Betrachtet man das eine oder andere Video von und mit Frank de Mulder, so bleibt vor allem eins hängen: Spass muss die Arbeit machen. Spass für ihn als Fotografen. Spass für seine Crew, aber auch Spass für sein Model.
Wer bierernste Arbeit hinter seinen fotografischen Kunstwerken vermutet, liegt vermutlich falsch. Viele seiner Ideen entstehen vor Ort: Wenn die Kulisse und das Model feststehen, startet vor Ort mit Hilfe seiner Crew ein gewisser „Flow“. Aus diesem Flow entstehen Ideen und kreative Ideen, die Frank de Mulder pfleilschnell aufgreift und auf seinem Sensor festhält. Diverse Videos im Netz beweisen den Fun-Faktor: Und wenn dort Assistenten zu sehen sind, die BH’s auf ihren Baseball-Caps drappieren, dann wird vor allem eins klar: Die gesamte Crew hat ihren Spass am Set – und nicht nur der Chef himself.

Heaven
„Heaven“ ist der Name von Frank de Mulder’s Bildband, den wir uns heute genauer anschauen wollen. Ende August wird dieser Bildband sieben Jahre jung. Das 2015 als gebundene Ausgabe erschienene Buch gilt immer wieder als Rarität. Seit dem plötzlichen Ableben von Hendrik teNeues, dem Verleger des Bildbandes, gibt es immer wieder Lieferschwierigkeiten. Mal steht „Heaven“ in begrenzter Stückzahl für knapp 60 EUR neu zum Kauf zur Verfügung, wenige Tage später werden neue Exemplare wieder für 2.500 EUR gehandelt. Die Berg- und Talfahrt macht diesen Bildband zu einem reinen Spekulationsobjekt.
Doch „Heaven“ ist mehr: Heaven ist vor allem eine Inspirationsquelle für diejenigen Fotografen, die einen Blick dafür entwickeln wollen, dass Aktfotografie nicht automatisch „billig“ ist. Klar, mit Frank de Mulders Arbeiten für Maxim, FHM, GQ oder den Playboy, wird erst einmal eine gewisse (Schmuddel-) Schublade geöffnet. Doch wer „Heaven“ in der Hand hält und auch in der Lage ist, Texte zu lesen, der wird schnell verstehen, dass es dem belgischen Künstler nicht um die „blanke Wahrheit“, sondern um die Ästhetik der Frau geht.
Vorwort
In seinem (in mehreren Sprachen) verfügbaren Vorwort beschreibt Frank de Mulder sehr treffend, dass Fotografie stets Teamwork ist. Auch wenn hinter der Kamera immer nur er steht, bezeichnet er sich und Michèle van Damme als Dreamteam – und wir sind sicher: Würden die Assistenten nicht je nach Ort und Jahr wechseln, würde er auch sie erwähnen – neben den zahllosen Modellen, mit denen er wie selbstverständlich eine freundschaftliche Beziehung pflegt.
Sein insgesamt vierter Bildband ist „Heaven“, der nach einer zaghaften Anfrage von Hendrik teNeues seit 2007 erschienen ist. Und bedingt durch den angeblichen Selbstmord des Verlegers vermutlich auch der Letzte unter den Namen des Traditionsunternehmens.

Heaven – der Bildband
Widmen wir uns dem Bildband selbst: Die Vorder- und Rückseite werden dominiert von ikonischen Bildern, die seine Handschrift tragen: Beide gelten wohl zu Recht als die bekanntesten Bilder von Frank de Mulder. Auf dem Titel die Silhouette einer Dame, die am Strand auf das Meer blickt und wie ein Scherenschnitt vor den Wellen des Ozeans steht. Auf der Rückseite ein Motiv, das alle Welt kennt – und doch nur Wenige unmittelbar mit seinem Namen verbinden: Eine Dame in Dessous, von hinten abgebildet, vorne rechts ein Kronleuchter, dahinter ein Stuhl.
Selbst, wer dieses Abschlussbild (siehe nachfolgendes Motiv, im Bildband selbst ein zweites Mal gezeigt) nicht kennt, dem wird spätestens hier bewusst, dass Frank de Mulder für Fotokunst steht und nicht etwa für billige Aktfotografie. Das wird in Heaven auch dadurch unterstrichen, dass die überwiegende Anzahl der Motive in Schwarzweiss gezeigt wird und nur wenige Bilder (wie der goldene Schriftzug auf dem Einband vermuten lässt) in Farbe gezeigt werden.

Nackte Brüste
Auch wenn der Einband auf der Vorder- und Rückseite keinen Busen zeigt, so ist klar, was drinnen zu sehen ist: In einen Bildband, der sich mit der professionellen Aktfotografie von Frauen widmet, gibt es (Wohl oder Übel) auch Brustwarzen zu sehen. Doch die Nacktheit der Frauen steht eben nicht im Vordergrund. Vielmehr werden Stimmungen gezeigt, die Frank de Mulder geschickt mit Accessoires unterstreicht: Gleich zu Beginn des Bildbandes zeigt Frank de Mulder in „Heaven“ eine Fotografie aus dem Jahre 1967. Eine junge Dame sitzt mit einer Krone aus weissen Rosen nackig vor einem amerikanischen Tourbus, hält eine Zigarette in der linken Hand und eine Gitarre in der rechten Hand. Durch die Gitarre wird ihre rechte Brust verdeckt. Doch zwischen Gitarrenhals und Zigarette wirkt die linke Brustwarze nicht wie blossgestellt, sondern eher wie ein zufällig vorhandendes Accessoire, welches für dieses Bild eben nicht weggestempelt werden sollte – und das ist gut so!

Männerträume
Und obwohl „Heaven“ keine Zur-Schau-Stellung weiblicher Genitalien ist, werden doch zahlreiche Männerträume bedient: Immer wieder spielen Dessous und Autos eine zentrale Rolle in den Motiven. Auch laszive Posen mit zwei Damen am Set, lassen manchen Puls ansteigen. Doch immer bleibt der Betrachter (bedingt durch die Kulissen) in der Beobachterrolle. Fast so, als solle der Leser dazu animiert werden, zum nächsten Workshop mit Frank de Mulder in die Wüste Nevadas zu reisen, damit er (sie) live mit dabei sein kann, wenn solche ikonischen Fotos entstehen, die selbst beim Kaffeekränzchen mit der Nachbarschaft nicht für ein Naserümpfen sorgen sollten.

Licht, Licht, Licht
Frank de Mulder spielt in „Heaven“ mit dem Licht: Mal ist es das harsche Sonnenlicht der senkrecht stehenden Mittagssonne, mal sind es Schattenstreifen, die von Palmenblättern auf das Hauptmotiv gelenkt werden. Ob im Urwald, im Meer, in einem Gebäude oder im Studio: Frank de Mulder spielt mit dem Licht, als hätte er kein Licht, das er über alles bevorzugt. Direktes und indirektes Licht. Mit und ohne Abschatter. Sonnenlicht und Schatten. In „Heaven“ zeigt der belgische Fotokünstler, wie man mit Licht spielen kann. Und vor allem, wie man Licht dazu verwenden kann, Körperformen geschickt zu betonen.

Der Po und die Retrospektive
Immer und immer wieder tauchen scherenschnittartige Fotografien in „Heaven“ auf. Und stets nimmt das Hinterteil der traumhaft gebauten Damen eine zentrale (wenn auch nicht die zentralste) Stelle ein. Doch bevor es langweilig wird, weiss Frank de Mulder zu begeistern: Er zeigt Portraits und Aufnahmen in Farbe. Er drängt plötzlich die Bedeutung der Nacktheit in den Hintergrund und macht einen hell-metallic-blauen Ford Mustang zur Hauptrolle.
Eine ganz grosse und zentrale Rolle in „Heaven“ nehmen auch filmische Szenen ein, die irgendwie an Brigitte Bardot und die 50er, 60er und 70er Jahre erinnern. Bildelemente, die seine fotografischen Werke zeitlos erscheinen lassen, auch wenn die überwiegende Anzahl aller Bilder in „Heaven“ in den letzten beiden Jahren vor dem Erscheinen des Bildbandes im Jahre 2015 entstanden sind.
Gekonnt spielt der Belgier hinter der Kamera mit Spiegeln, Zäunen und High Heels und erinnert uns damit ein wenig an David Mecey (langjähriger Playboy-Fotograf und Künstler der Ausgabe 04), aber auch an den Bildband „Nude“ von Stefan Rappo.



Fazit
Auch wenn es Motive in „Heaven“ gibt, die in Hotels, auf Treppen oder anderen Gebäuden geschossen wurden, so dominieren Aufnahmen in der Natur und unter Ausnutzung des natürliches Lichtes. Das sorgt dafür, dass die weiblichen Modelle ein wenig wie die Verbindung zwischen irdischem und himmlichem wirken. Und vielleicht ist genau das die Absicht: Denn für viele Betrachter dieses Bildbandes werden Damen dieser „Kragenweite“ wohl eher die Ausnahme werden. Zu wenig weltlich und realitätsnah ist „Heaven“ – aber genau das hebt „Heaven“ in den Kosmos der Kunst. Denn Kunst will rar sein. – Und damit wären wir wieder beim Titel angefangen: Goldene Buchstaben prägen den Titel und machen hier klar: Das, was hier gezeigt wird, ist nicht vergänglich, sondern beständig. Beständig, wie 60 Euro, aus denen in wenigen Wochen auch 2.500 Euro werden können…
Und die abgebildeten Frauen fühlen sich von diesen Motiven bestätigt und geehrt. Nicht blossgestellt.