Dass Stefan Rappo ein ganz besonderer Mensch ist, hat vermutlich jeder längst realisiert, der unser Interview mit ihm in Ausgabe 08 gelesen hat. In den Monaten unserer Zusammenarbeit ist eine regelrechte Freundschaft entstanden. Beide Seiten (wir und er) profitieren von tollen Ideen und motivieren uns auch gegenseitig. Denn, wie für viele Fotografen, ist die seit Monaten anhaltende Krise ab und an eine echte Herausforderung. Heute sprechen wir mit Stefan über seine Portraits. Ein Thema, das wir in Ausgabe 08 ganz ausgelassen haben.
Natürlich mussten wir auch dieses Interview wieder digital durchführen, aber dafür war es so schnell organisiert, wie umgesetzt. Die Digitalisierung schreitet voran. Was an persönlichen Kontakten in Cafés, Kinos, Konzerten, Restaurants, etc. gerade fehlt, findet jetzt digital statt. Und einen positiven Nebeneffekt gibt es auch: Weniger Reisen bedeutet auch mehr Umweltschutz. Die Klimaziele für das Jahr 2020 werden vermutlich mit Leichtigkeit geschafft…
SWAN Magazine: Stefan, grüsse Dich. Es ist wirklich toll, wie eng unsere Freundschaft doch geworden ist, wo wir uns doch nur ein einziges Mal (und das auch nur kurz) haben persönlich treffen können. Eine wunderbare Erfahrung.
Stefan Rappo: Ich freue mich auch. Ich habe zu meiner Freundin schon gesagt: „Den Call mit den Jungs vom SWAN Magazine muss ich unbedingt machen, danach bin ich immer total motiviert, so viele Ideen, wie die auf Knopfdruck liefern.“
SWAN Magazine: Das freut uns. Dann richte Ihr doch einmal unbekannterweise schöne Grüsse von uns aus.
Stefan Rappo: Aber gerne doch. Da freut sie sich bestimmt.
SWAN Magazine: Ihr habt in Frankreich aktuell stärkere Einschränkungen, als sie derzeit in Deutschland und der Schweiz gelten. Österreich ist ein wenig wie Frankreich aufgestellt. Was machst Du gerade?
Stefan Rappo: Ganz ehrlich? Ich streiche gerade meine Wohnung. Meine Freundin fand, dass es an der Zeit sei, mal wieder sauberes weiss einziehen zu lassen… (lacht).
SWAN Magazine: So privat wollten wir gar nicht werden. Aber das heisst, Du transferierst Deine Erfahrungen aus Deiner Assistententätigkeit nun in Deine Wohnung?
Stefan Rappo: Ja, genau. Hohlkehlen habe ich schon oft „über Nacht“ gestrichen. Hier habe ich zwar keine runden Ecken, aber Stuck an der Decke. Da ist Erfahrung mit Pinsel und Malerrolle schon hilfreich.
SWAN Magazine: Lass uns von der Malerei zur Fotografie wechseln. Was machst Du derzeit fotografisch.
Stefan Rappo: Oh, das ist ein gutes Thema. Ich habe zuletzt ein paar kleine Produktionen gemacht und mir dabei überlegt, wie ich künftig weitermachen möchte. Dass es Fotografie sein würde, war keine Frage. Aber ich habe mich gefragt, wie ich mit meiner Aktfotografie weitermachen kann. Die Aktfotografie ist noch immer meine Passion und ich liebe es, sie mit cineastischen Ansätzen zu kombinieren. Das habe ich ja auch in meinem Buch „Nude“ gezeigt. Doch wirtschaftlich betrachtet ist die Aktfotografie nicht wirklich ein Umsatztreiber. Darum habe ich mich ein wenig auf meine Wurzeln konzentriert und habe wieder begonnen, Portraits zu machen.
SWAN Magazine: Spannend. Wie kommt es dazu?
Stefan Rappo: Fotografie ist ein wenig wie das, was passionierte Radfahrer erleben. Du machst dein Ding und fährst und fährst und siehst gar nicht mehr richtig, was neben dir alles passiert. Und irgendwann kommt der Moment, wo du anhältst und dir plötzlich die Frage stellen musst: „Wo bin ich hier eigentlich gelandet? Und wie geht es jetzt weiter?“
SWAN Magazine: Man sagt aber auch, dass man das, worin man gut ist, nicht hinterfragen sollte, sondern lieber „das Pferd weiterreiten“ sollte.
Stefan Rappo: Ja, das sagt man. Aber es beinhaltet auch eine Gefahr. Wenn du in irgendwas ein gewisses Level erreicht hast, dann sagen alle Menschen um Dich herum nur „oh, das ist aber toll“ oder „ganz deine Handschrift“. Und weil das offenkundig gut funktioniert, macht man genau das immer wieder. Irgendwann wird es dann aber langweilig, weil es sich wiederholt. Auch weil man sich gar nicht jedes Mal neu erfinden kann, wenn man zum tausendsten Male eine nackte Frau fotografiert. Da hat man doch irgendwann blond, brünett, rot, kurz- und langhaarig, mit und ohne Tattoos… ja selbst bei den Locations hat man dann alles durch. – Zwischendurch eine Pause eingelegen, einmal kritisch zu reflektieren, was man da so macht, ist also ganz wichtig, wenn man nicht im Hamsterrad ersticken will.
SWAN Magazine: Portraits sind ja ein recht breiter Bereich. Was machst Du da? Ganz klassische Portraits vom Schlüsselbein bis zum Haaransatz? Emotionale Portraits?
Stefan Rappo: Nein ganz anders. Ich mache cineastische Portraits. Portraits, die Menschen in ihrer Umgebung zeigen. Ich möchte Geschichten erzählen.
SWAN Magazine: Ein wenig so, wie in Deinem Projekt Mutterliebe?
Stefan Rappo: Mutterliebe ist ein etwas anderes Projekt von mir, aber von der Bildaussage her geht das genau in die richtige Richtung.
SWAN Magazine: Du arbeitest also nicht (wie z.B. Martin Schoeller in einzelnen Projekten) stets mit dem gleichen Licht und dem gleichen Hintergrund?
Stefan Rappo: Im Gegenteil. Die Idee ist, verschiedene Locations und damit auch verschiedene Licht-Setups zu nutzen und so ein sehr abwechslungsreiches Portfolio an Portraits aufzubauen. Bei Mutterliebe ging es viel auch um besondere Accessoires, wie z.B. einen alten Koffer. Jetzt steht der Mensch stärker im Vordergrund. Und die Geschichte.
SWAN Magazine: Die Geschichte? Es gibt ja Fotografen, die „Storytelling“ so verstehen, dass ein einzelnes Bild eine Geschichte erzählen soll. Wir im SWAN Magazine nutzen den Begriff ja anders, weil wir gerne bei Fotoprojekten und Fotostories über mehrere Fotokunstwerke hinweg eine zusammenhängende Story erzählen wollen.
Stefan Rappo: Bei mir ist es mal so, mal so. Ich möchte Geschichten nicht über zehn oder fünfzehn Motive erzählen, sondern über möglichst wenige Motive. Das kann hier und da mal nur ein einzelnes Bild sein. Es kann aber auch eine Strecke über drei oder fünf Bilder sein.
SWAN Magazine: Ah, verstehe. Du möchtest die Motive zusammenhängend verkaufen können. Zum Beispiel an eine Anwaltskanzlei, wo die Bilder dann zueinander passen und ein Gesamtbild abgeben…
Stefan Rappo: Nein, das Verkaufen von gedruckten Bildern steht hier gar nicht im Vordergrund. Ich habe über die Jahre so viele Kontakte zu Schauspielern und Modelabels aufgebaut, dass ich es spannend finde, beides zu kombinieren. Ich möchte aber kein typisches Katalogshooting machen, sondern den Menschen in den Vordergrund stellen. Deswegen arbeite ich in dem Projekt auch nicht mit Laufstegmodels zusammen, sondern eher mit markanten Typen. Charaktertypen eben.
SWAN Magazine: Aber es ist ein privates Projekt, kein Auftrag?
Stefan Rappo: Ja, bisher ist es ein rein privates Projekt.
SWAN Magazine: Wie kommt es dazu?
Stefan Rappo: Nun, die Aktfotografie hat einen entscheidenden Nachteil: Du kannst sie in Büchern oder auf deiner Website zeigen, aber in Social Media musst du laufend mit irgendwelchen Balken das Bild versauen. Um uns interessant zu machen, müssen wir Fotografen heute auf Social Media aktiv sein. Und das geht mit Portraits viel einfacher.
SWAN Magazine: Aber die meisten Fotografen nutzen dazu klassische hochformatige Close Up’s. Nichts Cineastisches.
Stefan Rappo: Das stimmt. Aber genau deswegen mache ich nicht das, was tausende Andere schon tun. Bei eng beschnittenen Portraits ist doch nur das Gesicht anders. Ich kombiniere teilweise bekannte, teilweise weniger bekannte Charakterköpfe mit einer spannenden Location. Das sieht man nicht so oft.
SWAN Magazine: Wie gehst Du an dieses Projekt ran? Hast Du einen bestimmten Plan oder ein Konzept oder eine Wunschliste?
Stefan Rappo: In meinem Kopf und in meinen Aufzeichnungen habe ich ganz viele Ideen. Daran mangelt es mir nicht. Ich habe aber gelernt, dass man die Ideen auch umsetzen muss. Ein Keller voll mit Kartoffeln ist was anderes als ein Kartoffelsalat!
SWAN Magazine: Du hast eben den Begriff „Katalogshooting“ benutzt. Welche Rolle spielt Mode in Deiner neuen Portraitserie?
Stefan Rappo: Du, meine Erfahrung ist eine ganz einfache: Wenn du nicht mit professionellen Leuten zusammenarbeitest, dann wirken deine Fotos auf die Dauer auch nicht professionell. Wenn du also Mode machen willst, dann brauchst du einen Modestylisten, weil die Fotos sonst nicht gut aussehen. Als Fotograf achtest du auf das Bild, das Licht, den Ausschnitt, den Gesichtsausdruck… aber der Stylist achtet auf ganz andere Details – und diese Details machen aus einem guten Foto eben ein sehr gutes Foto.
Wenn du also in der Modefotografie ein Statement setzen möchtest mit einer freien Arbeit, dann musst du auch mit professionellen Partnern zusammenarbeiten. Dazu gehört dann auch eine Modefirma. Ein im Schrank gefundener alter Mantel kann ein tolles Accessoire sein, aber du brauchst in einem Shooting eine klare Linie. Erst dann hat ein Shooting Potential, um die grossen Magazine und Modefirmen zu begeistern.
SWAN Magazine: Wie gehst Du diese freien Projekte dann an?
Stefan Rappo: Nun, ich suche mir die richtigen Leute zusammen. Ein gutes Modeshooting funktioniert nicht, wenn man nur ein Model und einen Fotografen in einen Raum sperrt. Ich suche mir daher aktuell ein paar Teams zusammen, sodass ich Stylist, Makeup, Haar, Modemarke schnell zur Hand habe. Und dann, wenn die Idee steht, brauche ich nur noch Model und Location.
SWAN Magazine: Also doch komplexere Konzepte, ähnlich zu Mutterliebe, oder?
Stefan Rappo: Ja und nein. Jetzt, die ersten Shootings habe ich bewusst noch etwas weniger komplex gearbeitet, um wieder reinzukommen in diese Art der Portraitfotografie. Aber das ist wie Schwimmen: Wenn man nach langer Zeit in einer anderen Sportart zurück ins Schwimmbad kommt, fehlt es an Routine. Hat man das Bad ein paarmal besucht und ein paar Runden gedreht, ist man wieder voll drin.
Von der Komplexität her möchte ich aber weniger umfangreich herangehen, als bei Mutterliebe, wo eine ganze Geschichte aus vielen Bildern erzählt wird. Aber schon so komplex, dass ich nicht einfach unvorbereitet ins Shooting reingehe und mich treiben lasse. Ich habe dann schon konkrete Fotoideen im Kopf und zumindest als Skizze angefertigt, damit am Ende auch richtig gutes Material herauskommt. Konzeptionelle Arbeit macht mir ja auch Spass. Das bedeutet aber nicht, dass es irre komplex sein muss.
SWAN Magazine: Du hast also eine uralte und laufend ergänzte Ideenliste im Kopf und sie wird irgendwie nicht kleiner?
Stefan Rappo: Nun, das könnte man so interpretieren, dass ich hochkreativ bin, aber meine guten Konzepte nicht umsetzen würde. Das wäre aber falsch. Dennoch wird eine solche Liste bei kreativen Menschen (das liegt in der Natur der Sache) länger und nicht kürzer. Auch wenn man einzelne Konzepte daraus sehr konsequent abarbeitet. Mein Buch ist so ein Konzept von dieser Liste, das ich sehr konsequent verfolgt habe. Meine Projekte auf meiner Website ebenfalls. Aber wie Peter Lindbergh auch, werde ich eines Tages sterben und habe nicht alle Ideen realisiert, die ich irgendwann auf Reisen, an einem bestimmten Ort oder während eines Shootings plötzlich im Kopf hatte. So ist das als Künstler halt.
SWAN Magazine: Verstanden. Was machst Du dann konkret bei Deinem Portraitprojekt anders?
Stefan Rappo: Das fängt schon mit dem Namen der Liste an. Mein Portrait-Projekt trägt den Namen „2021“. Das ist meine Liste an Fotostories, die ich in 2021 umsetzen möchte. Da stehen Namen von Celebrities drauf, aber auch Locations. Da gibt es Moodboards und Modelabels, die sich für die eine Idee mehr, für die andere Idee weniger eignen.
SWAN Magazine: Das erinnert mich an die Salami-Taktik, die Business Trainer empfehlen, wenn man nie seinen Schreibtisch leergearbeitet bekommt…
Stefan Rappo: Das ist schwer zu vergleichen, weil mein Portrait-Projekt wirklich nur in Teilbereichen die Ideen abdeckt, die ich sonst „in der Schublade“ habe. Aber die Gemeinsamkeit mit der Salami-Taktik ist, dass ich in diesem Portrait-Projekt für jeden Monat eine Idee stehen habe. Jeden Monat möchte ich etwas Neues in diesem Kontext produzieren. Aber es ist genug Raum da, um dazwischen auch grössere Produktionen umsetzen zu können. Mehr sogar: Für jeden Auftrag würde ich meine privaten Projekte verschieben. Auch muss mein Juli-Thema nicht zwingend im Juli umgesetzt werden. Vielleicht kommt das erst im Oktober, aber dafür die November-Idee schon im März.
SWAN Magazine: Du willst Dir also die Flexibilität erhalten?
Stefan Rappo: Als Profifotograf ist die ganz wichtig. Ohne Flexibilität geht nichts. Das weiss jeder, der schonmal ein Auftragsshooting im Strand bei knaller Sonne machen sollte. Wenn es regnet wird das verdammt schwer… Man muss ja bei solchen Themen auch vorausdenken. Und Puffer einplanen.
SWAN Magazine: Wie meinst Du das?
Stefan Rappo: Nun, ihr als SWAN Magazine unterliegt ja keinen Zwängen. Internationale Magazine aber müssen immer vorausdenken. Da wird jetzt im Winter die Sommermode geschossen, damit sie spätestens im Frühjahr im nächsten Magazin gezeigt werden kann. Bei Schauspielern ist das ja auch so: Das Fotoshooting muss im Kasten sein, lange bevor der neue Kinofilm anläuft. Damit die Magazine die Fotostrecke zum Film zum Veröffentlichungsdatum des Films dann zeigen können. Nur in dem Moment zieht eine Fotostrecke richtig. Drei Monate nach Kinostart braucht man keine Fotostrecke mehr zum Film zu produzieren. Das sieht man doch am neuen James Bond Film sehr gut. Der wurde schon mehrfach verschoben und zahlreiche Magazine haben ihre Fotostrecken zum neuen James Bond deswegen immer wieder aufs Neue verschoben.
SWAN Magazine: Vorausdenken ist also Pflicht?
Stefan Rappo: Nur für Fotografen, die darüber wachsen wollen und Aufträge generieren wollen. Jeder Hobbyfotograf darf das natürlich ignorieren. Jeder Hochzeitsfotograf auch.
SWAN Magazine: Gib uns mal ein Beispiel. Was sind das für cineastische Portraits, die Dir da vorschweben?
Stefan Rappo: Ich habe einmal in den Staaten einen Roadtrip fotografiert. Das möchte ich dort unbedingt nochmal machen. Ob das 2021 klappt oder nicht, spielt eine untergeordnete Rolle. Ich habe aus dem ersten Mal gelernt und bin sicher, dass ich es heute besser machen würde. Dazu habe ich konkrete Ideen im Kopf.
SWAN Magazine: Da bietet die USA mit ihren grossen Weiten natürlich eine spannende Kulisse. Und in Europa? Was schwebt Dir da vor?
Stefan Rappo: Ich stehe mit einem männlichen Model aus Berlin in Kontakt, das ich gerne nach Paris holen würde. Dort würde ich gerne mit ihm und mit einem weiblichen Model zusammen eine etwas modisch angehauchte Strecke realisieren. Wenn das mit Corona alles wieder einfacher wird, dann machen wir das. Da freue ich mich schon drauf.
SWAN Magazine: Du sprachst eben nebenher an, dass Du auch eine Liste mit Locations hast, an denen Du gerne Shootings realisieren würdest.
Stefan Rappo: Ja, als Fotograf bist du automatisch Jäger und Sammler. Du weisst ja nie, wer von dir ganz spontan eine coole Location braucht. Da ist es gut, wenn man einen zentralen Ablageort hat, wo man ein paar Notizen oder auch ein paar Beispielfotos vom Handy abgelegt hat. Ich habe da eine richtige Liste mit ganz vielen Spots drauf. Aber längst nicht mehr alle sind heute noch so erhalten, wie zu dem Zeitpunkt, als ich sie aufgeschrieben habe.
SWAN Magazine: Wieso?
Stefan Rappo: Nun, die Globalisierung hat auch zur Folge, dass zum Beispiel kleine und besondere Hotels von grossen Ketten aufgekauft werden. Dann werden sie umgebaut, damit die Kunden der Hotelkette an jedem Ort eine ähnliche Atmosphäre vorfinden können. Das macht aus der ein oder anderen speziellen Location einen Ort, den man heutzutage in jeder Stadt findet. Das kennt ihr von Hotelketten bestimmt auch. Das ist bei Cafés oder anderen Franchise-Unternehmen auch nicht anders. Ich schaue aber immer wieder zwischendurch auch bei Airbnb. In Südfrankreich gibt es da einige tolle Häuser, die sich wunderbar für Fotostrecken eignen.
SWAN Magazine: Welche Rolle spielen die Models bei Deinem aktuellen Projekt? Sagst Du „wenn ich eine hochwertige Modemarke habe, kann ich ein No-Name-Model nutzen“ oder soll es stets ein Celebrity sein?
Stefan Rappo: Beides! Wenn du einen Schauspieler ans Set bekommst, der richtig Bock auf deine Idee hat, dann bekommst du Bilder dabei heraus, die du sonst nie umsetzen könntest. Die Bekanntheit des Schauspielers hilft dir als Fotograf dabei, selbst zu wachsen. Denn diese Promis bringen ja nicht nur Fans und Follower und du verbreiterst damit deine Community. Das ist ja nur ein Teil der Medaille. Die andere Seite ist ja: Diese Menschen sind nicht nur selbstkritisch sich selbst gegenüber, sondern stellen auch hohe Anforderungen an den Fotografen. Das ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen.
SWAN Magazine: Und was bevorzugst Du? Top Models oder Charakterköpfe?
Stefan Rappo: Charakterköpfe! Ganz klar.
SWAN Magazine: Wie kommst Du an diese Menschen heran?
Stefan Rappo: Das ist heutzutage wirklich eine Herausforderung. Vor 20 oder 30 Jahren war das noch einfach. Aber mittlerweile? Da kannst du ja nicht einfach anrufen und fragen „Hast du morgen Zeit und Lust“? Schauspieler z.B. sind über Monate ausgebucht, an sie heran kommst du gar nicht direkt, sondern nur über ihren Agenten. Da musst du schon ein paar Jahre im Business sein, damit du über ausreichend Kontakte verfügst und es so dann doch klappt.
SWAN Magazine: In normalen Zeiten unterschreiben wir das ungesehen. Nun ist es aber ja auch so, dass gerade Schauspieler von der aktuellen Krise ebenfalls betroffen sind, weniger reisen dürfen, Produktionen verschoben werden und auch Filmstarts nicht wie geplant stattfinden. Prinzipiell müssten die jetzt doch einfacher zu erreichen sein, als vor der Krise, oder?
Stefan Rappo: Da stimme ich zu. Die Verfügbarkeit ist grösser, aber dennoch braucht es Kontakte, da auch diese Menschen dazu angehalten sind, unnötige Kontakte zu reduzieren. Den Schauspieler triffst du also nicht zufälligerweise abends an der Bar…
Bei Celebrities gibt es ja auch noch ein weiteres Thema: Diese Menschen wollen heute sehr genau die Bilder von ihnen und die Einsatzzwecke kontrollieren. Ich habe zu dem Thema zuletzt etwas von Patrick Swirc, einem ganz bekannten französischen Portraitfotografen gelesen. Er sagt ganz deutlich: Heute macht die fotografische Zusammenarbeit mit bekannten Persönlichkeiten keinen Spass mehr. Warum? Weil da ständig irgendein „Manager“ herumsitzt, der nur sagt „das geht nicht“ oder „das können wir nicht machen“.
Hinzu kommt ja auch, dass du als Fotograf mit solchen Menschen meist nur wenige Minuten Zeit hast und dann das Bild am Ende noch aufwändig retuschiert wird, damit es nur ja dem Bild entspricht, die die Person gerade in der Öffentlichkeit verkörpern will. Da stehen wir Fotografen mit dem Wunsch nach künstlerischer Freiheit ganz weit hinten an.
SWAN Magazine: Wenn die Barrieren so hoch sind, was ist dann Dein Weg? Wie willst Du das lösen?
Stefan Rappo: Ganz einfach! Eine Stufe niedriger anfangen! Es muss doch nicht immer der Leinwandstar sein. Ein „upcoming Youngster“ ist viel flexibler. Er oder sie ist bereit, auch etwas Neues mit dir auszuprobieren. Und dennoch hast du Erfahrung und ein Gesicht, das schlussendlich bekannter ist (oder wird), als ein Model von „um die Ecke“.
SWAN Magazine: Wie ist das, wenn Du für ein Magazine fotografierst? Ist das dann ebenfalls schwierig?
Stefan Rappo: Das ist etwas ganz anderes! Wenn ein Magazin eine Strecke von einem Schauspieler zeigen möchte, dann haben sie da eigentlich nur Interesse dran, wenn der Schauspieler in Kürze auf der Leinwand zu sehen ist. Nur dann lohnt sich das für das Magazin. Und dann lohnt sich das auch für den Schauspieler, weil es dann Promotion für das aktuelle Projekt ist. Wenn du dann einen gewissen Namen mitbringst, der ein Synonym für Qualität ist, dann stehen dir alle Türen offen. Das habe ich ja mit Peter Lindbergh oft erlebt. Brat Pit haben wir so fotografiert. Dann bringt sogar so einer richtig Zeit mit…
SWAN Magazine: Wie gehst Du diese Portraitserie technisch an? Arbeitest Du mit Assistenten zusammen, mit aufwändigen Licht Setups?
Stefan Rappo: Die ersten drei Shootings dieser Serie habe ich ganz einfach gehalten. Sie waren sehr spontan und da habe ich auch nur mit natürlichem Licht gearbeitet. Die drei Shootings sind aber auch nur mein Entrée in dieses Sujet. Ich kann ja nicht jetzt schon heimlich an „2021“ vorarbeiten… (lacht).
Nein, im Ernst: Licht spielt eine grosse Rolle und ich werde -natürlich in Abhängigkeit von Location, Jahreszeit und Konzept- auch einzelne Serien mit Assistenz und aufwändigerem Licht angehen. Da kenne ich mich doch bestens aus. Wäre doch verrückt, mich da zu limitieren und nicht auf meinen Erfahrungsschatz zurückzugreifen.
SWAN Magazine: Du gehst also sehr konzeptionell an „2021“ heran?
Stefan Rappo: Ja, genau. Am Anfang gibt es eine Idee. Ein kleines Storyboard. Dann suche ich mir Location und Model und danach geht es in die Detailplanung. Bei Mutterliebe war das ähnlich. Da hatte ich erst die Grundidee und habe dann meine zwei Listen durchgeschaut: Die mit den Locations und die mit den Models, mit denen ich gerne mal zusammenarbeiten möchte.
Dann habe ich die Stylistin an Bord geholt und wir haben in der Agentur zusammengesessen und Models und Location angeschaut. In solchen Agenturen arbeiten ja auch spezielle Leute. Denen zeigst du ein paar Bilder und sie sortieren ganz schnell einen Grossteil der Models aus. Und dann kommt ein Model an die Reihe und sie picken es heraus und sagen „die sieht cool aus, die passt zum Konzept“. Und so entwickelt sich das dann mit der Mode entsprechend weiter. Bis alle Puzzleteile auf dem Tisch liegen. Dann braucht es einen Termin und die Location und dann bauen wir gemeinsam aus vielen kleinen Puzzleteilen nicht nur ein Bild, sondern eine ganze Story.
SWAN Magazine: Gibt es auch eine Modemarke, mit der Du gerne mehrere dieser Projekte zusammen realisieren möchtest?
Stefan Rappo: Du, ich bin schlecht in Mode. Ich kenne mich da nicht aus. Deswegen nutze ich ja Stylisten. Die machen den ganzen Tag nichts anderes. Und die kombinieren ja auch unterschiedliche Labels und machen nicht nur eine Marke am Set. Durch das passgenaue Zusammenspiel erst, werden solche Shootings ja auch erst perfekt. Die Mode selbst steht bei mir aber auch nicht im Vordergrund. Sie ist wichtig, aber ich möchte nicht Repräsentant für ein Label werden.
SWAN Magazine: Wie gehst Du denn jetzt mit dem Lockdown um?
Stefan Rappo: Meine Freundin und ich haben die Kontakte extrem reduziert. Es hört sich vielleicht verrückt an, aber wir sitzen im Prinzip nur in der Wohnung. Darum streichen wir ja auch gerade. Wir tun ja nicht nichts. Ich arbeite an den Konzepten für meine Fotoprojekte, pflege wichtige Kontakte, mache viele Videokonferenzen. Aber ausser zum Einkaufen und für ein Shooting bin ich zuhause. Es ist wichtig für uns alle, dass wir verantwortungsvoll mit der Krise umgehen. Dennoch sollte niemand den Kopf in den Sand stecken.
Ich habe ja ganz viele Freunde, die aus dem Bereich Film und Foto stammen. Als der erneute Lockdown kam, haben wir alle gesagt: „Hey, ist nicht so schlimm, wir dürfen doch fotografieren und filmen.“ Doch die Realität ist anders. Zwei Wochen nach Beginn des Lockdowns sitzen wir zuhause und schauen auf den Fernseher und beobachten, was um uns herum passiert. Das kommt mir ein wenig so vor, als „wäre draussen Krieg und wir sitzen geschützt im Käfig“.
Leider killen diese Nachrichten jede Kreativität und sie ermuntern auch nicht, neue Ideen zu entwickeln. Deswegen habe ich schon oft gesagt (nicht nur während Corona), dass wir den Fernseher manchmal ausschalten sollten und uns auf unser Ding fokussieren sollten. Man kann sich ja doch recht gut an die Regeln halten und dennoch etwas auf die Beine stellen.
SWAN Magazine: Was motiviert Dich, neue fotografische Projekte umzusetzen?
Stefan Rappo: Nun, auch ich muss Geld verdienen und kann nicht ewig von den Ersparnissen leben. Das schafft eine Grundmotivation. Doch viel wichtiger für das Ego ist die Anerkennung.
Ich habe doch mal berichtet, dass ich drei Jahre lang für eine Unterwäschenmarke fotografiert habe. Irgendwann war dann eins meiner Fotos in riesig gross in einer U-Bahn-Station abgebildet. Das ist schon richtig klasse, wenn du da am Bahnsteig gegenüber stehst. Doch noch viel besser ist es, wenn dich ein Freund anruft und dir vollkommen begeistert berichtet, dass er ein Bild von dir auf einer Plakatwand in einer fremden Stadt gesehen hat.
Nur persönliche Projekte umzusetzen ist nämlich auch nicht risikofrei. Wir alle brauchen das konstruktive und kritische Feedback, das wir auf Social Media trotz tausender Likes und Herzchen einfach nicht bekommen können.
SWAN Magazine: Danke Dir, Stefan. Sehr spannend. Wie immer mit Dir!
Stefan Rappo: Auch ich sage danke. Ich freue mich schon auf unser nächstes persönliches Treffen. Dann stossen wir mal gemeinsam an.
Heaven • Der belgische Starfotograf • Bildband Heaven • Tipp
August 7, 2022 @ 5:38 pm
[…] Gekonnt spielt der Belgier hinter der Kamera mit Spiegeln, Zäunen und High Heels und erinnert uns damit ein wenig an David Mecey (langjähriger Playboy-Fotograf und Künstler der Ausgabe 04), aber auch an den Bildband “Nude” von Stefan Rappo. […]