„Klarträume sind solche Träume, in denen man völlige Klarheit darüber besitzt, dass man träumt und nach eigenem Entschluss handeln kann“, sagte der Psychologe Paul Tholey einst, der zugleich als einer der bedeutendsten deutschen Klartraumforscher gilt.
Altes Pfandhaus Köln
Wir sind zu Gast auf dem Kartäuserwall 20, mitten im Kölner Severinsviertel. Dort, wo es kaum Parkhäuser gibt und man am Strassenrand Parkgebühren bis 23 Uhr am Abend entrichten muss, versteckt sind zwischen studentisch geprägtem Wohnhäusern das Alte Pfandhaus. Eine Eventlocation, die von Kunst bis Kultur, von Musik bis Lounge, im Prinzip alles beherbergen könnte. Aber heute erleben wir hier den Startschuss für eine mehr als zweiwöchige Ausstellung. Eine Vernissage also.
Unsere eifrigen Leser wissen: Hier hatte schon Benedikt Ernst (Ausgabe 15) eine Ausstellung durchgeführt und nun ist es Andreas Jorns (Ausgabe 13), der nach der einen oder anderen kuratierten und in Co-Produktion entstandenen Ausstellung hier seine erste eigene Ausstellung präsentiert.
Illustre Gesellschaft
Geladen sind seine Fans und vor allem diejenigen Follower, die seinen neuen (gleichnamigen) Bildband „Lucid Dreams“ bereits vorbestellt haben und hier live handsignieren lassen möchten. Denn heute ist nicht nur Vernissage, sondern zugleich der Zustellungsbeginn seines neuen Bildbandes. Wie wir erfahren, hat DHL offenbar ganze Arbeit geleistet: Seit Freitagmorgen, also dem offiziellen Veröffentlichungstermin, hagelt es auf seinem Instagram-Kanal nur so von Kommentaren, Likes und Bildern von Lucid Dreams. Andreas Jorns himself hat diesen aufwändig produzierten Bildband in den letzten Tagen hundertfach verpackt. Anschliessend dann einkuvertiert, frankiert und in den Postversand übergeben. Handarbeit eben.
Vernissage unter Freunden
Pünktlich um 20 Uhr vor Ort angekommen, treffen wir auf einige Altbekannte. Andreas hat seine persönliche Fanschar für seine Vernissage begeistern können und zahlreiche Gesichter kommen auch uns mittlerweile bekannt vor. Menschen, die wir schon bei der einen oder anderen Buchpräsentation in Haan bei Düsseldorf haben kennenlernen durften. Teilweise haben sie nach der Arbeit am Freitag eine Anreise von über 200 km in Kauf genommen, um live mit dabei sein zu können. Und einige SWAN Abonnenten sind auch dabei. Persönlich Bekannte und uns persönlich bis dato Unbekannte.
Die treue Fanbase wird nicht enttäuscht. Im Gegenteil: Andreas Jorns steht bewaffnet mit Edding und Gästeliste am Eingang und begrüsst seine Gäste persönlich. Man merkt ihm an, dass er den menschlichen Kontakt während der Pandemie vermisst hat und sich heute darauf freut, endlich wieder die Menschen zu treffen, die er teilweise lange nicht gesehen hat. Doch erfahrene Gäste suchen nicht nur den Kontakt zu ihm, sondern halten gleich zu Beginn Ausschau nach der „besten Ehefrau von Allen“ – und das nicht ohne Grund: Ist Annette zugegen, ist für das leibliche Wohl gesorgt! Sie ist – wie wir später erfahren- noch am Nachmittag extra aus Hamburg angereist. Aber die Reisestrapazen merkt man ihr nicht an. Auch sie ist über die Besucherzahl sichtlich erfreut und geniesst es, ihren Göttergatten dabei zu unterstützen, die Gäste bei Laune zu halten und redlich zu umsorgen. Mit selbstgebackenen Canapés und verschiedenen Sorten kalten Getränken gelingt ihr das ausgesprochen gut. Sie gehört längst zur Foto-Family hinzu – auch wenn sie lieber im Hintergrund agiert.
Ganz in weiss
Wäre da nicht das schwarze T-Shirt untendrunter, könnten tatsächlich Assoziationen zum Traumschiff geweckt werden: Seit Jahren nicht mehr erlebt, hält Andreas Jorns seine Ansprache im weissen Anzug. Weisse Hose, weisses Sakko und die grau melierten Haare modern mit Gel in Form gebracht. Fesch, aber eben total ungewohnt von ihm.
In seiner Ansprache berichtet er über die Entstehung seines Buches. Ganz nach Bambi-Art dankt er besonders den Anwesenden, die in Lucid Dreams eine Gastrolle übernommen haben. Immer wieder geht es um die Hauptdarstellerin Anna Röttger, der es offenkundig gelungen ist, mit ihrer einzigartigen Art das Künstlergen in Andreas anzustacheln und über sich selbst hinauszuwachsen. Er berichtet von besonderen Momenten, initialen Ideen und dem Spass, mit dem die Umsetzung der Arbeiten an Lucid Dreams erfolgte.
Doch eins gelingt ihm nicht: Zu Beginn seiner Rede verspricht er, sich kurz halten zu wollen – und spätestens nach fünf Minuten spannendem und kurzweiligen Dialog weiss jeder: Die Grundidee war gut und vorhanden, sie ist aber irgendwo auf der Strecke geblieben. Aber genau das ist gut so. Denn diese Einblicke in die Entstehungsgeschichte sind später der Rahmen für zahlreiche Gespräche direkt vor den ausgestellten Bildern, wie wir bei mehreren Menschengruppen beobachten können.
Überhaupt ist die Länge der Ansprache nicht schlimm. Andreas weiss es, seine Gäste zu begeistern und bindet Anwesenden mit in seine Rede ein. Vor allem diejenigen, die direkt oder indirekt an seinem neuesten Bildband oder an dieser Ausstellung mitgewirkt haben. Sein Freund und Unterstützer ist es, der den ersten grossen Applaus für sich einstreichen kann. Er habe mit Bohrer und Dübel die Hängung der Kunstwerke realisiert, weil der Leica- und Nikon-Fotograf selbst in solchen handwerklichen Dingen ja so herrlich untalentiert sei…
Doch nun zur Ausstellung
Auf zwei Etagen hängen fotografische Kunstwerke im Hoch- und Querformat. Ihr gemeinsamer Nenner sind die Klarträume, die Anna Röttger geträumt und Andreas Jorns mit seiner Kamera eingefangen hat. Magische Momente, die irgendwo zwischen Fiktion und Realität angesiedelt sind und doch ein jeder irgendwann schon einmal im Traum mitverarbeitet hat. Edel gerahmt, mit dickem Passepartout und entspiegeltem Glas. Museumsqualität. Auch der Druck dahinter auf dem strukturierten Papier weiss den Kenner zu überzeugen.
Auf seiner Website beschreibt Andreas Jorns in knappen Sätzen, dass Lucid Dreams ja keine Monografie sei, wie frühere Werke aus seiner Hand. Doch auf der Vernissage stellt er das anders dar: Er sagt „wie eine Monografie“, fügt aber mit an, dass es ja schon deswegen keine Monografie sein könne, weil man hier und da auch Menschen neben Anna Röttger sehen könne – und einige davon sind sogar extra für die Vernissage angereist.
Surreal
So charmant, kurzweilig und lustig die Ansprache war, so ruhig stimmen die Gäste die ausgestellten Exponate. Man erkennt den Spass, den Anna und Andreas hatten, irgendwo hinter den Kulissen. Aber viele Bilder lösen Fragen aus. Diese Fragen sind es, denen es gelingt, dass sich die Gäste intensiver mit den einzelnen Bildern auseinandersetzen und auch länger vor ihnen verweilen. Fragen, die hier genutzt werden, um Anna oder Andreas direkt zu fragen.
Denn: Immer wieder tauchen Anna und Andreas an den kleinen Menschentrauben auf und mischen sich – einzeln oder zusammen – unter die Gäste und beantworten fleissig Fragen und erklären die Ideen, die hinter einzelnen Motiven stehen. Aber auch, wie die Ideen überhaupt entstanden sind.
Blurry efects
Viele Bilder bestechen durch das Gegenteil von Klarheit. Surreal wirken viele Bilder und laden dazu ein, sich selbst auf die Traumebene zu begeben. Ungewohnt für viele Gäste sind die Schafe und Fische, die in einigen Bildern auftauchen. Mal als Hauptmotiv, mal als dominierendes Accessoire.
Auch Kerzen tauchen plötzlich in seinen fotografischen Kunstwerken auf und machen bewusst, dass sich der Künstler Andreas Jorns hier deutlich weiterentwickelt hat. Vermutlich deutlicher, als bei jedem anderen Bildband zuvor. Geblieben sind seine typischen Schnitte, die das Gesicht direkt über den Augenbrauen enden lassen. Oder der unendliche Himmel über den Menschen, von denen am unteren Bildrand nur der Kopf und der Schulteransatz zu sehen ist.
Keine Kopie, sondern echte eigene künstlerische Handschrift
An mehreren Stellen fühlen wir uns irgendwie erinnert an Untold Stories, die grosse und letzte Ausstellung Peter Lindbergh’s, der neben klassischen Motiven vor allem Bilder gezeigt hat, die einen sehr erzählenden Charakter haben. Narrativ, wie nie zuvor, sind auch in dieser Ausstellung die gezeigten Exponate geworden. Während früher zumeist die Protagonistin im Mittelpunkt stand und etwas Strand oder schwarzer Hintergrund die Kulisse bildeten, bekommt bei Lucid Dreams (in Bildband und Ausstellung) die die Kulisse eine stärkere Bedeutung. Während hier eine alte und verlassene Tankstelle in den Fokus rückt, ist es da eine Kerze oder auch ein Zirkuszelt, in dessen Manege Anna und Andreas eine ganz einzigartige Stimmung produzieren konnten.
Gerade für die technisch interessierten Menschen ist etwas anderes spannend: Andreas arbeitet wieder mit Licht! Klar, das hat er schon immer getan, aber in den letzten Jahren dominierte etwas das mit Vorhängen gerichtete Fensterlicht. Available light, wie man auf neudeutsch sagt, beherrscht Andreas aus dem Eff Eff. Und auch hier kommt seine Erfahrung in diesem Bereich natürlich zur Anwendung. Aber mit tiefen Standpunkten, natürlichem Gegenlicht, Theatherstrahlern aber eben auch Blitzlicht wagt sich der in der Schwarzweiss-Szene überaus bekannte Fotokünstler weit aus dem Fenster. Wobei… tut er das tatsächlich?
Eigentlich nicht. Denn wer Andreas länger kennt als seit Einführung seines Slogans „Black & white only“, der weiss, dass es zwar Jahre her ist, aber die Anfänge seiner fotografischen Karriere (nicht seiner Fotografie!) in einem Nikon-Forum und mit dem Blitzbuch aus dem Hause Data Becker (Düsseldorf) begann.
So richtig schliesst sich der Kreis, als wir nach unserem ersten Rundgang an einem Tisch auf einen langjährigen Freund und Follower treffen – er hat schon im Rahmen des Blitzbuches mit Andreas zusammengearbeitet.
Lohnt sich der Ausstellungsbesuch?
Definitiv ja! Das Alte Pfandhaus ist eine ideale Location für eine solche Vernissage, aber genauso auch für eine Ausstellung. Das atriumartige Gebäude mit seinen zwei Etagen bietet viel Platz. Platz, um die einzelnen Kunstwerke atmen zu lassen und nicht zu sehr dicht an dicht nebeneinander hängen zu lassen. Gut gefällt uns auch, dass zum Beispiel Motive mit Fischen darauf, nicht zu einem Block zusammengefasst sind, sondern sich ein wenig verteilen. Auch das Licht und die Rahmung passen sehr gut zusammen und werten den optischen Eindruck auf.
Gerade für Gäste seiner Ausstellung in der Leica Gallery Düsseldorf ist Lucid Dreams besonders spannend: Mit Lucid Dreams zeichnet Andreas Jorns eine ganz andere Fotografie in die Luft, als die, die wir in Düsseldorf sehen konnten.
Unsere Empfehlung
Wir empfehlen den Besuch eines Artist Talks. Denn dabei kommt der Künstler so richtig in Form und man erfährt viel mehr. Wer an diesen Terminen leider verhindert ist, so verriet uns Andreas Jorns im Rahmen der Vernissage, kann sich auch per E-Mail bei ihm melden und erhält dann gerne eine Einzelführung. Zur Finissage am 18.09.2022 um 12 Uhr könnte es dann wieder voll werden. Wer also auch Netzwerken möchte, ist hier garantiert richtig bedient.
Und: Wer nicht so gerne Onlineshopping betreibt, kann auch gleich hier vor Ort seinen mittlerweile siebten Bildband erhalten. Mit und ohne Signatur. Und auf Wunsch sogar mit Widmung.
Übrigens: Wer den Bildband Lucid Dreams ersteht, der erhält mit dem Karton zusammen auch eine Karte. Auf der Vorderseite befindet sich die Playlist von Anna zum Buch und auf der Rückseite die von Andreas. Die Idee ist genial – nur ein Detail fehlt uns: Ein QR-Code, der direkt zur jeweiligen Playlist führt… eine Idee für das nächste Mal. Denn sonst können wir leider nichts kritisieren. Alles ist perfekt aufeinander abgestimmt, ja fast choreografiert. Sogar mit der Coverfarbe seines neuen Bildbandes weiss Andreas zu überraschen…