33428 Marienfeld liegt zwischen Harsewinkel und Gütersloh. Aber auch zwischen Bielefeld und Münster. Und auch zwischen Paderborn und Osnabrück. Geografisch ist Nummer 2 (korrekte Schreibweise „-02-„) nun also eingenordet. Kommen wir also zur Grösse von Nummer 2: Diese entspricht in Höhe und Breite exakt den Massen von „-01-“ und macht damit deutlich, dass es sich um eine Serie handelt. Eine fortlaufende Produktion. Anders als „Jimi is in the house“, welches ebenfalls die Headline „Craft Werk 4“ trägt, aber einen gänzlich anderem Formfaktor und auch eine andere Veredelung trägt.
Doch so sehr sich Nummer 2 in Höhe und Breite der Nummer 1 auch ähnelt, so wenig passt die Dicke zueinander. Nummer 1 kam auf sieben Millimeter Dicke und beinhaltete acht Fotostrecken. Nummer 2 hingegen kommt mit 18 Millimeter Dicke „mal eben“ auf den 2,5-fachen Umfang. 72 Seiten hatte Nummer 1, in Nummer 2 sind es nun 200 Seiten. Also quasi der gleiche Zuwachs. Rechnet man den (notgedrungen) stabileren Einband einmal heraus, so kommt man vermutlich auf exakt die gleiche Grammatur bei beiden Bildbänden.
Ein Bildband?
Damit kommen wir gleich zur spannendsten Frage: Was sind Nummer 1 und Nummer 2 eigentlich? Nun, eins ist klar: Belletristik ist es nicht. Ein Roman auch nicht. Für beides besitzen beide Ausgaben zu wenig Text. Monographien sind es auch nicht, da in jeder Ausgabe mehrere Fotostrecken gezeigt werden. In Nummer 1 waren es acht. In Nummer 2 sind es derer neun. Da es weiterhin pro Bildstrecke eine Seite gibt, die für einen kleinen Einleitungstext reserviert ist, ist zum einen das Konzept von Nummer 2 identisch mit dem von Nummer 1. Doch zum anderen gibt es pro Strecke deutlich mehr Bilder. Also doch ein Bildband?
Einzeln betrachtet müsste man dies zu Nummer 2 sicherlich aufgrund von Grösse und Gewicht (1.225 gr) sicherlich in diese Richtung einordnen. Die Seriennummer und der Hinweis im Einband („76 Seiten sind eigentlich der Plan“ und „umständehalber“) deuten jedoch mehr in Richtung Magazin. Doch egal, wie wir das Druckstück nun einordnen: Es zeigt jede Menge hochwertig inszenierte und nur wenig retuschierte Fotografien von jungen Damen. Überwiegend in Schwarzweiss, aber zwischendurch gibt es auch vereinzelte Farbmotive.
Was ist drin?
Starten wir einmal mit eher objektiven Kriterien. Dass auch Nummer 2 ausschliesslich Damen beinhaltet, mag verwundern, ist aber in der Folge von „Jimi is in the house“ und Nummer 1 nicht verwunderlich, sondern nur konsequent. Ohne die Modelle einzeln zu kennen, fällt ihr ähnlicher Typ direkt ins Auge – und macht neugierig auf Rüdiger’s Frau… 😉
Apropos Familie: Rüdiger’s Tochter Franka (in Nummer 1 das zuletzt gezeigte Model), mit der Rüdiger auch die Leidenschaft für das Motorrad-Trial-Fahren teilt, ist in Nummer 2 nicht enthalten. So bleibt als Schnittstelle zwischen Nummer 1 und Nummer 2 nur Tara – die spannenderweise in beiden Ausgaben Hauptdarstellerin der vorletzten Bildstrecke ist.
Viel Neues in Nummer 2
Opener und zugleich mit Schlüsselfunktion versehen, ist Malin. Ein eindrucksvolles Model, facettenreich und spannend in der Bildabfolge. Und der Einleitungstext verrät: Beinahe hätte es Nummer 2 nicht gegeben, Rüdiger hätte die Fotografie an den Nagel gehängt und Malin das Modeln. Aber es kam eben anders. Beide trafen sich an der Espressomaschine und das nicht nur einmal, weil nach leichten Startschwierigkeiten objektiv betrachtet wirklich tolle Motive entstanden sind.
Während Nummer 1 stark tänzerisch expressionistisch geprägt war und mit raffinierten Dessous glänzte, stehen in Nummer 2 sehr deutlich Körperformen im Vordergrund. Zumeist eng anliegende Kleidung und ein Hauch mehr Haut als in Nummer 1 unterstützen diese Wirkung. Doch stärker noch ist der Einfluss der Modefotografie. Zahlreiche Motive könnten Werbemotive grosser Marken sein. Die Modelle geben sich selbstbewusst, teilweise (wie oft in der Werbung gesehen) Lolita-haft und spielen mit leicht geöffneten Lippen.
Einige Details
Bei intensiver Betrachtung fällt auf: Rüdiger (Künstler unserer Ausgabe 06) arbeitet in Nummer 2 gerne mit leicht nach unten versetztem Kamerastandpunkt. Er lässt die Damen vor seiner Kamera damit stark und präsent rüberkommen und betont damit bewusst die oben bereits angesprochenen, leicht geöffneten Lippen. Die Schnitte seiner Bilder sind sehr zentral-dominiert. Angeschnittene Köpfe oder Beine findet man nur selten. Auch eine Folge des Hochkantformates.
Ob drinnen oder draussen. Ob sommerliche Atmosphäre oder nicht. Rüdiger Spieler spielt gerne mit dem Licht. Oder besser gesagt: Mit den Schatten. Klassische, voll ausgeleuchtete Studiofotografie mit kristallweissem Hintergrund findet man in Nummer 2 nicht. Stattdessen tauchen zwischen den Fashionbildern (die einem Werbeprospekt entnommen sein könnten) immer wieder Motive auf, in denen Licht nur spärlich eingesetzt wird und in Folge dessen die Farbe schwarz dominiert.
Die Sache mit dem Hintergrund
Viele Leser, die Rüdiger Spieler aus unserer Ausgabe 06 kennen oder den letzten Bericht über sein Magazin aufmerksam gelesen haben, wissen, dass Rüdiger in gewisser Weise ein Nomade ist. Zwischen seiner hauptberuflichen Arbeitsstätte, seinem privaten Wohnsitz und seiner Wirkstätte für seine privaten Projekte liegen jeweils nur wenige Kilometer. Der Bauernhof, der früher dem Gründer der lokalen Bikerszene (Rüdiger’s Onkel) gehörte und später von seinem viel zu früh verstorbenen Bruder bewohnt wurde, dient heute als Fotostudio, Modelwohnung und Motorradlager und Motorradwerkstatt. Vielleicht deswegen (das haben wir nicht gefragt) ist dies heute vermutlich der einzige Bauernhof im Marienfelder Umland, der einen so modern klingenden Namen wie das „Craft Werk 4“ besitzt. Zumindest sind es vier Themenfelder, die hier unter einen Hut gebracht werden.
Unzählige Shootings hat er hier schon durchgeführt. Und Vieles ist hier Vintage. Seine Motorräder, seine Siebträgermaschine, die Braun-Stereoanlage, die Stühle und auch die alte Holzleiter, die hinaufführte ins Strohlager des Bauernhofes. Mit seinem gestalterischen Geschick bietet das Craft Werk 4 Fotostudio authentische Kulissen, überrascht aber auch mit sonst in der Peoplefotografie eher weniger verwendeten Backsteinmauern.
So ergibt sich zwischen einer alten Türe und einem Riemchen-Fenster eine abwechslungsreiche Kulisse, die in Nummer 2 den Eindruck erweckt, viele der unzähligen Bildmotive wären in unterschiedlichen Studios entstanden. Doch dem ist gar nicht so. Die Vielfältigkeit des Studios hat schon manch einen Besucher überrascht. Unter ihnen auch Marc Kandel, den Podcaster von Auditive Augenblicke.
Für wen geeignet?
Eine ganz zentrale Frage ist es immer, für wen eine Publikation, wie diese, denn nun geeignet ist. Wer sollte sie kaufen?
Zwei Zielgruppen liegen auf der Hand: Zum einen sind es diejenigen Fotografen, die (so wie Rüdiger Spieler selbst) grosse Fans von Peter Lindbergh, Vincent Peters, Helmut Newton oder Saul Leiter sind und erleben wollen, wie man ihre Arbeiten in eigene Fotografien einarbeiten kann. Zum anderen sind dies aber auch Fotobegeisterte, die live sehen wollen, dass selbst ein Bauernhof (oder jede andere kleine Wohnung) als Fotostudio geeignet ist, wenn man nur genügend Ideen entwickeln kann und dabei geschickt mit Kleidung und Accessoires spielt.
Doch es gibt eine weitere Zielgruppe, die sich nicht auf den ersten Blick erschliesst: Fotokünstler, die (wie Rüdiger auch) ihre mit Hingabe entwickelten Bilder nicht „einfach so“ auf Social Media „verballern“ wollen. Denn jede einzelne in Nummer 2 gezeigte Fotostrecke steht sinnbildlich dafür, wie viel Zeit und Ideen Fotografen und Fotomodelle investieren, um besondere Fotomotive entstehen zu lassen. Motive, die einfach einen zu hohen Wert haben, um im „Social-Media-Sumpf“ unterzugehen.
Und so sind Nummer 1 und Nummer 2 vor allem eins: Die Aufforderung selbst in gedruckte Medien zu investieren. Rüdiger beweist, dass es in klein funktioniert (Nummer 1) und auch, dass es in grösser funktionieren kann (Nummer 2), wenn man keine kommerziellen Absichten verfolgt, aber dennoch den Wert des gedruckten Bildes unterstreichen möchte. Mit „Jimi is in the house“ geht er sogar einen Schritt weiter und tritt den Beweis an, dass es selbst für kleine Projekte lohnt, die Extrameile zu gehen und die Fotografie aus den Fesseln amerikanischer Konzerne mit Gewinnabsicht herauszulösen.
Übrigens…
…die Nummer 2 gibt es nicht nur online zu bestellen, sondern kann auf dem Usedom Meetup von Andreas Jorns (Ausgabe 13) auch vor Ort betrachtet und käuflich erworben werden. Ein Magazin in Kleinstauflage, dass sicherlich schon bald vergriffen sein wird. Herzliche Empfehlung!