Man sagte zu uns: „Diese Ausstellung dürft ihr auf keinen Fall verpassen“. Also sind wir hingefahren nach Hagen; zu Exposed. Hagen ist die grösste Stadt in Südwestfalen und gilt als das „Tor zum Sauerland“. Zugegeben, das klingt malerischer als „die Stadt der tausend Tankstellen“, bei der man zwischen den Hügel aufpassen muss, nicht unfreiwillig fotografiert zu werden.
Osthaus-Museum in Hagen
Unser Navi leitet uns direkt vor das Osthaus-Museum. Zu unserer Freude befindet sich direkt gegenüber dem Haupteingang ein Parkhaus. Klein, aber nicht überlaufen. Und mit 1,50 EUR pro Stunde wahrlich nicht zu teuer. Nachdem wir von der Strasse aus das Museum direkt erkannt haben, schweift unser Blick hinüber. Auf der anderen Ecke der Kreuzung liegt „Die Rose am Museum„. Ein Kleinod, in dem vereinzelt ein paar Gäste am Tresen sitzen. Es wirkt, als wäre dort vor wenigen Stunden noch intensiv rheinischer Karneval gefeiert worden. Überhaupt sind uns einige Dönerbuden, An- und Verkaufsshops und rauchende Kamine auf dem Hinweg ins Auge gesprungen. Inmitten einer hügelig-malerischen Umgebung herrscht ein gewisser Industriecharme vor.
Das Osthaus-Museum stellt schon optisch einen deutlichen Gegenpol dar: Das im Jugendstil erbaute Museum auf der rechten Seite und das aus modernem Stahl und Glas daneben stehende Emil-Schumacher-Museum verbinden Tradition und Moderne. Eine Oase in der Stadt, die so auch in Mailand oder Paris stehen könnte. Nur wäre dann vermutlich eine Espressobar oder eine feine Brasserie gegenüber.
Herzlich willkommen
Bei unserem Besuch wurden wir freundlich begrüsst und mit einem grünen Klebepunkt ausgestattet. Dieser grüne Punkt signalisiert dem Museumspersonal, dass wir Eintritt bezahlt haben und unseren Dreifach-Impfschutz vorgelegt haben. Bewaffnet mit unserer FFP2-Maske bewegen wir uns nach rechts Richtung Jugendstilvilla, gehen vorbei an ein paar Cafeteria-ähnlich positionierten Stühlen und steigen ein paar Stufen hinauf in den Ausstellungsbereich (für Rollstuhlfahrer und betagte Besucher gibt es einen grosszügigen Aufzug). Direkt laufen wir auf die ersten drei Bilder von Bryan Adams zu. Eins zeigt ihn selbst – von hinten. Uns verwundert das nicht, weil wir auf das Thema Selbstportraits und seine Kopfform schon im Interview von Ausgabe 14 zu sprechen kamen. Wir stellen uns aber vor, wie das auf Besucher wirkt, die (wie wir) weder einen Flyer, noch einen Ausstellungskatalog am Eingang erhalten konnten. Der Künstler selbst von hinten? Auf dem dritten Bild?
Die Lösung auf diese Frage erschliesst sich uns erst am Ende des Rundgangs. Denn dann geht man ein paar Stufen herunter und schaut direkt auf den Hinterkopf des Künstlers. Das Bild ist also der Abschluss des Ausstellungsrundgangs. Aber so weit sind wir noch nicht.
Exposed – Die Ausstellung
Die Ausstellung beginnt an einer T-Kreuzung. Drei Motive hängen an der Wand, auf die man automatisch schaut. Wer intuitiv nach rechts abbiegt, geht falsch. Nach links öffnet sich die Ausstellung „Exposed“. Nach dem dritten Bild (Selfie von hinten) startet man in den ersten Ausstellungsraum. Schon der Begriff „Raum“ ist falsch. Es ist mehr oder weniger eine Halle. Gezeigt werden Motive aus dem aktuellen Pirelli-Kalender, die aus der Feder von Bryan Adams stammen und Musiker zeigen. Die Zeit barbusiger Damen im legendären Pirelli-Kalender ist eben vorbei. Die Fotokunstwerke haben eine eine eindrucksvolle Wirkung. Das liegt vor allem an ihrer Grösse. Ohne nachgemessen zu haben, dürfte die kürzeste Bildseite in diesem Ausstellungsraum irgendwo bei ca. 2,5 Metern liegen. Imposant. Aber so gross, dass sich diese Motive tatsächlich kaum für die heimische Wohnzimmerwand eignen. Wir fühlen uns eher erinnert an den ersten Raum der Ausstellung „Untold Stories“ im Düsseldorfer Kunstpalast, bei der ebenfalls übergrosse Motive in monumentaler Wirkung zu sehen waren, bevor es danach „in die normale Galerie“ geht.
Und tatsächlich: Auch im Osthaus-Museum erreichen wir nach der „Eingangshalle“ (die in Wirklichkeit keine Eingangshalle ist, sondern ein zentraler Raum, von dem in verschiedene Richtungen Gänge in andere Ausstellungsbereiche abzweigen) eine typisch museale Raumaufteilung. Gross, beinahe rechteckig und mit zahlreichen Bildern an der Wand. Die Bildgrösse hier: Gross und imposant, aber meistenfalls wohnzimmertauglich. Es herrscht auch diese typische museale Stimmung vor, die (unterstrichen von der hohen Deckenhöhe) dazu beflügelt, die Bilder wirken zu lassen. Fast verloren kommt man sich in diesem möbellosen Raum vor, wenn man als Einzelperson in ihr steht.
Vielleicht ist es dem „Veilchendienstag“ und der „Rose gegenüber“ geschuldet, dass wir kurz vor Feierabend (18 Uhr) tatsächlich die einzigen Besucher bei Exposed sind. Umso beobachteter fühlen wir uns aber, als wir plötzlich einen der Museumswächter entdecken, der auf leisen Pfoten von Ausstellungsraum zu Ausstellungsraum schreitet und uns einen Besuch abstattet – aber kein einziges Wort spricht.
Amy Winehouse, Queen, Mick Jagger und zahlreiche andere namhafte Persönlichkeiten aus Kunst, Musik, Film und Politik erwarten uns hier. Jedes einzelne beweist, dass Bryan Adams nicht nur ein Gespür für Musik hat, sondern auch mit seiner Kamera besondere Momente für die Ewigkeit festzuhalten weiss. Spannend ist die Vielfalt der Motive. Sie folgen keinem festen Schema und zeigen auch nicht „die eine Bryan Adams Handschrift“, sondern brillieren durch Abwechslung, Tiefgang und unterschiedliche Schnitte – aber auch Farben!
Vergleichsweise klein: Homeless
In eben dieser Haupthalle, die sich auf einer Seite durch eine spitzwinklige Wandanordnung optisch in den Vordergrund drängt, zeigen die Galerie Geuer & Geuer (Düsseldorf) und Crossover (Hamburg) [beide zusammen verantwortlich für die Kuration der Ausstellung] Bryan Adams Serie „Homeless“. Vier Bilder hoch und acht Bilder breit werden in einer strengen Petersburger Hängung wohnungslose Menschen aus aller Welt gezeigt. Menschen, denen Bryan Adams ein Gesicht geben möchte. Sie in die Wahrnehmung rücken möchte.
Gerade die Petersburger Hängung ist traditionell dafür bekannt, eine Präsentationsfläche für Hab und Gut zu sein. So zeigen die üppig behängten Wände der Sankt Petersburger Eremitage den Luxus der Zeit: Feinste Kleider, feudale Essen, lange Tafeln und Portraits ehrwürdiger Persönlichkeiten damaliger Zeit. In Kombination mit dem Thema dieser Wand entsteht zuerst der Eindruck einer Persiflage. Und wer weiss, vielleicht ist genau das das Ziel dieser Montage: Zu zeigen, dass es nicht nur „mein Haus, mein Auto, mein Boot“ (Anleihe an eine frühere Sparkassen-Werbung) gibt, sondern mitten unter uns Menschen leben, die nachts kein Dach über dem Kopf haben. Trotzdem ist uns diese Wand am wenigsten in Erinnerung haften geblieben. Ob das daran liegt, dass die Wand nur mit dem Begriff „Homeless“ überschrieben ist und uns die Story dazu fehlt? Klar ist: Allein diese Motive wären eine eigene Ausstellung – oder zumindest einen eigenen Ausstellungsraum – wert.
Wounded – The Legacy of War
Der nächste Ausstellungsraum ist derjenige, der uns am meisten in Erinnerung geblieben ist. Das mag an der aktuellen kriegerischen Invasion in der Ukraine liegen, aber das liegt auf jeden Fall auch daran, dass in diesem Raum die Decken (für ein Museum) auffallend tief hängen. Schnell stellt sich eine bedrückte Stimmung ein, wenn man die perfekt fotografierten, aber von kriegerischen Auseinandersetzungen dauerhaft geschädigten Menschen betrachtet.
Bryan Adams Serie „Wounded“ visualisiert, wie verletzlich wir Menschen sind und welchen bleibenden Schaden ein Krieg anrichten kann. Denn oft werden nur die Toten gezählt, nicht aber die Verletzten gezeigt. Bryan Adams tut dies. Schnell stellt sich beim Betrachter ein bedrückendes Gefühl ein, das durch die tief hängenden Decken verstärkt wird. Die aktuellen Nachrichten aus den Kriegsgebieten am Rande Europas machen uns bewusst, dass Krieg eben nicht „etwas aus fernen Ländern“ ist, oder gar „etwas, was wir zum Glück hier nicht haben“, sondern es rückt die Gefahr für das Individuum, welche stets von der Machtgier einzelner „Herrscher“ ausgeht, in greifbare Nähe.
Die teilweise lebensechte Motivgrösse erlaubt es dem Betrachter, Verwundungen und Protesen von Nahem zu betrachten. Und so entsteht eine Betroffenheit, die auch durch den Stolz einiger Soldaten, die tatsächlich in sich ruhen und ihren inneren Frieden gefunden zu haben scheinen, nicht weggenommen werden kann.
Ein zweiter Rundgang
Wir verlassen „Wounded“ durch einen anderen Ausgang als wir hineingekommen sind kommen zu einer kleinen Treppe, die hinabführt zum „Selfie von hinten„. Jetzt wird klar, dass Bryan Adams hier seine Sicht auf die Welt gezeigt hat. Und für ihn gehören die Queen, Wohnungslose, erfolgsverwöhnte Künstler und Kriegsversehrte eben zusammen – auf diese eine Welt. So macht diese Ausstellung bewusst, dass Vieles im Leben Glück ist. Sie macht aber auch transparent, dass wir Menschen aktiv mit anpacken müssen. Nur auf die „lucky side of life“ zu gucken, verzerrt die Realität. Wir sollten das „Wegschauen“ verlernen…
Der zweite Rundgang lässt die Motive noch stärker auf uns wirken. Wir beschäftigen uns mit jedem einzelnen Bild und sind beeindruckt von der fotografischen und drucktechnischen Qualität der gezeigten Kunstwerke. Ein wirklich schöner Überblick über die Fotokunst eines Künstlers, von dem die meisten Menschen gar nicht wissen, dass er auch fotografiert.
Im Vorfeld zu unserem Besuch waren wir von unseren Lesern der Ausgabe 14 auf zwei Radioberichte aufmerksam gemacht worden, die wir in den nachfolgenden Links gerne zur Verfügung stellen. Es wird die spannende Frage aufgeworfen, ob der Kriegsverwundete im Rollstuhl mit dem Tattoo auf dem Rücken diese „Stickerei“ vor oder nach seinem Einsatz im Kriegsgebiet hat stechen lassen. Und es wird -zu Recht, wie wir finden- Kritik daran geübt, dass es weder einen Ausstellungskatalog, noch ein Faltblatt gibt, dass dem Besucher Hintergrundinformationen zu den gezeigten Werken liefert. Aber, so schrieb es unser Leser, „dafür gibt es ja das SWAN Magazine„… 😉
Unser Fazit
„Exposed“ ist eine abwechslungsreiche Ausstellung, die sich nicht nur für Fans der Peoplefotografie zu besuchen lohnt. Gerade in diesen Tagen, wo Krieg für viele Bürger in Europa näher ist, als in den letzten 20 Jahren, nimmt „Wounded“ eine zentrale Rolle ein. „Wounded“ macht uns zu Beginn dieses Krieges in der Ukraine bewusst, dass der Jugoslawien-Krieg zwar zwanzig Jahre her ist. Aber diese Ausstellung ruft uns in Erinnerung, dass dieser Jugoslawien-Krieg zehn lange Jahre dauerte. Und mit Sicherheit zehn Jahre zu viel. Zehn Jahre, die wir jetzt nicht noch einmal erleben wollen. – Und eben deswegen nicht wegschauen dürfen.
Übrigens: „Exposed“ ist noch bis zum 24. April 2022 im Osthaus-Museum zu sehen. Montags ist geschlossen. Dienstags bis sonntags hat das Museum von 12 bis 18 Uhr geöffnet. Weitere Orte, an denen „Exposed“ derzeit zu sehen sind, befinden sich in unserem Veranstaltungskalender.
Nicole
März 7, 2022 @ 11:14 am
Wenn eine Anmerkung erlaubt ist: Das Foto in der Ausstellung zeigt die Queen höchst selbst und nicht Queen Mum. Im Artikel leider an zwei Stellen falsch erwähnt.
Ansonsten ein guter Artikel, ich war ebenfalls von der Ausstellung sehr beeidruckt.
Thomas Fühser
März 7, 2022 @ 12:31 pm
Liebe Nicole,
herzlichen Dank für Deinen Hinweis. Du hast absolut Recht. Wir haben den Fehler umgehend korrigiert und freuen uns, dass auch Dich die Ausstellung berührt hat.
Dein SWAN Team