Der Film Women’s Stories erscheint am 30. Mai 2019 (SWAN Magazine berichtete). Drei Monate später, genauer gesagt am 3. September 2019 stirbt Peter Lindbergh. Als am Tag nach seinem Tod selbiger über die Nachrichtenticker um die Welt geht, fallen weltweit Fotografen in Schockstarre. Auch wenn die wenigsten Fotografen die Gelegenheit hatten, ihn persönlich kennenzulernen, so wird er doch immer wieder als Idol und Vorbild genannt und zitiert.
In unseren Gesprächen mit den Künstlern der Ausgabe 05 und ersten Künstlern der Ausgabe 06 gibt es keinen, der nicht binnen der ersten 15 Minuten seinen Namen nennt. Auch vorher war uns in Interviews mit Fotografen immer wieder sein Name begegnet – aber in dieser Konzentration ist das neu.
Peter Lindbergh’s Lebenswerk
Der Mann, der selbst Vincent van Gogh als sein Vorbild nannte, hat es geschafft, bereits zu Lebzeiten eine Legende zu werden. Aus einfachsten Verhältnissen gekommen, hat er sich hochgearbeitet. Hochgearbeitet bis in den Zenit der Fotografie. Die großen Modezeitschriften der Welt haben sich die Finger nach seinen Kunstwerken geleckt. Es gibt kaum einen Filmstar, den er nicht vor der Linse hatte. Und bei den Supermodels ist es noch anders: Ohne Lindbergh gäbe es diese Kategorie vermutlich bis heute nicht. Mit seinen Fotos hat er Geschichte geschrieben. Die Zeitlosigkeit seiner Bilder wurde stets über das dominierende schwarz-weiss in Szene gesetzt – und wird lange über seinen Tod hinaus dafür sorgen, dass seine Kunstwerke weiter an Bekanntheit gewinnen.
Wer ist dieser Peter Lindbergh?
Wer sich näher mit Peter Brodbeck (so sein bürgerlicher Name) beschäftigen möchte, hat dazu unzählige Möglichkeiten. Seine Bücher sind weltweit verfügbar (und seit seinem Tod nicht günstiger geworden). Auf Youtube gibt es Interviews mit dem Mann, der seine Kunstwerke zeitweise mit “Sultan” signierte. In der Presse hat er -neben unzähligen Auftritten in Modemagazinen- auch zahlreiche Aufschläge gemacht. Zuletzt mit dem Schlagerstar Helene Fischer.
Peter Lindbergh war selbst nie elegant. Irgendwie anders, als man sich einen Modefotografen mit internationalen Kunden vorstellt. Mit einer Brille wie Steve Jobs und einem jugendlichen Lächeln wie Eros Ramazzotti. Doch das war es nicht, was das internationale Modebusiness auf ihn aufmerksam machte.
Er war einfach anders. Und so kreativ! Kaum hatte Marie Claire Frankreich bei ihm in Deutschland angerufen, entschied er sich, selbst nach Paris zu ziehen. Es war seine Energie und seine Hoffnung, die ihn und seine Aura erstrahlte und ihm zu neuen Fotos verhalf, die die Modebranche bis dahin nicht kannte.
Astrid
Seine erste Frau, Astrid, berichtet in Women’s Stories über den Weg von Duisburg nach Paris und ersten Erfolge. Sie diente ihm als Muse auf seinen Reisen. Mit Fotos von ihr und aus dem Familienalbum startete seine internationale Karriere. Sie berichtet im Film, wie glücklich Peter war und sehr sich dieses Glück auf ihr Leben übertragen hat.
Storytelling
In Astrid’s Augen ist jedes Bild, das er jemals geschossen hat, ein Teil einer Story. Ob in Paris oder New York geschossen, spielte eine untergeordnete Rolle. Stets band er seine Models in die Umwelt ein und zeigte sie “auf dem Weg”. Seine Models waren in Bewegung, wenn er sie fotografierte und er selbst auch. Selbst zu Zeiten, als es weder einen Autofokus, noch einen intelligenten Verfolger-Autofokus gab, war er stets in Bewegung.
Darum sind die Kunstwerke, die am meisten von seinem Herz und seinem Denken zeigen, stets draußen entstanden. Natürlich hat er auch im Studio gearbeitet, aber Peter war es, der meist erst einen spannenden Hintergrund identifizierte und dann seine Models in Szene setze. Bildkomposition war die Essenz seiner Arbeit. Ohne konkrete Idee, startete er kein Shooting.
Der Clown
Der Film Women’s Stories zeigt immer wieder in kleinen Ausschnitten, dass Peter seinen Models niemals vormachte, wie sie sich selbst hinstellen sollten. Im Gegenteil: Er lies es einfach passieren. Und damit es passierte, zückte er nicht davor zurück, sich selbst (sogar vor Supermodels) zum Clown zu machen, sie zum Lachen zu bringen oder sie auch anzuschnautzen, wenn sie schon wieder zu spät kamen und das Licht nicht mehr so war, wie er es sich ausgesucht hatte.
Die Supermodels
Natürlich dürfen die Supermodels in Women’s Stories auch selbst zu Wort kommen. Auch sie berichten, dass es Peter Lindbergh nie um das perfekte (gestellte) Foto ging, sondern er aus der Bewegung heraus etwas Besonderes schaffen wollte. So durften seine Models für ihn tanzen – notfalls auch im Regen. Mit Witz und Charme, ja sogar mit einem Kopfsprung in den Pool schafft er es, Naomi Campbell in den Pool zu bringen, obwohl sie nicht schwimmen konnte und offenbar richtig Angst hatte, das Wasser zu betreten. Und als sie selbst über sich lachen muss, schießt er (selbst im Pool stehend) ein Bild, das um die Welt ging.
Ein Spielfilm? Eine Dokumentation?
Auch wenn Women’s Stories in den Kinos zu sehen war, ist der Film weder ein Spielfilm, noch eine Dokumentation. Er passt irgendwie in kein Genre. Die Perspektive des Films wechselst ständig und am Ende zeigt er die Mannigfaltigkeit seiner Kreativität und die ständige Bewegung, in der er selbst gefangen ist und die dazu führt, was ihn auch auszeichnet: Seine Kamera ist -wenn das Set steht- für Minuten auf Dauerfeuer und es wird transparent, dass er in wenigen Minuten soviele Kalorien verbrennen konnte, wie seine Models vermutlich über den ganzen Tag nicht zu sich genommen haben.
Die Skizzen
Immer wieder tauchen in diesem Film kleine (zumeist DIN A5 große) Notizblöcke auf. Dort hat er nicht nur Ideen gesammelt, sondern Sets gezeichnet und so seinen Helfern in Bildern Anweisungen geben können. Geplant, aber doch frei ging er an seine Shootings heran.
Die italienische Vogue
Eine Schlüsselfunktion in seiner Karriere hatte die italienische Vogue. Die Vogue hat ihm Freiräume gegeben, bei denen er seiner Phantasie freien Lauf lassen konnte. Herausgekommen sind ikonische Werke, die einfach ganz anders anders waren, als andere Modeaufnahmen. Das hat seinen Ausnahmestatus geprägt und ihm auch in anderen Projekten Freiräume geschaffen, die ihm sonst vermutlich gefehlt hätten. So haben seine Fotos stets einen Reportagecharakter und befreien ihn von statischen Aufnahmen, die auch andere Fotografen hätten machen können.
Jetzt überall verfügbar
Nachdem die Phase der Kinovorführung vorbei ist, ist nun – quasi auf den Tag genau an seinem Tod – der Film käuflich erwerbbar. Ob als Download oder DVD.
Fazit
Der Film über Peter Lindbergh hätte wohl kaum zu einem besseren Zeitpunkt in den freien Markt kommen. Einen aktuellen Film über sein eigenes Lebenswerk kurz vor dem eigenen Tod fertigzustellen und in die Kinos zu bringen, gelingt nur wenigen. Jean-Michel Vecchiet gelingt es, keine klassische Autobiografie auf Film zu bannen, sondern das Leben und Treiben eines Ausnahmefotografen zu dokumentieren, der die überbordende Lebens- und Schaffensenergie des stets jung gebliebenen “Sultans” zu zeigen, als wäre er ein Mensch, wie du und ich.
Was fehlt, sind die letzten Monate, die zwischen der Erstellung des Filmes und seinem Tod vergangen sind. Wochen mit Helene Fischer und Greta Thunberg. Doch auch dafür gibt es eine Lösung: Nur eine Woche vor seinem Tod gab Peter Lindbergh’s sein letztes Interview. Nicht irgendwem, sondern gegenüber der Vogue. Dem Magazin, das ihn über Jahrzehnte begleitet hat und im stets vertraute. Ein Teil dieses Interviews gibt es hier. Mehr aus diesem Interview mit Alexandra Bondi de Antoni (Executive Editor vogue.de) gibt es in der Podcast-Staffel “Vogue Stories“.
Für wen ist der Film das Richtige?
Machen wir es kurz: Einfach für jeden, der sich für Peter Lindbergh, seine Kunstwerke und sein bewegtes Leben interessiert. Und für jeden, der sich für Peoplefotografie interessiert soundso!
Zitat: Helmut Newton
My job as a portrait photographer is to seduce, amuse and entertain.