Vor uns liegt ein Bildband, auf den wir uns tatsächlich schon lange freut haben. Sauber verpackt in einer typischen Buchverpackung (stabil), umverpackt in edles schwarzes und samtiges Papier. Und dann noch professionell foliert. Schon der erste Eindruck überzeugt und steigert die Vorfreude auf den Bildband „I never knew if you were the storm or the silence„.
2.253 Gramm schwer, schwarz, 307mm hoch und 305mm breit ist „I never knew if you were the storm or the silence“… wie sagt man so schön? Genau: „Quadratisch, praktisch, gut“. Denn der Umschlag ist nicht zu empfindlich für Fingertapsen, fühlt sich hochwertig an und auch Gewicht und Grösse unterstreichen den runden Gesamteindruck.
Luise Lanze & Olaf Korbanek
Bei den meisten unserer Leser macht es „ping“, wenn sie diese Namen lesen. Denn Olaf Korbanek ist vor allem unseren Abonnenten ein Begriff. Olaf haben wir in Ausgabe 11 vorgestellt. Doch nicht nur ihn: Auch dort hat Olaf über seiner Zusammenarbeit mit Luise berichtet und für unsere Leser im ausführlichen Interview die eine oder andere Überraschung geliefert.
Luise und Olaf arbeiten seit gut drei Jahren intensiv zusammen und haben schon früh gemerkt, dass ihre Interessen und Entwicklungswünsche nahezu deckungsgleich sind. Im Laufe der Zeit ist somit eine vertrauensvolle und wertschätzend kreative Zusammenarbeit entstanden, die man in den Bildern sieht und spürt, wenn man die beiden trifft. Beide arbeiten natürlich auch mit anderen Menschen zusammen. Aber der Hauptfokus lag für beide in den letzten beiden Jahren in der Erstellung des Bildbandes, in den mehr als 2.500 Stunden Arbeit geflossen sind.
Schauen wir rein!
„I never knew if you were the storm or the silence“ beginnt in Textform mit dem schon urkomischen Kennenlernen von Olaf und Luise. Eine nette Geschichte, die dem neuen „Leser“ ein gutes Intro darstellt. Alle Abonnenten des SWAN Magazines kennen diese Geschichte grösstenteils schon.
Haptisch fällt das Papier „ins Auge“: Es ist irgendwie anders, als die meisten anderen Papiere von Bildbänden, fühlt sich aber hochwertig an und hat genau die richtige Grammatur für die Grösse des Bildbandes. Wie wir aus erster Hand erfahren konnten, handelt es sich um ein 1.1 Magno Volume Papier mit 170g/m2. Auch zur Bildbearbeitung des Künstlers passt dieses Papier hervorragend. Aber dazu später mehr.
Grafisch orientierte Menschen würden sich sicherlich wünschen, die erste und einzige richtige Textseite hätte rechts und links etwas mehr „Luft zum Atmen“ erhalten. Auch eine zweizeilige Textanordnung würde das Lesen hier tatsächlich vereinfachen, da die Textbreite mit knapp 27 cm Breite schon deutlich grösser ist, als die durchschnittliche Laufweite des Textes auf einer klassischen DIN A4-Hochformat-Seite (die nur rund 20 cm breit ist – also rund 10 cm weniger Laufweite in der Textspalte besitzt). Und eben dieses klassische DIN A4-Format sind wir eben gewohnt…
Kapitellos hinein ins visuelle Vergnügen
Im Gegensatz zu anderen Bildbänden mit dieser beachtlichen Seitenzahl (236 Seiten) besitzt „I never knew if you were the storm or the silence“ keine echten Kapitel. Das verwundert und mag auf den ersten Blick die Sorge wecken, dass man inhaltlich erschlagen werden könnte. Aber dem ist nicht so! Zwei „Features“ sind dafür verantwortlich, die wir auch aus anderen Bildbänden kennen und sich sogar im SWAN Magazine wiederfinden: 1. Zitate und 2. Zusammenhängende Bildserien!
Gerade die Zitate helfen dabei, in unregelmässigen Abständen den „Leseeifer“ zu unterbrechen. „Leseeifer“ klingt etwas etwas vermessen, wenn man sich bewusst macht, das eigentlich nur zwei Seiten echten Text beinhalten. Aber das mit den Zitaten ist tatsächlich irre praktisch.
Denn immer schwirrt über dem Zitat die Frage: „Warum haben Luise und Olaf dieses Zitat ausgewählt? Warum steht es dort und nicht an anderer Stelle? Und was hat es mit den nachfolgenden (oder vorangegangenen) fotografischen Kunstwerken zu tun?“ Denn genau dieser Wortimpuls sorgt dafür, dass die Intensität der Auseinandersetzung mit den einzelnen Motiven nachhaltig gesteigert wird.
Also wagen wir mal eine steile These: „Wer in seinem Bildband eine ausreichende Anzahl an Zitaten einbaut, stellt sicher, dass sich die Lesedauer verdoppelt.“ – Probiert es selbst gerne aus. „I never knew if you were the storm or the silence“ ist genau der richtige Bildband, um genau das persönlich auszuprobieren.
Der erste Eindruck
Luises Blick auf dem ersten Bild schweift weit ab in die Ferne. Sie schaut über den Betrachter hinweg und schnell stellt sich die Frage: Was macht die Dame da? Was ist das für ein Bretterverschlag im Hintergrund? Auch die folgenden sechs Motive können uns diese Frage nicht wirklich beantworten.
Aber schon diese sieben ersten Motive zeigen eins sehr deutlich: Schwarz ist hier die alles dominierende Farbe. Eine leicht düstere Stimmung wird vermittelt – und diese wird deutlich untermalt davon, dass auf fast allen Bildern Luises Körper nur schemenhaft zu erkennen ist. Nur ihr Gesicht ist optimal ausgeleuchtet. Fotografisch betrachtet spielt Olaf hier mit dem Licht und nutzt in dunkler Kulisse die wenigen, vorhandenen Lichtpunkte, um entweder Luises Gesicht auszuleuchten oder aber Hintergrundeffekte ins Bild zu zaubern. Offenblendig versteht sich. Dominantestes Accessoire dieser ersten Serie: Die Baskenmütze auf Luises Kopf. – Überhaupt spielt Kopfbedeckung eine zentrale Rolle in diesem Bildband. Aber dazu kommen wir noch.
Schon nach sieben Bildern kommt der erste Break
Kein Zitat, sondern ein Blatt Papier ganz in schwarz. Was dann folgt ist eine Portraitserie. In der Hauptrolle: Ein Wasserglas. Also ein Accessoire, das Luises Baskenmütze aus der ersten Serie ersetzt (aber natürlich nicht auf dem Kopf getragen wird).
Der engere Bildschnitt macht klar: Neue Serie! Und wieder ist nach sieben Motiven Schluss. Doch diese erste Portraitserie wird unterbrochen. Unterbrochen von einem Zitat. Und das tut dem Bildband gut – und dieser Portraitserie auch. Denn eigentlich ist der Text kein Zitat, sondern eine These: „All the pieces matter“. Und genau das sagt überdeutlich: „Achte auf die Details. Blättere nicht einfach weiter.“
So fallen erst auf den zweiten Blick die kleinen und filigran gestalteten Schachfiguren auf, die irgendwie gar nicht zu der bewusst melancholischen Pose passen wollen. Und genau das ist das Spannungsfeld, das immer wieder in „I never knew if you were the storm or the silence“ als Stilmittel eingesetzt wird. Ja, diese Spannungsfelder sind fast so etwas wie ein roter Faden, der sich durch das ganze Buch hindurchzieht. Mit nur einem Unterschied: Dieser Bildband kennt keine Farbe. Also muss auch der Faden entweder schwarz oder weiss sein… 😉
There is peace even in the storm
…sagt Vincent van Gogh. Und so beginnt mit einem echten Zitat ein neues Kapitel. Sturm und Wind, welcher Fotograf denkt da nicht an das Meer und an eine schroffe Felsküste?
Genau hierhin führt uns die nächste Bildergeschichte. Luise wechselt zwischen langem und kurzem Kleid, zeigt mal mehr Bein, mal weniger. Aber immer steht ihre glatte Haut im starken Kontrast zu den schroffen Felsen im Hintergrund und zeigen auf, wie verletzlich, zerbrechlich und endlich wir Menschen im direkten Vergleich zu Stein doch sind.
Doch „glatte Haut“ darf hier keineswegs mit dem porzellanartigen Finish von Käthe-Kruse-Puppen verwechselt werden. Luise besitzt makellose Haut, aber auch darum geht es hier nicht. Die Bildbearbeitung ist einfach auffallend natürlich. Fast ungewohnt in der Peoplefotografie, in der sich viele Fotografen eher an Hochglanzmagazinen, denn an der Realität orientieren.
Olaf tut das nicht. Er schenkt dem Bildband damit Authentizität und rückt ihn weg von einem Modelkatalog. Und das tut „I never knew if you were the storm or the silence“ tatsächlich gut – und lädt zur Nachahmung ein.
Ein kleiner Text, ein neues Kapitel
Auch wenn es kein Inhaltsverzeichnis gibt, beginnt mit dem nächsten „Textbaustein“ ein neues Kapitel. Nach viel Licht am Strand erwartet uns nun viel Schwarz. Und kaum noch Licht.
Schon nach so wenigen in sich geschlossenen Bildstrecken wird dem Leser eins klar: Man muss nur genau hinsehen, um die einzelnen Kapitel zu entdecken.
Uns als Betrachter stellt sich erstmals die Frage: „Ist es eigentlich gut, schlecht oder einfach nur hilfreich, auf das Inhaltsverzeichnis zu verzichten?“ Wir sinnieren darüber eine Weile nach und kommen zu folgendem Zwischenergebnis: Im Inhaltsverzeichnis die gleichen Texte aufzulisten, wie die, die hier zwischen den Kapiteln eingebaut sind, wäre redundant.
Ein Inhaltsverzeichnis würde also nur dann einen Mehrwert stiften, wenn darin z.B. die Orte namentlich genannt wären, wo die jeweiligen Serien entstanden sind.
Bis zu dieser Stelle des Bildbandes wäre dies tatsächlich abwechslungsreich und spannend, weil sich immer wieder die Frage aufdrängt, wo die Serie denn nun spielt. Doch spinnen wir diesen Ansatz einmal weiter: Ist eine Ortsangabe tatsächlich ein Mehrwert? Oder wäre eine Ortsangabe nur für denjenigen Künstler von Wert, die am gleichen Ort mit anderem Model die gleichen Bilder nachstellen wollen?
Ergo: Es ist gut, dass es keine Agenda gibt und dass wir selbst entdecken, vermuten und raten dürfen. Wir tippen jedenfalls auf die Bretagne… als Kulisse für die Meer-Serien. Und Ihr?
Von sinnlich nach barock
Ja, die letzte Serie war dunkel und sinnlich. Mit typischen Modelposen bestückt, aber eben auch mit solchen, die einfach typisch Luise sind. Diesen angestrengten und bewusst pessimistisch dreinblickenden Blick… er ist einfach ihr Markenzeichen! So oft gesehen und doch immer wieder anders!
Doch die nun folgende, nächste Serie wird zur Abwechslung nicht durch „mehr Licht“ abgegrenzt von ihrem Vorgänger, sondern durch andere Kleidung. Denn als wir mitten in der zuvor skizzierten Serie umblättern, wandert unser Blick (für uns völlig überraschend) auf Luises Kleidung. In mittelalterlichen Gewändern und mit einem Schwert in der Hand sitzt sie nun vor uns. Ein harter Cut.
Und obwohl wir es nicht sicher wissen, fühlen wir uns direkt zurückversetzt in das Interview von Ausgabe 11. Dort berichtet Olaf über „sein neues Schwert“ und den rein fotografischen Einsatzzweck.
Kleidung, Posen und Accessoires spannen einen Bogen zwischen dem echten Mittelalter und modernen Online-Games, die ebenfalls oft Anleihen an typisch mittelalterlicher Kleidung nehmen und mit Hilfe besonderer „Zutaten“ für Aufsehen sorgen. So bekommt diese Serie eine besondere Bedeutung. Eben weil diese Form der Kostümierung in der Peoplefotografie in Schwarzweiss eine untergeordnete Rolle spielt (Cosplay wird überwiegend in Farbe fotografiert und davon sind wir hier weit entfernt).
Die Länge dieser Serie unterstreicht, wie wichtig den beiden Künstlern dieses Bildbandes diese Epoche ist. In Ausgabe 11 sprachen wir schon darüber, deswegen fassen wir uns hier dazu bewusst kurz.
Antoine de Saint-Exupery
Mit einem Zitat aus „Der kleine Prinz“ beginnt die nächste Bildergeschichte. Und auch sie nimmt uns mit an einen Ort, der mit dem ritterlichen Ambiente der letzten Bildstrecke rein gar nichts zu tun hat. Dieses Mal geht es um Sinnlichkeit! Das wird auf dem ersten Bild schon klar.
Luise lehnt mit gesenktem Haupt vor einem altertümlichen Spiegel. Sie selbst ist dabei nur mit einem Nachthemd bekleidet, welches von Stil, Design und Stoff ein wenig wie aus vergangenen Jahrzehnten ausschaut. Schlichtes Weiss. Kein Muster, keine Blumen. Reduce to the max!
Die Knotung des Nachthemds auf ihrem stark konturierten Rücken lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers auf den Betrachter. Und wo andere Fotokünstler bewusst verdeckt, versteckt oder offenherzig eine Brustwarze herausgucken lassen, verzichten die Beiden auf dieses klassische Bildelement und geben stattdessen der Knotung und dem Spiegel eine besondere Bedeutung im Bild.
Eben dieser Bruch mit vermeintlichen Regeln der Fotografie hebt „I never knew if you were the storm or the silence“ unter anderen Publikationen heraus und gibt ihm ein Alleinstellungsmerkmal, das man erst einmal entdecken muss, um es zu realisieren.
Als wären die Zitate so schnell schon ausgegangen…
…stossen wir auf eine Besonderheit: Kein Text oder gar kein Farbwechsel. Stattdessen stossen wir auf ein Bild von Luises Hand. Erstmals trägt ein Bild ein Passepartout. Und erstmals wird das Passepartout von einem dünnen schwarzen Rahmen eingefasst. Ein Motiv, dass irgendwie Wandschmuck sein will. Ein Motiv, das grafische Stilelemente besitzt, die in dem sonst so stringent durchgestylten Bildband jedoch nicht wieder auftauchen.
So wirkt die Seite wie ein Fremdkörper. Klar, auch mit einem solchen Designbruch könnte man ein neues Kapitel eröffnen und für Aufmerksamkeit sorgen. Doch es ist kein neues Kapitel. Trotzdem lenken Passepartout und Rahmen hier vom eigentlichen Motiv ab: Den Händen. Und die spielen bei Luise stets eine grosse Bedeutung. Und was die Hände Luise bedeuten, das weiss ein jeder, der einmal selbst mit ihr sprechen (äh gestikulieren) durfte… 😉
Nach einem bis hierhin extrem spannenden und abwechslungsreichen Bildband kommen wir hier über diesen Störfaktor auf dieser Seite aus irgendeinem Grund nicht hinweg. Irgendwie wirkt diese Seite wie ein Überbleibsel aus einem frühen Designentwurf. Und genau das schenkt dem (im direkten Vergleich zu anderen fotografischen Kunstwerken) viel zu belanglosen Motiv deutlich zu viel Aufmerksamkeit. Klar, das ist kein Fehler und kann durchaus eine bewusste Entscheidung gewesen sein. Doch diese Seite bereichert den Bildband nicht. Auch nicht bei nochmaligem Lesen.
Im Kloster
Auf den nun folgenden drei Bildern trägt Luise ein weisses Tuch auf dem Kopf. Nonnenhaft wirkt sie. Aber diese eine Fotostory erschliesst sich uns nicht: Die Posen passen nicht zu dem typischen Bild, das wir landläufig von einer Ordensschwester oder Nonne haben. Zu kurz ist die Strecke, zu wenig abwechslungsreich, um einen solchen Spannungsbogen aufbauen zu können, wie es den Fotostories davor problemlos gelungen ist.
Doch es ist weder unsere Aufgabe, noch unser Ziel, hier zu kritisieren. Im Gegenteil: Wir arbeiten diesen Aspekt heraus, weil ohne ihn gar nicht transparent würde, auf welch hohem Niveau die anderen Strecken des Bildbandes doch angesiedelt sind. Und so bekommt selbst diese kurze Nonnen-Strecke doch wieder etwas Positives: Sie ersetzt leere schwarze oder weisse Seiten im Buch stellt die Frage: „And what comes next?“
Peter Lindbergh
Die nun folgende Strecke ist ganz grosses Kino. Obwohl das eine oder andere Motiv mit dem schroffen Felsen im Hintergrund eine gewisse Wiederholung beinhaltet, zeigt die Strecke sehr deutlich, von wem sie inspiriert wurde. Einsam am Strand stehende Stühle, im Hintergrund platzierte Studiohintergründe vor gewaltiger Naturkulisse und am Bildrand hineinragende Stativbeine zeigen überdeutlich, wo hier die Inspirationsquelle zu suchen ist.
Doch Vorsicht: Hier handelt es sich nicht um eine weitere Kopie von Peter Lindbergh’s allseits beliebten Strandfotos. Nein, hier gibt es Anleihen an den Grossmeister der Peoplefotografie, die von Luise ganz anders pointiert werden, als man dies aus der letzten Ausstellungsserie von Peter Lindbergh kennt. Abermals zeigen die beiden Künstler auf, wie man mit Kleidung und Accessoires für Abwechslung und Aufmerksamkeit sorgen kann. Hier sind es zum Beispiel die eher maskulinen Bikerstiefel, die irgendwie im Kontrast zu einem schlichten weissen Kleid stehen, welches durchaus als Hochzeitskleid durchgehen könnte.
Über die Seiten wird klar, was wir schon oben herausgearbeitet haben: Luises Hände sind wesentliche Instrumente um sich selbst auszudrücken. Wenn sie spricht – aber auch, wenn sie vor der Kamera posiert. Ein weiteres Markenzeichen. Denn wo viele andere Modelle sich schwertun, ihre Hände irgendwie sinnvoll einzusetzen, fällt es Luise sichtbar leicht. Tägliches Alltagstraining eben…
Fashion Photography
Die nächste Bildstrecke besteht aus nur fünf Motiven und zeigt Luise erneut in anderem Licht. Moderner Schmuck, ein vermutlich rotes Kleid und deutlich stärkere Schminke entführen uns in den Bereich der Fashion Photography. Wehende Tücher nehmen eine zentrale Rolle ein – und drängen den Ort der Kulisse weit in den Hintergrund der Wahrnehmung.
Spätestens hier wird dem Leser deutlich: Licht und Schatten, aber genauso auch Kleidung und Accessoires sind hier die zentralen Bildelemente, die jede einzelne Bildstrecke deutlich voneinander abheben. Der gemeinsame Nenner: Luise Lanze als Motiv und Olaf Korbanek als Fotograf!
Ein weiterer wesentlicher Bestandteil (aber darüber muss man erst eine Weile nachdenken, bis man es begreift) sind die sehr stetige, stringente und sehr dezente Bildbearbeitung. Diese arbeitet zwar sehr viel mit tiefem Schwarz, aber sie ist auch nicht zu kontrastreich.
Das Titelbild
Nach rund vier Siebtel des Buches stossen wir auf das Titelmotiv des Bildbandes. Erst hier fällt uns auf, wie krass Luises rechte Hand auf diesem Bild doch abgewinkelt ist. Spontan versuchen wir diese „Handpose“ zu imitieren – und scheitern kläglich… 😉
Obwohl Luises Hände das nächste Kapitel einläuten, stehen eben diese Hände gar nicht im Vordergrund der nächsten Bildstrecke. Stattdessen fühlen wir uns erinnert an alte Märchen, in denen hübsche Mädchen in dunklen Brunnen ihr Schattendasein fristen und auf Frosch oder Prinz warten… Melancholie herrscht hier vor. Und bei jedem einzelnen Motiv stellt sich erneut die Frage, wo um Himmels Willen diese Motive fotografiert wurden.
Wieder sind es auch Accessoires, die ganz besonders um die Aufmerksamkeit des Lesers buhlen. Doch dieses Mal sind eben diese Accessoires nun Steine, Wurzeln und Moos. Zur Abwechslung also einmal nicht das extra eingekaufte Kleidungsstück – sondern stattdessen Natur pur.
Nicht kapitelweise vorstellen
Bis hierhin haben wir knapp die Hälfte von „I never knew if you were the storm or the silence“ in Worten vorgestellt und haben Dich, lieber Leser, mit auf eine fotografische Reise genommen. Im Prinzip geht dieser Bildband genau nach diesem Prinzip weiter. Aber er überrascht immer wieder und langweilt tatsächlich nie.
Letzteres ist auf 236 Seiten ohne nennenswerten Text tatsächlich eine Herausforderung. Und noch lange nicht jeder Herausgeber eines Bildbandes hat gegen die drohende Langeweile gewonnen. Denn eins sollten wir uns hier noch einmal bewusst machen: Wir sprechen hier über eine Monographie! Ein Fotograf, ein Model! Keine Best-of eines Fotografen, der aus 20 Jahren seine besten Werke mit 50 verschiedenen Modellen zeigt.
Monographie?
Monographie? Nur fast! Denn in der zweiten Hälfte des Bildbandes findet plötzlich (unvorhersehbar) ein Rollentausch statt. Mehr noch: Plötzlich stehen Olaf und Luise gemeinsam vor der Kamera! Ungeachtet davon, ob dem jeweiligen Betrachter diese Motive besonders gut gefallen oder nicht: Die schaffen an dieser Stelle eine unendliche Aufmerksamkeit. Ein Stilmittel das rockt!
Was fällt uns auf?
Viele Bildbände wollen eine in sich abgeschlossene Geschichte erzählen. Die einzelnen Bildstrecken passen entweder inhaltlich zusammen oder bauen aufeinander auf. Hier in „I never knew if you were the storm or the silence“ ist es irgendwie anders. Und genau das macht den Reiz dieses Bildbandes aus.
Hier werden klassische und teilweise schon gesehene Motive bewusst adaptiert und rund um Luise neu arrangiert. Auch wenn auf einzelnen Bildern oder kleinen Strecken die Inspirationsquelle irgendwie doch deutlich wird, so wirkt kein Motiv wie eine Kopie! Ganz im Gegenteil: Wenn überhaupt Parallelen da sind, dann wird genau an diesen Stellen die bewusste Differenzierung überdeutlich sichtbar.
Die Botschaft zwischen den Zeilen
Wir haben lange überlegt, wie wir diesen Bildband mit nur einem Absatz oder (noch besser) mit nur einem Satz treffend beschreiben könnten. Aber wir sind gescheitert! Zu vielfältig ist der Inhalt, zu abwechslungsreich die Motive, zu spannend die einzelnen Geschichten.
Man muss schon zwischen die Zeilen dieses Bildbandes schauen, um die wahre Botschaft mitzunehmen. Und auch die passt eher in drei Sätze, als in einen. Die drei Sätze, die „I never knew if you were the storm or the silence“ in unseren Augen am Besten beschreiben, sind folgende – und es lohnt sich, über jeden einzelnen davon nachzudenken:
- Wenn du nicht einfach mit deinem Model rausgehst und dich spontan treiben lässt, sondern stattdessen im Vorfeld eine Idee entwickelst und diese mit bewusst ausgewählten Zutaten garnierst, dann wird selbst eine umfangreiche Monographie niemals langweilig.
- Scheue dich als Fotograf nie davor, mit einem Model eine mehrjährige und projektorientierte strategische Partnerschaft einzugehen, denn Deine Bilder werden vom gegenseitigen Vertrauen profitieren. Du lernst mehr Facetten eines Menschen kennen und er schenkt dir viel mehr von sich selbst, als wenn du ständig das Model wechselst und eigentlich immer das Gleiche tust (gleiches gilt natürlich auch für Fotomodelle).
- Gib die Regie ab! Übergib zwischendurch deinem Protagonisten das Zepter und setze dich selbst auf den Beifahrersitz. Lasse dich entführen und lasse dich darauf ein, was dich erwartet. Es wird ungewohnt und anders sein, aber nur so lernst du Neues kennen.
Was ist dieser Bildband dann?
Motivation und Inspiration! Kürzer und treffender kann man es vermutlich nicht sagen. „I never knew if you were the storm or the silence“ motiviert dazu, neue Wege zu gehen und nicht aufzuhören, wenn es mal nicht weitergeht. Zugleich ist er eine schier nicht endende Inspirationsquelle für Fotografen und Modelle, die den Mut besitzen, bekanntes Fahrwasser zu verlassen.
Doch allem voran ist dieser Bildband die Aufforderung, aktiv mit Kleidung, Accessoires, verschiedenen Locations und vor allem wechselndem Licht zu spielen.
Leider ist dieser Bildband zu gross, zu schwer und zu unhandlich, um ihn regelmässig mitzunehmen. Aber eigentlich… also ganz eigentlich… sollte man ihn zweimal kaufen: Einmal für die eigene Bildbandsammlung, weil es kaum ein Werk gibt, dass dieses Niveau erreicht. Und ein zweites Exemplar für’s Auto. Eins, das immer neben der Kameratasche im Kofferraum steckt. Oder noch besser: In einem riesigen Koffer voller Accessoires, damit man nie (aber auch wirklich nie!) in die Verlegenheit kommt, schon wieder das gleiche Motiv abzulichten, sondern stets Inspiration genug zur Hand hat, mal wieder komplett neu und anders zu denken.
Was macht „I never knew if you were the storm or the silence“ so besonders?
Es ist die Tiefe, die ein jeder Betrachter immer und immer wieder in den Motiven dieses Bildbandes entdecken wird. Es ist der Ideenreichtum, der (wie wir seit dem Interview in Ausgabe 11 wissen) nicht einem einzigen kreativen Geist entsprungen ist. Luises Ideen sind bei Olaf auf fruchtbaren Boden gefallen, Olafs Ideen bei Luise ebenso.
Vielleicht ist es ein wenig so, wie zwei gute Freundinnen, die auf einer Party ein Gläschen Sekt nach dem anderen trinken und sich immer besser verstehen, gemeinsam laut lachen, Spass haben und so neue Pläne und Ideen schmieden, die sie schon bald in die Tat umsetzen wollen. In vollem Vertrauen darauf, dass sie die jeweils andere Freundin nicht auslacht, sondern jede anfangs verrückte Idee einfach mal mitmacht, um zu schauen, ob sie gelingt.
Wovor haben wir keine Angst?
Dass Luise und Olaf die Ideen ausgehen! – Wir haben schon so oft von Fotokünstlern Sätze wie „und irgendwann hast du einfach alles fotografiert, da willst du auch mal was Neues machen“ gehört. Nein, dieser Bildband beweist, dass man kein anderes Model braucht, sondern man einfach vom ersten Tag an nicht in Alltagstrott verfallen darf und die Bereitschaft braucht, ständig und immer wieder alles neu machen zu wollen.
Mut und Neugierde sind die Schlüssel zu Abwechslung und gegenseitiger Inspiration. Das beweist „I never knew if you were the storm or the silence“ mehr als eindrucksvoll. Und wir freuen uns sehr, dass wir mit dieser Einschätzung ganz so falsch gar nicht liegen können: Denn schon das Posting des Buchtitels auf Instagram hat regelrechte Kommentarstürme ausgelöst. Und tatsächlich niemand hat den Kauf bereut…
Worüber haben wir uns ganz besonders gefreut?
Nun, das sind zwei Dinge: Zum einen, dass Luise und Olaf die Idee des gemeinsamen Bildbands trotz aller Widrigkeiten aufrechterhalten haben und daran weitergearbeitet haben, wie in Ausgabe 11 versprochen. Und dann natürlich, dass die beiden Motive, die Olaf auf der PHOTO POPUP FAIR in Düsseldorf an der SWAN Wall gezeigt hat, beide auch in „I never knew if you were the storm or the silence“ zu sehen sind. – Denn diese beiden Motive sind in streng limitierter Auflage (aber nur so lange der Vorrat reicht!) bei Olaf auch käuflich zu erwerben.
Welches Motiv gefällt uns am Besten?
Da sich über Geschmack so herrlich streiten lässt, ist dies immer die schwierigste Frage. Wir haben den Bildband mehrfach durchgearbeitet, bevor wir mit dieser Rezension begonnen haben. Und immer war es das gleiche Motiv, dass uns ganz besonders lange dazu eingeladen hat, nicht weiterzublättern. Für uns ist es ein Motiv, das in „I never knew if you were the storm or the silence“ vor allem deswegen auffällt, weil es beide Buchseiten ausfüllt und somit kein konkurrierendes Motiv neben sich „ertragen muss“. Es zeigt Luise mit nachdenklichem Blick vor einer schroffen Steinkulisse, die in der Unschärfe des Hintergrundes verschwindet. Ihr rechter Ellenbogen stützt sich auf ihr Knie und davor steht ein offener Koffer.
Das Motiv lebt von den drei Bildebenen: Koffer, Luise und Steinfeld. In diesem 2:1-Format besitzt das Bild eine besonders starke Ausstrahlungskraft und würde sich wunderbar dazu eignen, grossformatig hinter einer Couch oder neben einem langen Esstisch zu hängen.
Doch es konkurriert in unseren Augen stark mit einem der wenigen Motive, auf denen Olaf und Luise gemeinsam zu sehen sind. Auch unser Favorit No. 2 ist im 2:1-Format beschnitten, zeigt aber beide Künstler: Luise rauchend im Auto und Olaf davor auf dem Autodach lehnend.
Dieses Bild steht sinnbildlich für die Nähe der Beiden. Es zeigt aber auch Abstand genug, um die gegenseitige Bereicherung durch die Unterschiedlichkeit der beiden Künstler zu unterstreichen. Ein irres Spannungsfeld, das irgendwo zwischen den beiden Extremen aus „Distanz“ und „Vertrauen“ hin- und herzurasen scheint. Und so ist es für uns das Motiv, das den Titel dieses Bildbandes am besten transportiert: „I never knew if you were the storm or the silence„.
Was hat uns nicht gefallen?
Zugegeben, es ist Kritik auf höchstem Niveau. Aber es ist uns aufgefallen.
Wir begrüssen natürlich, dass „Luise Lanze & Olaf Korbanek“ auf dem Buchrücken steht. Aber wo ist der Name des Bildbandes? Okay, man könnte sagen, dass dies der einzige Bildband ist, den die beiden Fotoenthusiasten zusammen auf die Beine gestellt haben. Doch was, wenn sie sich in zwei Jahren anders entscheiden? Steht dann auf dem Buchrücken „Luise Lanze & Olaf Korbanek 2“? Oder steht dann der Namen des Bildbandes mit drauf? Anyway. Kritik auf hohem Niveau. Aber vielleicht ein kleiner Impuls für potentielle Nachahmer…
Über das eine gerahmte Bild (s.o.) schauen wir nach einem solchen Feuerwerk an unterschiedlichen Motiven gerne hinweg. Aber eine Kleinigkeit ist uns noch aufgefallen: Ebenfalls nur ein einziges Mal gibt es eine Seite, auf der zwölf recht ähnliche Fotografien im Handy-Bildschirm-Format gezeigt werden. Kann man machen – und machen auch grosse Meister.
Doch wer ehrlich ist, entdeckt hier keinen Mehrwert, sondern eher eine Seite, die dazu einlädt tendenziell schneller zu blättern. Warum? Nun, wenn einem Motiv plötzlich nur ein Zwölftel der Bildfläche zur Verfügung gestellt wird, die andere Bilder durchschnittlich erhalten, dann kann jedes einzelne davon doch nicht so wichtig sein. Oder?
Ein trojanisches Pferd?
So bleibt am Schluss eine grosse Frage unbeantwortet: Der Bildband endet ganz dezent mit drei grauen Punkten.
Ein versteckter Hinweis, dass es doch schon bald einen „Luise Lanze & Olaf Korbanek 2“ geben könnte?
Das mag sein. Aber das einzige Bild, das hinter diesen drei Punkten noch kommt, zeigt eine Dame, die zwar ebenso markante Wangenknochen besitzt, wie Luise, aber irgendwie wollen wir nicht glauben, dass es tatsächlich Luise ist… und Olaf’s Frau ist es auch nicht. Doch es ist ganz bewusst so fotografiert, dass es eben doch nicht auszuschliessen ist, dass es Luise sein könnte…
Weisst Du was? Finde es einfach selbst heraus…
Fazit
„I never knew if you were the storm or the silence“ ist ein Meisterwerk. Für ein Erstlingswerk setzt es die Messlatte extrem hoch an. So hoch, dass ein Nachfolger (also ein „Luise Lanze & Olaf Korbanek 2“) es schwer haben wird. So viel haben Olaf und Luise konsequent und konsequent richtig gemacht, wie nur wenige andere.
Im Bezug auf Monographien fällt uns spontan „Louisa“ ein – nicht nur wegen der Ähnlichkeit im Namen. Die Monographie von Hans-Jürgen Oertelt (Ausgabe 06) haben wir in unserer Rezension als „immer neu und immer spannend“ bezeichnet. Und genau das tritt hier auch zu. Mit einem grossen Unterschied: Hier ist es nicht eine Person, die Regieanweisungen gegeben hat, sondern es sind zwei. Zwei Fotobegeisterte, die sich auf einer Reise befinden und sich laufend gegenseitig neu anstacheln, herausfordern und motivieren.
Hier stellt sich nicht die Frage, ob man „I never knew if you were the storm or the silence“ kaufen sollte – oder nicht. Vielmehr stellt sich die oben bereits formulierte These als Kernfrage: Kaufe ich ein Exemplar für meine Bildbandsammlung? Oder kaufe ich zwei Exemplare? Eins für den Kofferraum und die Utensilientasche und eins für zuhause? – Der Bildband ist limitiert. Ein Nachdruck unseres Wissens nicht geplant. Noch gibt es originalverpackte Exemplare. Und wer lieb fragt, bekommt vielleicht auch eine persönliche Widmung…
In einem Wort: Kauftipp!