Heute vor einer Woche haben wir – in Ergänzung zu unserem ausführlichen Interview in Ausgabe 10 -ein paar zusätzliche Einblicke in Fabio’s Lebens-, Denk- und Arbeitsweise geliefert. Heute möchten wir dieses Blog-Interview vervollständigen. Denn letzte Woche haben wir ganz bewusst einige Teile weggelassen, damit der Beitrag nicht zu lang wird. Aber auch, weil Fabio so eine interessante Persönlichkeit ist, dass wir aus dem Gespräch mit ihm problemlos zwei Teile machen können. Und der Leser profitiert doppelt: Neben zusätzlichen Informationen gibt es hier nämlich weitere Kunstwerke von ihm zu sehen. Zusammen mit Ausgabe 10 ein tolles Profil, das sich wie drei Bausteine inhaltlich sinnvoll zusammensetzt. Viel Freude bei der Lektüre.
SWAN Magazine: Fabio, heute öffnet die PhotoPopupFair zum siebten Male ihre Pforten. Nach acht Monaten Wartezeit können endlich Fotokunstwerke gezeigt werden, die schon lange auf Besucher warten. Du bist dieses Jahr zum vierten Male mit als Künstler im stilwerk vertreten. Berichte doch einmal, was das Spannende an der PhotoPopupFair ist.
Fabio Borquez: Ich habe Wolf Sohn vor rund neun Jahren kennengelernt und heute sind wir gut befreundet. Ich war vom ersten Tag an total fasziniert von dieser besonderen Veranstaltungsart. Einer Mischung aus Ausstellung, Messe und Eventkonzept, bei der man viele spannende Menschen treffen und auch kennenlernen kann. Künstler und Gäste sind sehr vielfältig. Das Spektrum ist breit und wenig elitär. Das macht Kunst nahbar. Einfach faszinierend. Deswegen freue ich mich total, dass Wolf Sohn dieses Konzept immer weiter optimiert hat. Zugleich freue ich mich, wie ehrgeizig er dieses Projekt angeht. Auch dieses Mal bin ich wieder gespannt auf die Reaktionen des Publikums. Ganz besonders in diesem Jahr, wo lange Zeit Veranstaltungen dieser Art nicht möglich waren. Jetzt ist es soweit, dieses gemeinsame Gefühl wieder zu beginnen und den Menschen Kultur zurückzugeben.

SWAN Magazine: Wir wissen, dass Du nicht nur als Künstler tolle grossformatige Bilder in Düsseldorf ausstellst, sondern auch einer derjenigen Aussteller bist, die mit Abstand am häufigsten persönlich auf der Messe zugegen sein werden. Über Motivation und Hintergründe dazu haben wir in Ausgabe 10 berichtet. Dort werden wir uns ganz sicher treffen – darauf freuen wir uns schon! Deswegen lass uns hier gleich zum nächsten Thema springen: Im Moment gibt es zahlreiche Anbieter im Internet, die Fotos verstorbener Künstler zum Kauf anbieten. Wie stehst Du dazu?
Fabio Borquez: Das ist in meinen Augen fast Betrug. Da hat eine Firma Negative gekauft und wittert das grosse Geschäft in der Massenproduktion. Und es ändert sich auch nichts, wenn hinten ein Stempel und ein Echtheitszertifikat drauf ist. Die Massenproduktion nimmt dem Bild die Eigenschaft als Kunstobjekt. Genau deswegen limitiere ich meine Auflagen sehr konsequent. Genau das soll mit meinen Fotos nicht passieren. Und vor allen Dingen sollen an meiner Arbeit nicht fremde Firmen Gewinn machen. Von meiner Arbeit darf gerne meine Familie profitieren. Zu Lebzeiten und auch nach meinem Tod.
SWAN Magazine: Bei Verkauf von Fotokunstwerken geht es Dir also auch darum, dem Käufer etwas Besonderes mit nach Hause zu geben. Auf welche Details achtest Du noch?
Fabio Borquez: Ich lege Wert darauf, meinen Kunden bei mir zuhause die verschiedenen Papierarten zeigen zu können. Ich nutze verschiedene Papiere und kann auch erklären, welches Papier ich für welchen Einsatzzweck nutze. Ich habe auch Beispiele da, die zeigen, wie ein Bild mit und ohne Rahmen wirkt. Und ich habe auch normales Glas für den Bilderrahmen und entspiegeltes Museumsglas hier bei mir. Meine Kunden sollten ja erleben, warum ich diese oder jene Entscheidung treffe und ich möchte zeigen können, was ich empfehle. Das ist mein Business und es ist meine Aufgabe, meine Kunden optimal zu beraten. Bei mir kauft man schliesslich Bilder und nicht Dateien.
SWAN Magazine: Wie bist Du auf solche „verkaufsfördernden Massnahmen“ gekommen?
Fabio Borquez: Ich habe viel mit Galerien zusammengearbeitet. In jeder Zusammenarbeit habe ich etwas dazugelernt. Und dann habe ich eine Nische für mich entdeckt, die ich laufend perfektioniere. Nämlich immer dann, wenn ich neue Erfahrungen mache. Das heisst aber nicht, dass ich nun nicht mehr mit Galerien zusammenarbeiten würde. Ganz im Gegenteil. Es muss halt passen – wie eine Jeans.

SWAN Magazine: Welche Bildgrössen lassen sich Deiner Meinung nach am Besten verkaufen?
Fabio Borquez: Bei mir funktionieren mittlere Grössen am Besten. Für kleine Fotos oder Postkarten kommt man nun einmal nicht zu mir. Und die ganz grossen Bilder passen leider längst nicht in jede Wohnung. Aber wenn ich von mittlerer Grösse spreche, dann meine ich schon Formate zwischen DIN A1 und 1 x 1,5 Meter. Ich glaube 80 x 120 cm ist mein Bestseller.
SWAN Magazine: Wie würdest Du Deine Kunden beschreiben? Was sind das für Menschen?
Fabio Borquez: Ich habe Kunden, die hängen ein Bild von mir neben eins von einem Amateur. Und ich habe Kunden, die ein Bild von mir neben einem echten Miró aufhängen. Das ist ganz unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen die Neugierde nach etwas Einzigartigem. Aber ich erlebe auch, dass Kunden meine Bilder mit einem Rahmen so verschandeln, dass es mir schlecht wird. Auch damit muss ich leben.
SWAN Magazine: Ist es richtig, wenn ich die These in den Raum stelle, dass Deine gesamte künstlerische Tätigkeit schlussendlich darauf abzielt, Bilder zu verkaufen?
Fabio Borquez: Nein! Der Bildverkauf ist ein Teil von meinem Job. Wäre es nur der Bildverkauf, würde ich ihn optimieren, wie eine Wurstmaschine. Ich mache aber keine Massenproduktion.
Ich begleite ja auch Veränderungsprozesse. So habe ich gerade ein Projekt, wo ich eine Frau dabei fotografisch begleite, wie aus der Frau ein Mann wird. Seit einigen Monaten begleite ich diese Person und der Prozess wird bestimmt noch zwei Jahre dauern. Aber dieses Projekt kann ich niemandem verkaufen. Das ist eher ein Projekt, das mich reizt. Längst nicht alles hat kommerzielle Hintergedanken. Ich denke nicht oft an Geld, sondern sehr oft mache ich Sachen, die mir Spass machen und die mich auch inhaltlich reizen.

SWAN Magazine: Du bist nun seit 20 Jahren in Deutschland und arbeitest seitdem als Fotograf. Gibt es irgendetwas, was Du heute anders machen würdest, wenn Du diese 20 Jahre noch einmal neu angehen könntest?
Fabio Borquez: Nein, ich glaube nicht. Wenn ich etwas gemacht habe, dann habe ich das bewusst entschieden und auch bewusst gemacht. Und ganz klar: Mein Weg war nicht gradlinig, sondern steinig. Aber ich habe an jedem blauen Fleck gelernt und meine Strategie daraufhin optimiert und angepasst. Du weisst ja: Ich bin ein Familienmensch und ich bin gerne bei meiner Frau und meinen Kindern. Ich bin am liebsten zuhause. Manchmal denke ich, dass ich erfolgreicher sein könnte, wenn ich auf jede Vernissage gegangen wäre. Oder wenn ich jede Einladung zu einer Cocktailparty angenommen hätte. Aber… wer weiss das schon? Im Netzwerken bin ich nicht der Beste. Auf Veranstaltungen in Berlin und Hamburg, zu denen ich eingeladen war, bin ich oft nicht hingegangen. Aber so hatte ich Zeit, mich mehr auf meine Arbeit zu konzentrieren und meine Familie hatte auch mehr von mir.
SWAN Magazine: Drehen wir den Spiess mal ein wenig um. Du bist nicht Fabio Borquez, sondern ein junger Fotograf, der gerade erst Fuss fassen will. Sein Name ist noch recht unbekannt und er besitzt weder Millionen an Followern, noch ein eigenes Studio. Wie würdest Du an seiner Stelle die ersten 100 zahlenden Kunden finden?
Fabio Borquez: Wichtig vor allem ist es, die Füsse auf dem Boden zu behalten und die Welt realistisch einzuschätzen. Und dann hilft nur Stetigkeit und Beharrlichkeit. Einen Stil entwickeln und mit einem klaren Profil eine Marke aufbauen.
Um dann die ersten künstlerischen Bilder zu verkaufen, braucht es vor allem ein Portfolio. Die Menschen müssen das Portfolio spannend finden, bevor sie ein einzelnes Foto kaufen. Und man muss ich auch überlegen, was man verkauft. Ob ein künstlerischer Fotograf Postkarten verkaufen sollte, wage ich zu bezweifeln. Aus dem Preisniveau kommt man nie wieder raus und am Bahnhof wird es die Postkarten auch nicht zu kaufen geben.

SWAN Magazine: Der von Dir favorisierte Kamerahersteller stellt ein neues Modell vor, Was tust Du?
Fabio Borquez: Das ist nicht so wichtig für mich. Das bewegt mich auch nicht. Ich glaube, es ist ein deutsches Phänomen, immer über die aktuelle Technik zu sprechen. Für mich ist das nur ein Werkzeug. Ich könnte auch Fotos mit einem Karton und einem Loch machen. Ich nutze ab und an auch meine Zeiss Ikon von 1932. Warum und wofür brauche ich 80 Mio. Megapixel?
Für einen Sportfotografen mag die neue Technik Vorteile bringen. In meinem Business ist das nicht wichtig. Wahrscheinlich gibt es jetzt schon wieder neue Systemkameras, die alles noch viel besser können, als noch vor zwei Jahren. Ich habe mir sowas vor längerer Zeit angeschaut und da war das Sucherbild, das ja heute ein separater Bildschirm ist, einfach zu langsam. Aber ich beobachte das nicht. Meine Kamera muss schnell sein, was den Auslöser angeht. Aber ich brauche keine 30 Bilder pro Sekunde.
SWAN Magazine: Hast Du denn eine Lieblingsbrennweite?
Fabio Borquez: Ja! 85mm. Ich arbeite gerne mit Blende 1.2, aber nicht dauerhaft.
SWAN Magazine: Was meinst Du, an wie vielen Tagen fotografierst Du durchschnittlich pro Jahr?
Fabio Borquez: (Lange Stille) Ich will nicht lügen. Ich würde vermuten an ca. 70 Tagen pro Jahr. Aber das hängt auch davon ab, wo ich mich befinde. Wenn ich im Ausland bin, habe ich laufend die Kamera dabei. Hier zuhause dafür fast nie. Da ist es nur an Tagen mit konkreten Projekten.

SWAN Magazine: In Interviews hört und liest man von Dir, dass Du kein innovativer Fotograf seist, sondern ein klassischer Fotograf. – Das sagst Du immer und immer wieder. Aber was bedeutet das?
Fabio Borquez: Ja, das stimmt. Ich bin ein klassischer Fotograf.
SWAN Magazine: Aber eine klassische Fotografenausbildung hast Du nicht. Wieso nennst Du Dich dann klassischer Fotograf?
Fabio Borquez: Helmut Newton hatte auch keine Fotografenausbildung und ist dennoch ein klassischer Fotograf. Ich möchte damit ausdrücken, dass ich nicht sonderlich experimentell fotografiere. Ich nutze die klassischen Tugenden der Fotografie für meine Projekte und Aufträge. Für mich ist es z.B. wichtig, dass meine Fotos gestochen scharf sind. Es gibt Fotografen, die spielen mit der Schärfe, mit Lichtern und mit Farben. Manchmal arbeite ich auch mit Unschärfen im Vorder- oder Hintergrund. Ich verstecke damit bestimmte Bildelemente, aber ich setze es bewusst ein und nicht bei jedem Bild. Weisst Du, mir sind die ganzen Photoshop-Spielereien nicht so wichtig. Mir ist wichtig, dass meine Kunden meine Bilder anfassen können. Ich möchte aus einer digitalen Datei ein physisches Produkt erstellen. Was bringen mir optimal in Photoshop veredelte Fotos, die nur auf meiner Festplatte liegen?
Ich finde, Fotografie muss eine Seele haben. Es muss immer wieder etwas Neues sein und nicht „immer die gleiche Scheisse“ (sorry, für diese Ausdrucksweise). Deswegen inspirieren mich viele andere Künstler, aber ich kopiere nicht eine bestimmte Art oder einen bestimmten Künstler, sondern ich suche bei den Künstlern nach den verschiedenen Stilen, die sie verwandt haben und überlege, wie ich Teile davon in meine Fotografie übertragen kann. Ich will lernen und nicht anhimmeln.
Ich habe noch eine Geschichte in dem Kontext. Darf ich die erzählen?

SWAN Magazine: Schiess los!
Fabio Borquez: Einmal ist eine ältere Frau zu mir gekommen, die sich von mir nackt abbilden lassen wollte. Da habe ich erstmal gesagt „okay“. Aber mich interessiert immer der Grund für das Foto, damit ich auch die Erwartungen erfüllen kann. Also habe ich mit der Frau gesprochen. Und sie hat mir berichtet, dass sich ihr Freund ein Aktfoto von ihr wünscht. Bis dahin ist die Geschichte vielleicht normal. Doch dann hat sie mir berichtet, dass ihr Freund im Sterben liegt und im Krankenhaus betreut wird. Und da niemand weiss, wie lange er noch leben wird, musste das Shooting zeitnah durchgeführt werden.
Ich fand diese Idee irgendwie skurril. Dass ein Mann ein Aktfoto haben möchte – okay. Aber ich habe an der Stelle an die Frau gedacht: Sie wollte ihrem Freund einen letzten Wunsch erfüllen, musste aber doch die ganze Zeit an ihren Partner denken, der einige Kilometer entfernt im gleichen Moment im Sterben lag. Für ein tolles Foto sind das ganz sicher nicht optimale Rahmenbedingungen. – Denn auch der Mann möchte vermutlich nicht eine traurige Frau auf dem Foto sehen, die mit Zukunftsängsten in die Kamera schaut.
SWAN Magazine: Wie hast Du diese Herausforderung dann gelöst?
Fabio Borquez: Als Fotograf kann ich die Situation, in der ein Mensch gerade lebt, nicht verändern. Ich kann einen positiven Rahmen anbieten – ob der Mensch dazu in der Lage ist, dieses Angebot in einer solch schwierigen Ausgangssituation auch anzunehmen, liegt nicht in meiner Hand. Ich gehe sogar weiter: Eigentlich war dies der Wunsch an einen Fotografen, einen Menschen anders darzustellen, als wir ihn gerade wahrnehmen konnten. Das entspricht aber nicht dem Wesen der Fotografie.
SWAN Magazine: Wie ging es da nun weiter?
Fabio Borquez: Die Dame hat hinter dem Alkohol eine Maske gefunden, mit deren Hilfe sie sich fallen lassen konnte.
SWAN Magazine: Der Begriff „Maske“ passt dann in unseren Augen nicht. „Maske“ hat etwas von „schminken“ und zielt darauf ab, etwas zu sein, was man selbst nicht ist. Ist es nicht vielmehr ein Instrument, um aus der Realität auszubrechen und wieder so sein zu können, wie die Dame vor der lebensbedrohlichen Situation war? – Die Dame wurde doch von der lebensbedrohlichen Situation verändert. Nicht vom Alkohol…
Fabio Borquez: Ja, das trifft es ganz gut. Denn mit ein bisschen Alkohol war sie wirklich ein ganz anderer und sehr lebensfroher Mensch. Und so sind zwei Arten von Fotos entstanden. Lebensfrohe Motive und Bilder, die eine gebrochene und verzweifelte Frau zeigen.

SWAN Magazine: Und welche Bildserie hat die Dame dann schlussendlich genommen?
Fabio Borquez: Sie war sich gleich sicher, dass nur die fröhlichen Aufnahmen in Frage kommen. Die anderen hat sie abgelehnt, weil sie darauf so traurig aussah. Und ich habe zu ihr gesagt: „Aber du bist traurig. Die traurigen Bilder zeigen den Menschen, den ich kennengelernt habe. Die fröhlichen Bilder zeigen eine andere Frau.“ – Genommen hat die Dame dann die traurigen Bilder. Warum? Ihr Freund war zwischenzeitlich verstorben.
SWAN Magazine: Kreativ wäre es gewesen, ihr zu empfehlen, ein trauriges Bild zu nehmen und damit zu einem Steinmetz zu gehen, der aus dem Motiv einen ganz individuellen Grabstein meisselt…
Fabio Borquez: Das bringt mich zu einem anderen Thema. Manchmal sind die Menschen schon komisch. Ich hatte eine Anfrage, ob ich nicht eine Ausstellung meiner Bilder in einem Bestattungshaus machen wolle.
SWAN Magazine: Und? Was hast Du gesagt? Also der Künstler in Dir, der keine Blumen verschenken will, weil sie tot sind?
Fabio Borquez: Ich habe das abgelehnt. Das geht nicht!
SWAN Magazine: Lieber Fabio, Deine Geschichten sind irgendwie wunderbar. Sie sind mitten aus dem Leben und doch einzigartig und inspirierend zugleich. Danke Dir für Deine Offenheit. Ich denke, wir sehen uns schon heute auf der PhotoPopupFair. Schade, dass es dieses Mal leider keine grosse Eröffnungsparty im stilwerk geben kann. Aber das Anstossen holen wir nach. Zur Not mit Zylinder am Grill…