Unser Interview mit Noemi für unseren Blogbeitrag ist so spannend und umfangreich geworden, dass wir nicht die Hälfte unter den Tisch fallen lassen wollen. Damit die Beitragslänge jedoch noch irgendwie zu einem Blogbeitrag passt, haben wir das Interview kurzerhand in zwei Teile gesplittet. Teil eins endete mit dem Unterschied von Frau und Mann hinter der Kamera. Hier steigen wir nochmal kurz ein, um dann andere Themen zu diskutieren, die sehr viele Ideen und Energie beinhalten.
SWAN Magazine: Trotzdem ist die Fotografie eine Männerdomäne. Woran liegt das Deiner Meinung nach?
Noemi Romano: Ich glaube nicht, dass es wirklich viel mehr Fotografen als Fotografinnen gibt. Das wird nur so wahrgenommen. Ich denke aber, dass wir, obschon die Sensibilisierung der Genderthematik weit fortgeschritten ist, doch noch mit uralten, tiefsitzenden Rollenbildern zu kämpfen haben. Mitunter auch falsche Bescheidenheit bei Frauen, was für mich das angesprochene Phänomen erklären würde.
Aber da öffnest du die Büchse der Pandorra! Die ganze Gleichberechtigungsproblematik ist eine sehr komplexe und kontroverse Angelegenheit und ich habe einige Ideen dazu. Aber das würde hier den Rahmen definitiv sprengen.
Ich schliesse aber gerne mit einer ganz ketzerischen Frage: Warum sind wir so darauf erpicht, etwas anzugleichen, was per se einfach nicht gleich ist? Warum würdigen wir nicht das Schöne an der weiblichen und dasjenige an der männlichen Energie und gehen gemeinsam und ergänzend, auf eine respektvolle Art, miteinander durchs Leben?
SWAN Magazine: Nun, es ist ja unser Ziel, hinter die Kulissen zu schauen und mehr über die Künstler und ihre Denkweisen zu entdecken. Wenn wir nur über die unterschiedliche Menüführung in Kameras verschiedener Hersteller sprechen würden, wäre das vermutlich schnell langweilig und keiner hätte bis hierher gelesen. Das Thema Schule und Bildung interessiert uns in Zeiten von Homeschooling aber schon. Wie ist Deine Sicht als ehemalige Lehrerin auf das Schulsystem im Allgemeinen?
Noemi Romano: Noch eine Büchse (lacht)! Ich sage es mal so: Es gibt einen Grund, warum ich jetzt fotografiere und designe und nicht mehr unterrichte. Ich bin der Überzeugung, dass unser Schulsystem eine einschneidende Umstrukturierung erleben muss. Das wird aber noch ein Weilchen dauern und ich denke, wenn nicht bereits in der Erziehung andere Ansätze gelebt werden, wird die Veränderung schwierig voranzutreiben sein.
Ich bin ein grosser Fan von Marshall B. Rosenberg; dem Begründer der gewaltfreien Kommunikation. Im Grunde geht es bei diesem Konzept darum, in einer Konfliktsituation seine unerfüllten Bedürfnisse wahrzunehmen, diese auf eine gewaltfreie Art kundzutun und gleichzeitig empathisch auf das Gegenüber einzugehen. Das war jetzt stark abgekürzt. Klingt einfach, ist in der Praxis aber eine regelrechte Herausforderung. Finde es trotzdem absolut erstrebenswert! Da gilt das Motto: Übung macht den Meister.
Darauf basierend hat er ein Schulkonzept entwickelt – die sogenannten Giraffenschulen. In einer solchen Schule zu unterrichten, könnte ich mir wieder vorstellen. Aber meine momentane Arbeit macht mir noch so viel Spass, dass ich wirklich nicht über einen Wechsel nachdenke.
SWAN Magazine: Schon seit Kindertagen liebe ich die Schweiz. Obwohl ich mit meinen Eltern kein einziges Mal in der Schweiz Urlaub gemacht habe, hat mich die Schweiz immer magisch angezogen. Ich finde die Berge und die Seen einfach faszinierend. Wenn ich vom Matterhorn etwas lese, dann komme ich gleich in eine andere Stimmung. Wenn ich an den Aletschgletscher, Eiger, Mönch und Jungfrau denke, dann denke ich nicht nur an den schmelzenden Gletscher, sondern an saftige Wiesen im Sommer, Rinder auf der Alm und eine fotografische Idee, die ich schon lange mit mir rumtrage: Einmal eine alte Bäuerin abseits der Dörfer zu portraitieren, die viel zu früh ihren Mann verloren hat und nun alleine mit Hund und Katze den Hof stemmt. Morgens früh im Stall, vormittags auf dem Markt, nachmittags auf dem Traktor und abends beim Tatort vor dem Kachelofen auf der hölzernen Eckbank. Zuverlässig, wie ein schweizer Uhrwerk und unkaputtbar. – Sicher ein Klischee, aber ich denke, dass gerade solche Menschen etwas zu erzählen haben. Und mich fasziniert die Idee, eine solche Dame würdevoll zu portraitieren. Mich reizt es, sichtbar zu machen, welche Ausdauer und welche Kraft eine solche Bäuerin täglich aufbringt. – Kannst Du Dir ein solches Projekt auch vorstellen?
Noemi Romano: Ja, absolut! Ich finde es äusserst spannend, das Ursprüngliche und das Natürliche einzufangen und zu zeigen. Ist ein schöner Kontrast zu der heutigen modernen Lebensweise. Ich würde mich also sehr freuen, wenn du dieses Projekt angehen würdest. Und wenn du eine Assistentin brauchst… lass es mich wissen!
Mir schwirrt eine ähnliche Idee im Kopf rum. Würde gerne mal mit einer Freundin und Texterin „0815-Menschen“ portraitieren und dabei versuchen, die Eigenheiten herauszukristallisieren. Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch auf seine Art spannend sein kann. Man muss dabei aber die Essenz erfassen und diese in Bild und Text transportieren können.
SWAN Magazine: Hast Du einen fotografischen Traum, den Du Dir einmal erfüllen möchtest?
Noemi Romano: Ich möchte mal irgendwas im National Geographic publizieren.
SWAN Magazine: So, wie Du das formulierst, ist das wirklich spannend. In Deiner Aussage sind ja zwei Aspekte enthalten: National Geographic ist ja für Fotografen die “Hall of Fame”. Aber im gleichen Satz sagst Du “irgendwas”. Das bedeutet ja, dass Dir der Inhalt egal ist. – Geht es also nur darum, in einem international anerkannten Magazin Deinen Namen wiederzufinden?
Noemi Romano: Ja, da geht es mir tatsächlich primär um den Fame – total verwerflich, nicht (lacht)? Natürlich müsste es eine Arbeit sein, auf die ich selber stolz bin. Aber ich gehe mal davon aus, dass ich es mit schlechter Fotografie nicht auf deren Titelseite schaffe (zwinkert).
SWAN Magazine: Welche fotografischen Vorbilder hast Du?
Noemi Romano: Ich bin grundsätzlich kein Groupie-Typ, ausser beim Marshall (lacht). Und zudem bin ich schlecht im Namen merken. Aber beispielsweise Annie Leibovitz interessiert mich schon sehr. Nicht nur ihre Vielfalt an Stilen, sondern auch ihre Persönlichkeit faszinieren mich. Die Frau macht und ist Kunst.
Ich entdecke aber auch auf Instagram immer wieder sehr viele wirklich begabte Fotografen; teilweise auch „Amateure“.
Mit der Digitalisierung in der Fotografie hat ein grosser Shift stattgefunden und den Berufsstand des Fotografen etwas enttrohnt. Jetzt kann sich a) jeder eine gute Kamera leisten und b) durch die vereinfachte Bedienung auch gute Bilder schiessen. Ich selber bin ja über die digitale Fotografie eingestiegen und habe deshalb mit dieser Entwicklung weniger Probleme.
Es gibt schon auch Situationen in meinem Berufsalltag, bei denen ich einem „entfernten Cousin“ (der ja auch so eine tolle Kamera besitzt) weichen muss und den Zuschlag für einen Auftrag nicht erhalte, weil Fotografie bei mir halt etwas kostet. Aber ehrlich gesagt sind das auch nicht die, für mich erfüllenden Arbeiten. Ich kann deshalb gut mit solchen Absagen umgehen. Grundsätzlich orientiere ich mich an den positiven Aspekten dieser Entwicklung und lasse mich von Profis, wie auch von Amateuren, gerne inspirieren.
SWAN Magazine: Was frustriert Dich in der Fotografie am Meisten?
Noemi Romano: Die Bildauswahl.
SWAN Magazine: Warum?
Noemi Romano: Nun, das hängt ja auch vom Projekt ab. Aber bei meinem Mensch-Tier-Projekt beispielsweise zeige ich ja immer nur eine Aufnahme. Die Unterschiede der Bilder sind zum Teil minim und doch haben sie für mich Gewicht. Ob das der Betrachter am Ende wahrnimmt oder nicht sei dahingestellt.
Obschon man ja grundsätzlich neugierig auf den Output ist, kackt mich der Entscheidungsprozess einfach ein bisschen an (sorry für meine Ausdrucksweise). Aber vielleicht ist das auch so ein Frauending… wie bei der Kleiderwahl – das dauert oft ewig (lacht).
SWAN Magazine: “Ankacken” ist vermutlich ein tyischer Begriff aus dem Schwitzerdütsch, oder?
Noemi Romano: Vermutlich ja (lacht erneut). Was mich übrigens auch ankackt, ist Unschärfe. Zumindest dort, wo sie nicht sein sollte. Vor allem, wenn ich sie erst nach dem Shooting feststelle und mich für die fehlende Kontrolle dann innerlich beschimpfe.
Was ich auch nicht so gerne mache, ist ein stundenlanges Licht-Einstellen. In der Portraitfotografie kannst du dir das ja auch gar nicht erlauben. Deshalb bin ich auch kein Produktefotograf, äh, -fotografin, sorry.
SWAN Magazine: Gibt es einen Künstler, einen Schauspieler, ein Model oder auch gerne einen anderen Fotografen, mit dem Du gerne einmal zusammenarbeiten möchtest?
Noemi Romano: Ich habe tatsächlich schon eine konkrete Zusammenarbeit mit einem Illustrator in Planung. Bin schon jetzt gespannt, wie wir die beiden Disziplinen vereinen werden. Gemeinschaftliche Projekte mache ich grundsätzlich sehr gerne, weil die Auseinandersetzung ganz anders ist. Du musst die Vorstellungen der anderen mit deinen eigenen Abgleichen, eventuelle Konflikte austragen, Kompromisse finden und auf der andere Seite kannst du dich inspirieren und befruchten lassen.
SWAN Magazine: Wenn Geld keine Rolle spielen würde: Was würdest Du machen, wenn Dir nur drei Optionen zur Auswahl stehen: 1. eine Weltreise ohne Kamera und Handy, 2. ein riesiges Fotostudio einrichten oder 3. ein soziales Projekt starten?
Noemi Romano: Oh, das ist leicht und schwer zugleich. Option eins würde ich sofort ausschliessen. Eine Weltreise ohne Kamera macht für mich persönlich keinen Sinn.
Bei den beiden verbleibenden Optionen ist es etwas schwieriger. Einerseits wäre mit einem sozialen Engagement mein Karma-Punktestand wieder etwas aufgefüllt. Da würde ich mich aber eher für ein Engagement mit Tieren entscheiden. Ich habe vor langer Zeit Dokumentationen über Tier-Auffangstationen in Afrika und Südamerika gesehen. Bei beiden Projekten werden Jungtiere, deren Eltern (oft durch Menschenhand) gestorben sind, aufgenommen und aufgepäppelt. Das hat mich damals sehr berührt.
Andererseits ist das Thema Fotostudio momentan ziemlich konkret bei mir. Ich bin vor Kurzem in ein ehemaliges Industriegelände umgezogen, welches nun renoviert und neu belebt wird. Hier gibt es noch viele ungenutzte Räumlichkeiten, die sich perfekt für ein Coworking-Projekt für Fotografen, Grafiker, Facilitators etc. eignen würden. Also, wenn Geld keine Rolle spielen würde, dann wäre ich jetzt wohl schon an der Planung der Inneneinrichtung…
SWAN Magazine: Angenommen, bereits morgen wäre Corona weltweit vorbei. Sämtliche Kontaktbeschränkungen und Reiselimitationen etc. wären vorüber und alle Staaten würden zeitgleich das Ende der Pandemie ausrufen. Was würdest Du übermorgen tun?
Noemi Romano: Unter die Leute gehen! Ich treffe meinen engeren Freundeskreis nach wie vor, aber ich vermisse es echt, neue Kontakte zu knüpfen. Und das nicht via Zoom-Call (verdreht die Augen). Der Mensch ist ein soziales Wesen und die momentane Situation schlägt aus meiner Sicht auch auf die psychische Gesundheit.
SWAN Magazine: Drehen wir den Spiess einmal anders herum. Angenommen, diese Pandemie endet nie und wir gewöhnen uns an immer wiederkehrende Lockdowns, haben es verlernt, im Restaurant essen zu gehen (weil eh kein Einziges überlebt hat) und wir schreiben das Jahr 2035. Meinst Du, dieses fiktive Szenario hat Auswirkungen auf Deine Arbeit als Fotografin?
Noemi Romano: In diesem Szenario will ich gar nicht leben. Das ist für mich ziemlich unvorstellbar und ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird. Ich meine, das hält doch niemand aus! Weder aus menschlicher noch aus wirtschaftlicher Sicht. Am meisten fürchte ich mich vor Unruhen, wie z.B. Bürgerkriege oder extreme Freiheitseinschränkungen – die Weichen dafür sind meiner Meinung nach bereits gestellt… Aber wenn es tatsächlich so kommen sollte, werde ich mir mein Pferd und meinen Hund schnappen und mit Pfeil und Bogen durch die Wälder galoppieren (lacht).
SWAN Magazine: Vor ziemlich exakt zwei Jahren hast Du eine Serie über den kleinen Circus Harlekin veröffentlicht. Hast Du mit dem Circus noch Kontakt?
Noemi Romano: Nein, momentan nicht. Wieso meinst du?
SWAN Magazine: Wäre nicht genau das gerade jetzt spannend? Also ich meine, dem Zirkus in dieser Phase ein Gesicht zu geben? Zirkusartisten fallen doch aktuell durch jedes Wahrnehmungsraster durch. Gerade da gibt es doch ganz besondere Schicksale…
Noemi Romano: Da hast du Recht, vielen Dank für den Input! Denen, die durchs Netz fallen, eine Stimme zu geben, wäre sicher eine schöne Idee.
SWAN Magazine: Du übersiehst gerade die Möglichkeiten von Videos, oder?
Noemi Romano: Jein… diese spezifische Sache reizt mich mehr fotografisch. Irgendwie finde ich da eine statische Bildsprache spannender.
SWAN Magazine: Auf was freust Du Dich in 2021 am Meisten?
Noemi Romano: Street-Food-Festivals! Wenn sie denn kommen mögen…
SWAN Magazine: Du, das wäre die erste kurze Antwort auf eine Frage. Wollen wir hier schnell einen Cut machen? Ich frage auch nicht weiter nach, warum wir immer wieder auf das Thema Essen kommen…
Noemi Romano: (Lacht) Einverstanden!
SWAN Magazine: Zum Schluss –nur um unsere Leser zu überraschen– mal eine Technikfrage: Was ist das wichtigste Gadget in Deiner Fototasche und auf welches Deiner Objektive kannst du am Ehesten verzichten?
Noemi Romano: Hmm… schwierig. Mein wichtigstes Gadget ist vermutlich mein farbloses, abmattierendes Puder für die vielen Gesichter, die ich portraitiere. Das ist immer dabei. Verzichten könnte ich wohl am Ehesten auf mein Lensbaby-Objektiv. Das ist ja mehr eine spielerische Geschichte und lässt sich innerhalb meines Jobs nicht wirklich einsetzen. Aber wer weiss, vielleicht hab ich mal eine Idee für ein Kunstprojekt. Aber ja, das war schlussendlich wieder einer dieser Impulskäufe… 😉
SWAN Magazine: Ja, ein Lensbaby ist in Deiner Fotografie vermutlich nicht das Objektiv der ersten Wahl.
Noemi Romano: Ja, und dann kommen die Möglichkeiten von Photoshop ja noch hinzu. Im Prinzip kannst du ja solche Effekte auch in der Post Production erzielen. Zum Beipiel auch Tilt-Shift-Effekte. Ich finde die Arbeit mit diesen Objektive aber zu spannend, um sie „künstlich“ einzufügen. Ich habe zwei davon und setze sie auch gerne für die Portraitfotografie ein.
SWAN Magazine: Spannend finde ich ja, dass Du mit Tilt-Shift-Objektiven arbeitest.
Noemi Romano: Ja? Warum?
SWAN Magazine: Ich weiss gerade gar nicht, wie ich das politisch korrekt ausdrücken kann. Ich war bis vor wenigen Sekunden der Meinung (von Architekturfotografinnen mal abgesehen), dass es vermutlich keine Fotografin geben wird, die ein Tilt-Shift-Objektiv in der Peoplefotografie einsetzt. Und nun kommst Du im Nebensatz daher und berichtest, dass Du mehrere davon im Einsatz hast… mein Grundverständnis von Fotografie wackelt gerade… bin ich tatsächlich so schlecht informiert?
Noemi Romano: Tut mir leid, habe ich so an deinem Weltbild gerüttelt (lacht)? Also das Spielen mit der Schärfenverschiebung ist ja enorm spannend finde ich – gerade im Portraitbereich. Aber wahrscheinlich hast du schon recht. Oft wird das sicher nicht eingesetzt.
SWAN Magazine: Noemi, wir sagen DANKE für dieses zusätzliche Interview. Zusammen mit dem ersten Interview in Ausgabe 04 und dem gestrigen Interviewteil ergibt sich ein ganz tolles Gesamtbild über Dich. Über Dich als Mensch und Künstlerin. Bleibe gesund und nutze die Dir gegebene Zeit und Kreativität. Notfalls mit Pferd und Hund im Wald!
Noemi Romano: Auch ich sage danke. Mir hat es richtig Spass gemacht und ich freue mich schon auf ein persönliches Treffen mit dem gesamten SWAN Team. Also ihr Drei live und in Farbe.