Auf den üblichen Social Media Kanälen werden überwiegend Fotos von Frauen gezeigt. Und das, obwohl Männer statistisch nicht weniger in der westlichen Weltbevölkerung vertreten sind. Einer, der vergleichsweise oft zu sehen ist -und das nicht nur auf Social Media- ist Martin Kuhlmann. Martin kennen unsere Abonnenten von der Special Edition des SWAN Magazines, die es nur für Abonnenten gibt und nicht einzeln käuflich zu erwerben ist. Mit Martin Kuhlmann sprechen wir heute über das Modelbusiness. Martin ist halb Grieche, halb Deutscher und lebt (noch) in Deutschland. Die Stationen waren Dortmund, lange in Köln und nun viele Jahre in Berlin. Und obwohl er oft in Kapstadt in vielen weiteren Orten Europas unterwegs ist, schlägt er jetzt ein weiteres Zelt in Thessaloniki auf. Seinen letzten runden Geburtstag hat er auf einem Segelboot Nähe Mallorca mit einem guten Freund verbracht – schachspielend.
SWAN Magazine: Martin, berichte doch mal, wie Du zum Modeln gekommen bist.
Martin Kuhlmann: Eigentlich habe ich mit 16 Jahren etwas Handwerkliches gelernt. Im Rahmen meiner Ausbildung habe ich teilweise sogar unter Tage im Bergbau gearbeitet. Aber das ist sehr lange her (lacht). Seitdem ist mir bewusst, dass wirklich alles andere ein Honigschlecken ist. Ich bin dann nach meinem Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, einem Intermezzo als Store-Besitzer und Medizinstudent, in die Schauspielerei gerutscht. Dies geschah durch eine Kölner Agentin, Ica Souvignier, die mich „entdeckt“ hat.
Verschiedene Rollen zu spielen, hat seit jeher etwas in mir ausgelöst. Ich durfte seitdem immer wieder „spielen“. Für mich heisst das, immer wieder „Kind“ sein. Auch wenn man z.B. eine alte Frau spielt. Viele Weiterbildungen folgten über die Jahre, um ein Fundament in diesem Bereich zu haben. Als mit ca. 30 Jahren schon die Haare langsam grauer und letztendlich heute weiss wurden, kamen immer mehr Model-Anfragen. Schauspielern und Modeln werde ich -neben weiteren anderen Tätigkeiten die ich mag- machen, bis ich das Zeitliche segne. Es macht einfach zu viel Spass. Man hört ja die Vorteile auch von anderen aus dem Business und… es ist einfach so: Man reist herum, trifft immer wieder neue interessante Menschen und wird dafür sogar noch bezahlt.
SWAN Magazine: Als halber Grieche kannst Du dann bestimmt einen Ouzo empfehlen…
Martin Kuhlmann: Nee, ehrlich gesagt nicht (lacht). Ich trinke seit langem keinen Alkohol mehr. Mittlerweile weiss auch wirklich jeder, dass hochprozentiger Alkohol sehr schädlich ist. Ich merke, dass mein Körper mir dafür dankt. Der Hintergrund ist: Ich bin ein Genussmensch. Trinke ich zwei drei kleine Peroni (tolles Bier aus Italien, Anm. der Redaktion), bekomme ich Lust auf Pizza. Und danach kommt der süsse Zahn… die Schokolade. Zwei Packungen Toffifee sind da überhaupt kein Problem. Der ganze Vorgang ist leider nicht kompatibel mit dem Modeln. Ich muss ja nach der Party wieder in einen Anzug passen.
Übrigens Ouzo ist ja eigentlich auch eine Art Touristengetränk. Meines Wissens wird in Griechenland eher Tsipouro getrunken. Tsipouro ist wie Ouzo, nur mit weniger Anis und dafür etwas härter. Oft auch selbstgebrannt.
SWAN Magazine: Modelst Du „hauptberuflich“?
Martin Kuhlmann: Was sagen Fotografen oft? “Eine Frage der Perspektive”… (lacht). Nein im Ernst. Wenn du mich fragst, was mein Beruf ist, dann sage ich: “Ich stehe vor der Kamera”. Meine Leidenschaft ist aber seit je her “Schauspieler”. Dies war auch meine erste „emotionale Tätigkeit“. Und sie ist es noch heute. Wenn ich aber am Jahresende auf mein Konto schaue, dann bin ich viel als Model gebucht worden. Denn meine letzte Hauptrolle im Schauspiel war z.B. im Jahr 2018 auf Ibiza. Nochmal generell zu beiden Bereichen: Sie liegen für mich sehr eng beieinander. Sobald es sich um bewegte Bilder handelt, hat der Job schon automatisch viel mit Schauspielerei zu tun. Dazu habe ich Tätigkeiten, bei denen ich meine Marketing- und Vertriebskenntnisse einsetze.
SWAN Magazine: Was bedeutet Dir das Modeln neben der Einnahmequelle?
Martin Kuhlmann: Für mich kann Modeln eine Kunstform sein. Ich unterscheide beim Modeln zwischen drei Ebenen. Die oberste nenne ich schlicht “Art”. Es geht dort um Kunst bzw. rein künstlerische Projekte. Diese funktionieren nur mit Leidenschaft. Da geht es vordergründig nicht um Geld. Ich war zum Beispiel Teil eines Kunstprojekts des Fotografen Oliver Wand. Oliver hat mir damals von seinem Projekt „Vater und Sohn“ erzählt.
Schon als ich die ersten Sätze hörte, war ich sofort dabei. Denn es geht primär um Emotionen. Um das oft schwierige Verhältnis zwischen Vater und Sohn. Und das hat er wunderbar in Szene gesetzt. Für mich sind das künstlerisch wertvolle Bilder. Warum? Weil sie vermutlich so sinnbildlich für viele Väter und viele Söhne stehen. Da gibt es z.B. das Bild am Fluss. Ich sitze neben meinem “Sohn”. Distanz zwei Meter und starre auf’s Wasser. Aber mein Sohn schaut auf mich. Er will mit mir interagieren, aber ich bin desinteressiert, in einer anderen Welt. Gemeinsam einsam.
Ich mag solche künstlerischen Projekte sehr. Ein Teil von einem Kunstprojekt zu sein, und dann zum Beispiel auf der Art Basel zu sehen und Emotionen bei den Betrachtern auszulösen, das wäre einer meiner Träume.
SWAN Magazine: Du magst also Bildkompositionen, die einen Spannungsbogen besitzen und beim Betrachter Fragezeichen aufwerfen?
Martin Kuhlmann: Absolut. Für mich ist es Kunst, wenn jemand auf dem ersten Blick eine vermeintlich fremde Situation auf einem Bild sieht, dann aber merkt, dass dies ein Sinnbild für etwas ist, das sie selbst kennen. Oder sogar selbst erlebt haben. Dann kann man mit Kunst beim Betrachter eventuell sogar etwas bewegen.
SWAN Magazine: Spannend. Das ist also Deine oberste Disziplin beim Modeln. Dann sind wir gespannt, was die nächste Ebene ist.
Martin Kuhlmann: Ebene zwei sind für mich Editorials. Oft sind dies Bildstrecken, bei denen nicht nur ein Model abgebildet ist, sondern wo es auch auf die Interaktion mit anderen Modellen ankommt. Sozusagen ein „Spiel“. Solche Fotostrecken erzählen im optimalen Fall eine Geschichte. Darum geht es eigentlich immer. Um Geschichten. Geschichten sind die Basis unserer Zivilisation. Und die beiden Fotografen von euch, Grischa und Stefan, sind Fotografen, die Geschichten mit ihren Bildern erzählen können.
P.S.: Übrigens denke ich, dass viele Menschen, die bewusst und regelmässig vor der Kamera stehen, zumindest eine leichte Form von Profilneurose haben. Die habe ich nämlich auch (lacht). Aber ich sehe mir diese Editorials einfach gerne an. Aber natürlich nur, wenn ich selbst darauf zu sehen bin (lacht wieder).
SWAN Magazine: Und in Stufe drei geht es dann um die pure Profilneurose?
Martin Kuhlmann: Nun, sagen wir so: Wenn dich deine Freunde und Bekannten anrufen oder dir Nachrichten senden und dir davon berichten, dass sie dich in der Werbung von XY gesehen haben, dann ist das nicht unangenehm. Das ist ja auch eine gewisse Form von Bestätigung für das, was man tut. Und man wird einige Sekunden in Erinnerung gerufen (lacht).
SWAN Magazine: Wie ist denn die Verteilung der drei Stufen in Deinem Alltag?
Martin Kuhlmann: Wir leben in der kapitalorientierten Welt. Meine Miete kann ich von Ebene drei ganz gut bezahlen. Von Ebene zwei schon weniger. Ebene eins würde zum Leben nicht reichen. Zumindest noch nicht! Trotzdem ist die Leidenschaft bei Ebene eins natürlich höher. Denn Geld ist eben doch nicht alles im Leben.
Zusammen mit der Schauspielerei ergibt sich daraus ein spannender und abwechslungsreicher Mix für mich. Ich arbeite aber täglich daran, mehr von Ebene 1 und 2 zu machen. Davon partizipiert letztendlich auch Ebene 3. Oh weija. Das klingt jetzt fast wie Mathematik.
SWAN Magazine: Das erinnert mich spontan an die Bedürfnispyramide von Abraham Maslow. Die Schauspielerei deckt die physiologischen Grundbedürfnisse, wie Essen, Trinken und Schlafen. Deine dritte Stufe deckt die Sicherheitsbedürfnisse und Deine sozialen Bedürfnisse. Deine Stufe zwei entspricht recht genau der Deckung der Individualbedürfnisse und Deine Stufe eins ist nichts anderes, als die Maslowsche Selbstverwirklichung. Letztere brauchst Du nicht zum Leben und darauf kannst Du auch in Krisenzeiten verzichten… aber um es mit Worten von Marius Müller-Westernhagen zu beschreiben „geiler wär’s schon„…
Martin Kuhlmann: Ja, es ist immer der sehr schmale Grad zwischen Kunst und Kommerz, den ihr ja mit dem SWAN Magazine auch geht. Ihr seid toll in Richtung Kunst positioniert und erzählt mit den Interviews die Geschichten dazu. Sehr gut. Ohne dass ich Zahlen von euch kenne, könntet ihr schon jetzt nach gut zwei Jahren am Markt wohl hochprofitabel sein, wenn ihr teure Markenprodukte für euer Magazin begeistern könntet und sie dazu bewegt, Werbung bei euch zu schalten. Aber wenn ihr das macht, dann seid ihr nur bedingt Kunst. Bleibt diesem Konzept also bitte treu!
Ich bin in dem Magazin Kontext -auch wenn der Fokus dort nicht auf Fotografie liegt- ja schon seit dreissig Jahren unterwegs. Und sie alle sind voll von Werbung. Wenn aber gerade alle Magazine auf dem Markt von einem Brand mit der gleichen Anzeige geflutet werden, dann ist das für kein Magazin mehr gut. Und zu viel Werbung mag für die Magazinproduzenten monetär attraktiv sein, aber für das Magazin selbst bedeutet dies immer einen Profilverlust. Der USP verschwindet mit jeder Werbeanzeige, die hinzu kommt. Und da seid ihr mit dem SWAN Magazine wundbar aufgestellt. Ihr habt einen klaren USP und keine einzige Werbeanzeige verwässert.
Noch ein paar Worte explizit zum Thema Werbung in Magazinen. Fast alle sind voll davon. Wenn aber gerade alle Magazine auf dem Markt von einem Brand mit der gleichen Anzeige geflutet werden, dann ist dies für kein Magazin mehr von Vorteil. Das „Besondere“ verwischt. Welche Werbebotschaft soll hängen bleiben? Die von der ersten Anzeige? Oder die von der fünften Anzeige?
Wobei man sagen kann, dass einige Werbeanzeigen wirklich inspirierend sind. Aber leider nicht viele. Woran liegt das unter anderem? Es hat mit den Menschen zu tun, die nicht anecken wollen. Nicht viel wagen wollen. Wenn der Kommerz in der Marketingabteilung entscheidet, gehen einfach grosse Teile der Kunst flöten. Da gab es mal andere Zeiten. Ich bin ja nicht gegen Werbung – damit würde ich an dem Ast sägen, auf dem ich sitze. Im Gegenteil. Ich bin einfach für gute Werbung. Und für einzigartige Positionierungen der Marken.
Ich habe einem Freund gestern übrigens noch über euer Magazin gesprochen und dabei die Special Edition gezeigt. Da ich selbst für zwei Jahre als Art Director gearbeitet habe, weiss ich, wie viel Arbeit hinter einer einzigen Ausgabe steckt. Und ich weiss auch, dass ihr Tausende davon produzieren und verkaufen müsstet, damit es sich rechnet. Umso mehr bewundere ich euch für die Passion und den Einsatz, den ihr in Interviews, in die redaktionelle Arbeit, die Social Media Aktivitäten oder die Kundenbindung investiert. Aber dieser Idealismus, der in so vielen Bereichen längst verloren gegangen ist, der macht euch einzigartig. Und das sage ich nicht, weil ich mich auf diesem Weg für irgendetwas revanchieren möchte.
SWAN Magazine: Danke Dir, Martin. Da werden wir ja ganz rot. Toll, dass Du das so ähnlich siehst, wie wir auch. Doch jetzt sind wir ein wenig von der Schauspielerei und dem Modeln abgekommen. Sagen wir mal, Herr Maslow war Schuld. Haben wir auf unserem Umweg etwas vergessen?
Martin Kuhlmann: Eine kleiner Rat. Models und Schauspieler werden meistens über Castings für Werbungen gesucht und gefunden. Es gibt immer weniger direkte Buchungen. Bei den heute weit verbreiteten E-Castings (zuhause mit dem eigenen Equipment) ist es so, dass man alle paar Sekunden eine andere Szenerie spielen soll. Also erst freudig, dann traurig, dann einsam, dann tanzend, dann lachend, dann weinend… dann ist es gut, wenn man in Rollen schlüpfen kann und dies gelernt hat. Oder schon mal gemacht hat (lacht). Ich kann jedem nur empfehlen, Schauspielkurse zu nehmen. Egal was. Man zieht aus allem eine Lehre.
SWAN Magazine: Als Model erlebt man sehr unterschiedliche Shootings. Welche Shootings sind Dir die Liebsten und was zeichnet diese aus?
Martin Kuhlmann: Die liebsten Shootings sind mir die, die gut vorbereitet und organisiert sind. Wenn ich als Model schon lange vorher weiss, was das Konzept ist, wie die Location ist, ich das Team vorgestellt bekomme, das Styling definiert ist, zB. auch das Catering steht und nicht spontan organisiert werden muss. Eine gute Produktion ist einfach professionell in jeder Hinsicht. Das fängt mit einer Top Vorbereitung an.
Ein wirklich gutes Beispiel war die Produktion, die am Ende zu eurer Special Edition geführt hat. Es war ein langwieriger Vorbereitungsprozess und wir hätten sicherlich die eine oder andere Schleife weniger gehen können. Aber schlussendlich ist es doch so, dass die ganzen Abstimmungen untereinander ein Team ergaben, wo sich jeder auf den anderen verlassen konnte und auch die Rollen klar vergeben waren. Tolle Charaktere waren dort am Set. Jeden Einzelnen davon würde ich als „Alphatier“ definieren, aber zusammen… ein tolles Team! Und das sage ich hier wieder nicht, weil ich euch einen Gefallen tun will. Ich drücke es mal so aus: Wenn ihr nochmal so eine Produktion macht, dann bin ich gerne wieder dabei.
SWAN Magazine: Was ist Deine Botschaft an die werbetreibende Industrie?
Martin Kuhlmann: Macht viel Werbung! Aber tolle, nachdenkliche und einzigartige Kampagnen!
Traut euch wieder etwas! Seit mutiger! Setzt auch Ideen um, die euch auf den ersten Blick als Hirngespinste erscheinen! Erzählt Geschichten! Weckt wieder Emotionen!
Pirelli macht mit seinem Kalender nun wirklich keine direkte Produktwerbung (lacht). Betrachter werden emotional gepackt. Und auch als die Produkte mal bei einigen Testern nicht so gut abgeschnitten haben, hat die Neuauflage des Kalenders dabei geholfen, den Kultstatus der Marke weiter zu stärken. Es muss eben nicht das Produkt die ganze Zeit im Vordergrund stehen, wenn man einen langfristigen Markenwert aufbauen will und man nicht nur ein kurzfristiges Umsatzplus realisieren möchte. Dieses mehr an Mut und Invest, schätze ich sehr und zugleich vermisse ich es bei so vielen Marken, die sich genau das wirklich leisten könnten.
Klassische Fernsehwerbungen haben oft nur ca. 30 Sekunden. Ein ideales Zeitfenster, um kleine Geschichten zu erzählen und die Menschen, die die Werbung sehen, mit dieser Geschichte auch zu beschäftigen. Eine Werbung ist dann für mich gut, wenn die Geschichte am Ende des Clips im Kopf des Betrachters erst richtig losgeht. Auch hier im Focus: Die Emotionen, die Geschichten!
Nicht umsonst sagt man doch, dass die Bibel und Homer die Grundlagen unserer Zivilisation sind. Vermutlich fiktiv. Aber toll erzählt. Jeder Witz ist doch auch nichts anderes: Eine kleine Geschichte. Werbung, Movies, Kunst, Movies, Witze… all das ist schlussendlich eine Form von Bildung. In einem schönen Gewand. Und deswegen wünsche ich mir mehr Kreativität.
SWAN Magazine: In der Modelbranche spielen vor allem Modemarken eine zentrale Rolle. Mit welchen Brands hast Du schon zusammengearbeitet und welche Labels stehen ganz weit oben auf Deiner Wishlist?
Martin Kuhlmann: In Mailand zum Beispiel bin ich schon auf diversen Modenschauen für unterschiedliche Premium-Marken gelaufen (mit „auf dem Laufsteg gelaufen“ bezeichnet man eine Fashion Show, bei der Designer ihre neue Mode mit Hilfe von Models präsentieren, Anm. der Redaktion), habe aber für diese noch keine Print- oder TV-Werbung gemacht. Auch wenn es nicht mein Lieblingsbrand ist, macht Dolce & Gabanna das immer inspirierend. Es gibt zum Beispiel ein klassisches Familienmotiv: Alle sitzen oder stehen rund um eine opulent gefüllte Speisetafel in Italien im Sommer. Teilweise sind es sogar keine Models. Denn da sitzt dann auch manchmal die 90jährige Oma oder der Opa. Einfach Wunderbar! Das spricht mich einfach an, weil es so nahbar ist. Einfach eine interessant gekleidete Familie in schönem Ambiente. Das ist übrigens ein Konzept, das ich auch gerne mal mit mehreren befreundeten Models umsetzen möchte.
SWAN Magazine: Du hast eben den Link zur Bibel gelegt. Jetzt, passend zu Ostern, sind wir gerade beim Letzten Abendmahl angekommen, oder?
Martin Kuhlmann: Ja, ich mag dieses Bild. Wir alle wissen nicht, ob es sich so zugetragen hat, wie es geschrieben steht. Aber ich bin sicher, dass auch vor über 2.000 Jahren die Menschen gut gekleidet zu besonderen Anlässen gekommen sind. Die Kutten und Umhänge waren die Anzüge von heute. Die zwölf Apostel sind an dem besonderen Abend sicher nicht mit ihrem schlechtesten Leinengewand aufgetreten.
SWAN Magazine: Nun hat uns die Geschichte vom Thema abgelenkt. Wir waren bei den Modebrands.
Martin Kuhlmann: Stimmt. In der Mode ist es ja so, dass heute jeder weiss, wie die Massenbrands ihre Mode produzieren und unter welchen Umständen die Herstellung stattfindet. Deswegen drängen viele wieder zu den Premiumbrands. Auch das hat mit Maslow und der Selbstverwirklichung zu tun. Ich finde es zum Beispiel sehr gut, dass sich viele Menschen täglich mehr Gedanken darüber machen, wie Mode produziert wird und welche Auswirkung dies auf Dritte-Welt-Länder besitzt. Organic Cotton und Fair Trade stehen heute höher im Kurs denn je. Gott sei Dank. Gucci, Celine oder Tom Ford zum Beispiel gehen solche Themen nämlich sehr viel konsequenter an, als andere.
SWAN Magazine: Grundsätzlich sagt man ja, dass man als weibliches Model bis 30 Jahre interessant ist und als männliches Model ab 30 Jahren. Wie siehst Du das?
Martin Kuhlmann: Ich habe ein leicht differenzierteres Bild. Gerade im Hinblick auf das stark boomende E-Commerce-Feld ist es so, dass Frauen wie Männer meiner Meinung nach zwischen ca. 17 bis 27 Jahren gerade am stärksten gefragt sind. Auch in vielen anderen Bereichen. Mit steigendem Alter wird das Angebot dann generell für beide dünner. Trotzdem ist der Markt heute viel breiter und flexibler für alle Altersgruppen.
Die Werbebranche ist sehr schnelllebig. Gerade im Modekontext werden ja oft kurzfristig Modelle für ein Shooting sehr zeitnah gesucht. Das funktioniert mit jungen und ungebundenen Modellen natürlich prima. Das ist bei Frau und Mann gleich. Mit steigendem Alter lässt sich das jedoch oft wegen Beruf und Familie nicht mehr so gut umsetzen, weil es dann auch anderweitige Verpflichtungen gibt. Dieser Effekt führt dazu, dass es oberhalb von 30 Jahren auch viel weniger Modelle gibt, weil sich viele aufgrund bestehender Interessenskonflikte aus dem Business verabschieden. Hier gibt auch kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
SWAN Magazine: Siehst Du im steigenden Lebensalter und in der -bezogen auf die Kaufkraft- sehr starke Generation derjenigen, die gerade in Rente gehen oder kürzlich in Rente gegangen sind, nicht auch eine Gegenbewegung? Gerade in der Generation steckt doch jede Menge Kapital… warum stürzt sich immer alles auf die jungen Berufseinsteiger?
Martin Kuhlmann: Warum sich die Werbebranche darauf stürzt, kann ich natürlich nur vermuten. Es gibt bekannte Theorien. Aber Du hast Recht: Dieser Markt ist äusserst attraktiv, wird aber weitestgehend von Banken und Versicherungen genutzt – und da auch zumeist mit der Botschaft “sorge als junger Mensch vor, damit du im hohen Alter genug Geld hast”. Ich sehe hier tolles Potential – für die Hersteller bestimmter Produkte und Dienstleistungen, aber auch für die Models, die eben nicht die “ewige Jugend” verkörpern.
SWAN Magazine: Wenn Du viel mit anderen Models sprichst, kannst Du sicherlich auch etwas über weibliche Modelle sagen, oder?
Martin Kuhlmann: Bei Frauen geht es sogar etwas früher los. Bei grösseren Jobs sogar teilweise schon mit ca. 16 Jahren. Nach dem Alter von ca. 27 Jahren folgt der Typus „junge und erfolgreiche Frau“ oder „junge Mutter“. Das kann dann rauf gehen bis 60 Jahren. Es ist bis dahin die „Business Frau“, oder „coole Partnerin“.
Aber ab 60 Jahren wird es für weibliche Models merklich weniger spannend, als für den älteren Herrn. Als Mann bekommt man eigentlich immer eine rund 10-15 Jahre jüngere Frau zur Seite gestellt. Die klassische Rollenverteilung “der Mann ist älter als die Frau” gibt es in der Werbung immer noch – auch wenn das in der Gesellschaft schon lange nicht mehr so gesehen wird.
Aber auch bei den Frauen gibt es sehr erfolgreiche Damen im “höheren Alter”. Ich habe zum Beispiel eine sehr nette Kollegin aus Bayern, die man oft in der Werbung und auch auf Magazin-Covern sieht. Sie ist selbst knapp über 50 Jahre.
Mein Fazit: Das Business bekommt täglich mehr Flexibilität.
SWAN Magazine: Woran liegt das?
Martin Kuhlmann: Werbung ist dazu da, einen Umsatz auszulösen. Das heisst: Wenn man eine kaufkraftstarke Klientel ansprechen will, dann braucht man ein Model aus der Klientel, die diese Zielgruppe glaubhaft repräsentiert. Man darf das ja nicht unterschätzen. Es gibt natürlich jede Menge Damen, die ihren Lippenstift beim Drogeriemarkt um die Ecke einkaufen. Aber die Zielgruppe, die den Lippenstift von Yves Saint Laurent nutzen will, die gibt auch gerne ein paar Euro für Mode aus. Und zwar jeden Monat. Rechnet man das Kostüm, die Bluse, die Schuhe, den Lippenstift, die eine oder andere Anwendung zusammen, dann kommt man schnell auf einen grösseren dreistelligen Betrag pro Monat.
SWAN Magazine: Du meinst, die Damen kompensieren auf diese Art, was für den Mann die Leasingrate des neuen Autos ist?
Martin Kuhlmann: Ich glaube, das stimmt nur für einen bestimmten Teil der Gesellschaft. Aber ja, es wird Frauen geben, die für Beauty und Mode mehr ausgeben, als der Mann für sein Auto. Die monatlichen Kosten für den Friseur decken locker die Tankrechnungen (lacht). Umso attraktiver ist dieser Markt ja auch für die Werbung.
SWAN Magazine: Gibt es etwas, was Deiner Meinung nach die Nachfrage nach Dir als Model gesteigert hat?
Martin Kuhlmann: Einen regelrechten Boost erlebe ich seitdem meine Haare zuerst grauer und dann immer weisser geworden sind. Ökonomisch ausgedrückt: Das ist mein USP. Ich verfolge dazu eine bestimmte Strategie in Absprache von Management und ausgesuchten Agenturen. Vermutlich hat sich auch die Einstellung der Entscheider/Kunden über die Zeitachse verändert. Ich mache heute zum Beispiel auch Jobs, für die vor 20 Jahren nur junge Models engagiert worden wären. Auch die Kaufkraft der „jung Gebliebenen“ führt zu einer Verschiebung – besonders in der klassischen Werbung.
SWAN Magazine: Sprechen wir zum Abschluss doch mal über Modelagenturen. Es gibt ja diejenigen, die enger Verfechter davon sind, nur mit einer einzigen Modelagentur zusammenzuarbeiten. Und dann gibt es diejenigen, die mit sehr vielen und teilweise auch unterschiedlichen Modelagenturen zusammenarbeiten.
Martin Kuhlmann: Beides ist interessant. Entscheidend ist die Qualität der Modelagentur. Wenn du eine Agentur hast, die die richtigen Kunden für dich besitzt und dir einen Auftrag nach dem anderen besorgt, dann brauchst du nicht mehr als eine Agentur. Dann kannst du als Model davon leben. Sie fungiert dann auch als gutes Management. Mit einer Strategie.
Reichen die Aufträge einer Agentur nicht zum Leben, oder es gibt keine Strategie, dann brauchst du wahrscheinlich mehrere Agenturen. Hilfreich ist es natürlich, wenn die Agenturen unterschiedliche Schwerpunkte haben und nicht die gleichen Kunden, da du sonst nur die Anzahl deiner Ansprechpartner erhöhst, die Wahrscheinlichkeit einer Buchung aber nicht.
Ich habe unterschiedliche Strategien für unterschiedliche Länder. In den stärkeren Märkten (sogenannte A-Märkten, das sind Länder, in denen viel in Werbung investiert wird, zum Beispiel Deutschland, Japan und die USA) habe ich mehrere Agenturen, befinde mich aber immer im Dialog, damit sich alle gut verstehen.
Das Modelbusiness unterliegt einfach einem starken Wandel. Das war auch schon vor Corona so. Während es früher oft internationale Direktbuchungen gab, gibt es das heute fast nicht mehr. Dazu fragen die Unternehmen nicht mehr nur bei einer Agentur nach geeigneten Models, sondern bei mehreren. Und das auch nicht mehr nur im eigenen Land, sondern heute auch oft in ganz Europa. Mein Wettbewerber ist damit fast nie ein anderes Model aus Berlin, sondern Modelle aus München, Barcelona oder Paris.
Deshalb muss ich mir meinen lokalen Markt genauer anschauen. In Deutschland haben wir ein Einkommensgefälle. Je weiter man nach Süden kommt, desto höher wird der Lebensstandard. Wenn ich beispielsweise keine Trachtenbilder im Portfolio habe, dann muss ich (wenn ich diesen Markt für mich gewinnen will) dafür sorgen, dass ich diese Bilder bekomme. Der Werbetreibende, also der, der die Modelagentur beauftragt mit dem Casting, will in der Vorauswahl schon sehen, wie das Model in einem bestimmten Look aussieht. Das ist bei Businesskleidung nicht anders. Wer da rein will, braucht entsprechende Bilder.
In dem Zusammenhang sind Erfahrungen von Agenturen aus den Regionen sicher auch hilfreich. Und um besondere Bilder zu bekommen sind Fotografen, wie ihr sie beim SWAN Magazine an Bord habt, eine echte Bereicherung. Weil ich da tolle kreative Menschen kennengelernt habe und weil das Netzwerk der Fotografen für mich eine Erhöhung der Reichweite mitbringt. Da sind wir beim Thema Instagram. Es spielt heute eine sehr grosse Rolle in dem Business. Aber das sprengt den Rahmen heute hier (lacht).
SWAN Magazine: Martin, das war sehr spannend, weil es uns und unseren Lesern mal einen ganz anderen Einblick in die Fotografie und auf das Modeln gegeben hat. Da sagen wir ganz herzlichen Dank. Doch nun noch eine abschliessende Frage: Haben wir ein Thema vergessen? Gibt es etwas, was Du unbedingt noch ins Interview einbauen möchtest?
Martin Kuhlmann: Ich fand das Interview auch total angenehm und möchte ebenfalls danke sagen. Was aus meiner Sicht hier noch erwähnt werden sollte, ist die Entstehung der Special Edition, weil sie einfach etwas ganz Individuelles ist. Eine Insel. Ich hoffe, die Leser und Leserinnen denken jetzt nur nicht, ich sei nebenberuflich Redakteur bei SWAN (lacht).
SWAN Magazine: Gerne. Wir sind gespannt. Dann hast Du das letzte Wort.
Martin Kuhlmann: Einige Worte noch zu der History des Shootings. Denn damit fing die Geschichte an. Und damit hört meine Geschichte auch auf: Das, was eure Abonnenten als Special Edition kennen, ist daraus entstanden, dass Kristin Ullmann mich darauf angesprochen hat, ob wir aus Modelsicht ein ganz besonderes Shooting organisieren wollen. Wir haben uns damals über verschiedene Ideen unterhalten und irgendwie wurde der Kreis immer grösser. Wenn man professioneller Arbeiten möchte, braucht man einfach verschiedene Top-Komponenten am Set. Man-and-Woman-Power gehört einfach dazu. Erst kam mit Grischa ein Fotograf hinzu, den ich sehr schätze und mit dem ich schon zuvor zusammenarbeiten konnte. Dann die Models, Stylisten und Visagisten.
Wir haben dann festgestellt, dass unser Ensemble eigentlich zu gross ist, um mit nur einem Fotografen zu arbeiten. Grischa hat dann den grossartigen Stefan Beutler vorgeschlagen, den ich vorher nicht kannte. Ich musste erstmal auf Instagram schauen und war dann beeindruckt von seinen Bildern. Dann kam das SWAN Team durch Stefan und Grischa dazu. Mit euch hat die ganze Produktion nochmal ein Upgrade bekommen und Vieles ist professioneller geworden. Als wir dann über eine Sonderpublikation nachgedacht haben, war das die Sahnehaube. Der gute Kontakt von SWAN zu Leica gab dem Shoot technischer Seite eine besondere Note. Auch dass Marco aus dem SWAN Art Team und Oliver von Leica selbst mit fotografiert haben, aber zeitgleich auch hinter den Kulissen gewirkt haben war sehr gut. Eine Produktion, die ich so schnell nicht vergessen werde.