Die Nachricht von ihrem Tod hat uns in Schockstarre versetzt. Anita Beckers war für viele Künstlerinnen und Künstler eine langjährige Wegbegleiterin. Eine, die die junge Kunst gefördert hat und offen war für Neues. Kennengelernt haben wir sie Anfang der 2000er Jahre in Frankfurt. Damals, als das Internet noch eine weit geringere Bedeutung hatte als heute. Damals, als es Videoplattformen noch nicht gab und „Reels“ noch ein Fremdwort waren.
Im Alter von 78 Jahren ist Anita am 31. Juli 2025 von uns gegangen. Die Beerdigung fand im „kleinen Kreis“ statt. Für die Kunstszene findet nun am Freitag, dem 5. September 2025 ab 19 Uhr in ihrer Galerie eine Farewell-Vernissage statt. Ein trauriger Anlass, aber ein zuversichtliches Motto: „Much love Anita„. Unter diesem positiven Stern startet die gleichnamige Ausstellung mit einer Vernissage. Eine Ausstellung zu der fast alle Künstlerinnen und Künstler, die Anita während ihrer rund 30jährigen Tätigkeit als Galeristin (Anfangs in Darmstadt, bereits seit 1998 in Frankfurt) vertreten und/oder ausgestellt hat, ausgewählte Werke beigesteuert haben.

Kennengelernt haben wir Anita im Jahr 2002. Damals hatte uns eine Geschäftsreise nach Frankfurt geführt. Auf unserem Hotelzimmer fanden wir einen Flyer mit Veranstaltungshinweisen. Darin enthalten: Ein kleiner Eintrag für eine Vernissage mit Anton Corbijn unter der Überschrift „a. somebody, strijen, holland„. Ort: Galerie Anita Beckers, Frankenallee 74 in Frankfurt. Gallusviertel. Zu dämlich nur, dass unsere Geschäftsreise am Mittwoch endete und die Vernissage erst am Donnerstag stattfand. Verlängerung vor Ort war leider keine Option.
So entstand die spontane Idee, einfach am Mittwochabend (nach getaner Arbeit und vor der Rückreise nach München) einen Abstecher in die Frankenallee zu machen. Gesagt, getan. Einen Parkplatz fanden wir direkt vor der Türe und so hingen wir hinein in die Ausstellungsfläche, deren Türen sperrangelweit offenstanden. Starke Männer trugen schwere Kisten, in einer Ecke stand noch eine Videoinstallation, in der nächsten Ecke wurden Röhrenfernseher und VHS-Videorekorder verpackt und in einen Kleinlaster getragen. Es herrschte ein regelrechtes Treiben, sodass wir als „Galeriebesucher“ während der Umbaumassnahmen zunächst niemandem auffielen.

Unser Interesse galt den Bildern, die nach und nach mit Handschuhen aus den Flightcases gehoben und der Wand entlang auf den Boden gestellt wurden. Zwei Männer bedienten die Kisten, zwei Frauen berieten sich über die Reihenfolge der Motive an der Wand – und wir standen dahinter und lauschen aufmerksam. So einen „Ausstellungswechsel“ live erleben zu dürfen ist schon etwas Besonderes. Denn normalerweise findet genau das hinter verschlossenen Türen statt.
Doch da es bereits Abend war und wir noch rund 400 km mit dem Auto fahren mussten, wollten wir nicht allzu lange bleiben. So schlenderten wir nach rund 20 Minuten Richtung Ausgang und wurden dort das erste Mal angesprochen: „Heute ist leider ein ungünstiger Tag für eine Besichtigung. Aber wenn Sie künftig keine Ausstellung verpassen wollen, dann tragen Sie sich doch hier auf dem Zettel für unseren Newsletter ein. Dann schicken wir Ihnen drei- bis viermal im Jahr unseren kleinen Newsletter.“
Kunstgalerien hatten zu dieser Zeit (2002) nur selten eine eigene Website. Werbung für Ausstellungen wurden noch in Printmagazinen und mit Flyern gemacht. Klassische Galerien hatten zumeist in anderen Stadtteilen ihre Heimat. Statt mit rauem Industriecharme lockten sie mit Hochglanz-Showräumen. Und jetzt (in einer Zeit, in der in den Büros der Stadt noch längst nicht jeder Mitarbeiter einen Internetzugang hatte), lockte eine Galerie mit einem digitalen Newsletter? – Einen Flyer oder ein Prospekt hatten wir erwartet. Einen Newsletter hingegen nicht. Aber Anita war schon immer Pionier.

Wir schrieben gerade unsere Mailadresse in die Excel-Tabelle, da wurden wir von hinten angesprochen: „Hallo, mein Name ist Anita Beckers. Haben Sie noch ein paar Minuten Zeit? Ich würde Ihnen gerne etwas zeigen…“ – Wer kann da schon neinsagen? Wir nickten und folgten unauffällig. Anita führte uns in eine Ecke der Ausstellungsfläche, wo (geschätzt) 4×4 Telefunken-Fernseher auf- und nebeneinander gestapelt waren. Daneben zahlreiche Videorekorder und jede Menge Kabel, die schon für die Demontage von ihrer Verkleidung befreit waren. „Hey, kommt mal eben her. Wir müssen kurz alle gleichzeitig die Videorekorder starten, damit wir noch einmal die Videowand sehen können“, sagte Anita. Und keine 30 Sekunden später sahen wir -das erste Mal im Leben- eine künstlerische Videoinstallation.
Anita schwärmte uns vom Künstler und seinen kreativen Ideen vor und bedauerte, dass eine andere Installation schon abgebaut sei. Sie lud uns ein, am Abend danach doch wiederzukommen und der Vernissage beizuwohnen.
Kunstgalerien kannten wir bis dahin nur anders: Prime-Adresse, Security vor der Türe, wer hereinwill muss ein paar Stufen emporsteigen und drinnen wird man direkt an der Türe abgefangen, damit man nur ja nicht wieder hinausgeht, ohne etwas zu kaufen.
Aber Anita Beckers war immer anders. In all den Jahren, die wir sie immer und immer wieder getroffen und besucht haben, war sie stets anders. Ihre Neugierde und ihr Tatendrang zeichnete sie aus. Uns gegenüber war sie nie eine taffe Verkäuferin, sondern eher jemand, der sich stets interessiert, was den anderen bewegt. Sie hat immer über den Tellerrand hinausgedacht und versucht, spannende Kontakte herzustellen und Menschen zusammenzubringen. Sie machte das mit Leidenschaft – oft ohne Gewinnorientierung, denn sie glaubte fest daran, dass sich jeder Einsatz irgendwann auch auszahlt. Das hatte sie mit jungen Künstlern, die sie immer wieder an Bord holte mehrfach bewiesen.

Ihre Galerie war nie nur ein Ausstellungs- und Verkaufsraum, sondern stets ein Ort für Kontakte. In der Corona-Phase haben wir mehrfach mit ihr gesprochen und es war spürbar, wie sehr sie darunter litt, die Menschen nicht rund um die Kunst in den Dialog zu bringen.
Auch als die erste Idee für das SWAN Magazine geboren wurde, hatten wir die Gelegenheit, ein Mittagessen mit ihr alleine zu ergattern, um Idee und Konzept vorzustellen und mit ihr zu diskutieren. Doch das war nicht alles: Sie lud uns zur ParisPhoto ein, sie hätte uns am liebsten zur ARCO in Madrid mitgenommen und als wir den legendären Jimi Hendrix Fotowettbewerb veranstalten wollten, war sie die Erste, die auf unsere Anfrage hin zusagte, um die Jury prominent und erfahren zu besetzen. Auch auf der PhotoBasel trafen wir sie mit ihrem Team. Kurz darauf war sie zu Gast bei unserem „Let’s talk about-Videoabend“.
Ein besonderes Anliegen waren ihr stets die Frauen in der Kunst. Nicht als Motiv, sondern vor allem als Künstlerinnen. Wer heute einen Blick in die Liste der von ihr vertretenen Künstler wirft, der wird schnell feststellen, dass ein gesundes Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern besteht – ganz anders als bei vielen anderen Galerien.
Auf der Bühne der Art Cologne hatte sie als Galeristin Platz genommen, um den Frauen in der Kunst eine Stimme zu verleihen. Wir waren (Bild unten) vor Ort und konnten live erleben, wie sie bedacht, aber mit den richtigen Worten gezielt Position bezog – und immer wieder die von ihr vertretene Künstlerin Annegret Soltau (vgl. erstes Bild dieses Beitrags) ins Gespräch brachte. Später dann, als ihr lieber Mann Günter die Standbetreuung „mal wieder“ übernommen hatte, nahm sie sich Zeit für einen Kaffee, einen Kuchen… in aller Hektik und rund um die vielen Events, die sie mit ihrem Team jedes Jahr gestemmt hat, nahm sie sich immer wieder Zeit. Zeit für Menschen, die ihre Leidenschaft teilten.

Anita hatte gelernt, dass das Teilen erfolgreich macht. Das man gemeinsam stärker ist, als alleine. So gab sie uns immer wieder wichtige Impulse und vermittelte uns z.B. Jan Nouki Ehlers, den wir in Ausgabe 12 vorstellten. Im Gegenzug fragte sie bei uns das eine oder andere Mal an, wenn einer ihrer treuen Sammler Interesse an einem Motiv eines Künstlers hatte, den sie nicht vertreten hat, aber den sie aus dem SWAN Magazine kannte.
Doch ihr unbändiger Tatendrang, ihr nicht enden wollender Wille, die Welt zu verbessern und der Kunst und ihren Künstlern die Anerkennung zu geben, die sie verdienen, das sind die Dinge, die jetzt fehlen werden. In Frankfurt, auf den Messen dieser Welt und vor allem in dem Mikrocosmos, den sie selbst erschaffen hat. Privat in ihrer Familie und beruflich in ihrer Galerie.
Unser letztes Gespräch mit ihr ist noch gar nicht so lange her. Wie immer mischte sie Privates und Berufliches. Sie schwärmte von der vielen Arbeit und den grossartigen Ausstellungen, die in diesem Jahr noch auf dem Programm stünden. Allen voran die ParisPhoto. Uns berichtete sie von einer neuartigen Arbeit, die sie dort erstmals präsentieren würde.
Bei aller Trauer freuen wir uns sehr, dass ihr unbändiger Spirit nun von Anita’s bewährtem Galerieteam fortgeführt wird. Wir sind sicher, dass dies ihr grösster Wunsch gewesen ist. – Neben dem Weltfrieden, der ihr fast soviel bedeutete wie ihre eigene Familie.
Much love Anita! We will miss you!
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