Die meisten Bewerbungen erreichen uns auf elektronischem Weg. Klar! Eine Mail, ein PDF, das alles geht schnell und bedarf keiner großen Investition. Martina und Jürgen sind einen anderen Weg gegangen: Sie haben aus ihrem Fotoshooting ein sehr persönliches Buch gemacht. Eins für das Model (Martina Dovicinova) und eins für den Fotografen (Jürgen Kremer).
Honest – ein Fotobuch in Miniauflage
Doch damit nicht genug: Ein drittes Exemplar des Buches wurde speziell für das SWAN Magazine gedruckt und sogar persönlich zuhause eingeworfen. Gut, räumliche Nähe zwischen dem Fotografen und einem Redaktionsmitglied machte dies möglich – aber dennoch ist es ein eher unüblicher Weg in dieser digitalen Welt. Unüblich und damit auffällig…

Honest auf dem Redaktionstisch
So landete “Honest” (so heisst das Fotobuch von Martina und Jürgen) bei der letzten Redaktionskonferenz auf dem Tisch, als es darum ging, die neuesten Bewerbungen zu bewerten und daraus diejenigen auszusuchen, die wir für eine der nächsten Ausgaben des SWAN Magazines vorstellen wollen. Jürgen und Martina landeten schon deswegen sehr schnell auf den vorderen Plätzen, weil sie eben einen anderen Weg der Präsentation gewählt hatten, als andere Bewerber. Zu dem Zeitpunkt gab es nämlich keine andere Bewerbung, die extra ein Fotobuch erstellt hatte!

Dass Honest von Format, Größe und Haptik ein ganz normales (klassisches) Fotobuch ist und nicht (wie z.B. “Zusammen gefasst” oder “Dennis Werkschau“) auf speziell ausgewähltem Papier gedruckt wurde, ist mehr als verständlich: Die beiden vorgenannten Druckstücke anderer Fotografen wurden dazu entwickelt, Käufer zu finden und zudem in vergleichsweise größerer Auflage produziert. Hier im Falle von Honest ist es “nur” eine Bewerbung – und sowohl Jürgen als auch Martina war es vermutlich bewusst, dass sie schon alleine mit dem Umstand des Buchdruckes aus der Menge herausstechen würden. Und dem war auch so!

72 Seiten Fotokunst
Honest selbst ist stolze 72 Seiten stark und zeigt neben dem Titelbild 56 teilweise doppelseitig gezeigte Fotokunstwerke. Portraits, Closeups, Detailaufnahmen einzelner Körperteile und auch spannende Silhouetten wechseln sich ab. Mal sind es Aufnahmen, die nach Hotelzimmer oder Homestudio aussehen, mal sind es Fotos, die in freier Natur entstanden sind. Immer zeigen die Bilder die Verletzlichkeit der Frau – hier in Persona von Martina.
Im Laufe des Bildbandes spielt der Fotograf mit der Schärfe und setzt sie mal bewusst auf ein Körperteil und ein anderes Mal bewusst auf den Hintergrund, um das Model selbst in der Unschärfe verschwinden zu lassen. Keine Aufnahme wirkt wie ein Zufallsprodukt, sondern wie eine bewusste Inszenierung. Und das ist gut so!

Ein reiner Bildband
Lässt man die Introseite einmal außen vor (dort stellen sich Martina und Jürgen kurz selbst vor), handelt es sich um einen reinen Bildband. Texte versucht man vergebens.
Doch die beiden von beiden Projektbeteiligten selbst verfassten Texte sind wichtig, um das Gesamtwerk zu verstehen: Anders als so oft, war es hier nicht der Fotograf, der ein Model gesucht hat, um seine eigene Vorstellung umzusetzen. Es war umgekehrt: Martina wollte von sich Aktfotos machen lassen und hat sich einen Fotografen ausgesucht, den sie bereits von einem Shooting rund zwei Jahre zuvor kannte. Doch da sie über zwei Jahre keinen Kontakt zum Fotografen hatte, hat sie sich nicht getraut, ihn anzuschreiben. Und viele andere Angebote, die sie erhalten hatte, lösten bei ihr eher ein Unwohlsein aus – und so wurde der Wunsch nach Aktfotos vom eigenen Körper zurückgestellt… bis man sich auf einer Party durch Zufall wiedertraf.

Eine vermutlich häufiger vorkommende Ausgangslage
Dieses Beispiel zeigt sehr deutlich, in welcher Misere nicht nur Models, sondern auch Fotografen stecken. Denn auch für Jürgen war das Thema Akt absolutes Neuland. Doch gemeinsam haben beide mit Honest ein tolles Werk geschaffen, welches sich nicht zu verstecken braucht: Es ist abwechslungsreich, gefühlvoll und authentisch. Hier und da wirkt es ein wenig unbeholfen. Doch “unbeholfen” wird zumeist negativ verstanden. So ist dieses Adjektiv hier jedoch nicht gemeint. Im Gegenteil: Wie soll ein Model, dass noch nie nackt vor der Kamera gestanden hat, eine Selbstsicherheit mitbringen, wie sie ein geübtes Aktmodel selbstverständlich mitbringt? Und wie soll ein Fotograf, der sich das erste Mal auf die Bühne der Aktfotografie wagt, zugleich aber hohe Ansprüche an sich selbst stellt und keinesfalls pornografische Fotokunstwerke schaffen will, sondern seinem Model schmeicheln möchte, mit größter Routine vorgehen? Beides ist unmöglich. Und beides führt zusammen zu der “Unbeholfenheit”, die Honest so herrlich authentisch macht.
Honest ist somit in mehrfacher Hinsicht ein bemerkenswertes Werk der beiden eher unbekannten Protagonisten und verdient es, näher und vor allem aufmerksam betrachtet zu werden. Darum ist es schade, dass Honest in einer Kleinstserie von drei Stück produziert wurde.

Share it!
Aus Sicht der Redaktion des SWAN Magazines sollte es mehr solcher mutiger Ansätze geben. Mehr noch: Eigentlich wäre Honest ein tolles Werk, um es “im Umlaufverfahren” von einem Fotografen zum anderen zu versenden und so immer mehr Fotobegeisterte zu inspirieren, ähnliche Werke zu produzieren. Ob das vorgesehen ist, wissen wir (Redaktion) leider nicht; können aber genau das nur empfehlen und fänden es wunderbar, wenn daraus ein regelrechtes Fotobuch-Wichteln entstünde. Wäre es nicht klasse, wenn jeder Fotograf, der ein Fotobuch von einem fremden Fotografen zugesandt bekommt, dem Absender ein eigenes (oder ebenfalls erhaltenes) Fotobuch zurücksenden müsste? Gerade jetzt in der Corona-Zeit wäre dies vielleicht eine spannende Idee für die Osterferien… jetzt wo keiner verreisen kann…

Die Bewerbung
Doch nun zur Bewerbung von Martina und Jürgen: Beide haben es trotz eines wirklich tollen Fotobuches nicht ins SWAN Magazine geschafft. Und das möchten wir kurz erklären: Gerade im Akt- und Sensual-Bereich erhalten wir laufend so viele Bewerbungen, dass die Auswahl für uns extrem schwierig ist. Zum einen wollen wir das Qualitätsniveau auf einem Level halten, das einem Fine Art Magazine gerecht wird. Zum anderen ist der Wettbewerb um die wenigen Plätze im SWAN Magazine (bei nur vier Ausgaben im Jahr sind eben nicht mehr als 20 Künstler drin) mittlerweile wirklich schon etwas härter, als noch zu Beginn. Das ist gut für die Wertigkeit des Magazins und Ansporn für alle Bewerber zugleich.

Storytelling is key
Doch es gibt einen weiteren Punkt, der für die Redaktion des SWAN Magazines stets wichtig ist: Das SWAN Magazine ist dem Storytelling verpflichtet. Wir wollen Stories in Bild und Text präsentieren. Und dabei müssen Bild und Text Hand in Hand gehen. Hier bei Honest haben wir zwei Bildstrecken: Ein Homeshooting und ein Outdoorshooting. Aber es fehlt (aus Sicht der Redaktion – und jeder andere darf dies natürlich anders bewerten) an einem roten Faden. Gerade bei der zuvor skizzierten Story, wie es zu Honest gekommen ist, wäre es wunderbar gewesen, mit einem klassischen Portraitshooting zu beginnen, langsam mehr Haut zu zeigen, dabei aber auf den Schutz der heimischen Wände nicht zu verzichten und dann sukzessive mutiger zu werden und dabei auch die Location zu ändern. Eine Story wie diese liefert die Bewerbung von Martina und Jürgen nicht – und so stellt sich für das SWAN Magazine (aufgrund der sehr klaren DNA des Magazins) die Frage, womit wir hier den Textteil so befüllen sollen, dass es eine spannende Gesamtgeschichte für unsere Leser und Abonnenten gibt.
Doch dies ist keine Kritik! Im Gegenteil: Dies soll Ansporn sein! Für Martina und Jürgen. Aber auch für viele andere Bewerber: Liefert uns spannende Stories, die unsere Leser in Bild und Text auf eine Reise mitnehmen. Das ist, wonach wir für die Printausgaben stets suchen. Denn dies ist, was wir unseren treuen Abonnenten und Fans versprochen haben und woran wir stets hart arbeiten, um diesen hohen Anspruch halten zu können.

Danke Martina, danke Jürgen
Liebe Martina, lieber Jürgen: Wir sagen Danke! Und ihr seht an diesem Blogbeitrag, dass uns die Entscheidung weder leicht gefallen ist, noch dass wir Bewerbungen einfach so “wegskippen”, wenn sie nicht gleich zu 100% ins Konzept passen. Unser Tipp: Kommt zurück mit einer Story! Gerne wieder gedruckt. Denn damit werdet Ihr wieder auffallen… 😉

Und wer weiss: Vielleicht nehmt ihr unseren Vorschlag an und schickt das Exemplar von Honest, welches wir Euch bereits zurückgesandt haben, von nun an auf eine Reise. Nutzt die beiden ersten Seiten: Seite 1 könnte einen Introtext bekommen a la “wir wünschen uns, dass dieses Buch in die Hände von möglichst vielen Fotografen und Models gelangt. Betrachtet es, aber stellt es nicht ins Bücherregal, sondern schickt es weiter…” und auf Seite 2 könnte eine Unterschriftenseite/-tabelle entstehen, wo jeder, der das Buch erhält, einen Kurzkommentar, seinen Namen und seine URL eintragen könnte… so wird Honest zu einer Inspirationsquelle… versprochen! “Kettenbriefe” haben ein schlechtes Image… keine Frage… aber “Kamerasharings” sind in der Vergangenheit sehr gut angekommen…
Zitat: Robert Bresson
Mach sichtbar, was vielleicht ohne dich nie wahrgenommen
worden wäre.
April 6, 2020 @ 8:39 am
Für Martina und Jürgen freut es mich ungemein, dass ihr euch so viel Mühe mit dieser Erläuterung gegeben habt. Eine solche Wertschätzung ist in der heutigen Zeit alles andere als selbstverständlich und wird garantiert als Ansporn aufgefasst und nicht als simple Ablehnung, denn die Erklärung, die Konzentration auf Strecken, ist ja absolut nachvollziehbar!
April 6, 2020 @ 9:18 am
Danke Dir Olaf. Ja, gerade bei Absagen werden viele Menschen wortkarg. Von daher ist es heutzutage eher unüblich, dann auch noch darüber zu schreiben. Doch uns als Redaktion des SWAN Magazines geht es nicht um die Absage, sondern um Motivation und Erläuterung. Das SWAN Magazine ist dem Storytelling verpflichtet (das ist die DNA des Magazins). Wir danken Martina und Jürgen daher sehr, dass wir diesen Beitrag mit konkretem Bezug zu ihrer Bewerbung veröffentlichen durften. Wir sind sicher, er wird vielen anderen Bewerbern helfen. Und ganz sicher werden wir Martina und Jürgen schon bald mit einer richtig genialen Photostory erneut auf dem Redaktionstisch liegen haben… Last but not least: Als das “etwas andere Fotomagazin” wollen und müssen wir anders sein, als andere… 😉